Hamburg. Die gefragte Schauspielerin hat am Freitag im Monolog „Prima facie“ Premiere an den Hamburger Kammerspielen. Welche Rollen reizen sie?
Ihre Zeit ist knapp. Nicht nur, aber auch, weil sie dieser Tage ordentlich zu tun hat, kann es schon mal ein paar Minuten später werden. Mit einem geliehenen Fahrrad ist Katharina Schüttler die Seitenstraße an der Roten Flora hochgestrampelt. „Ist eben kein E-Bike“, ruft sie entschuldigend, bevor sie das Damenrad anschließt und zum Treffpunkt ins Café Unter den Linden am Rande des Schanzenviertels kommt.
Verfahren hat sich die viel beschäftigte Film-, Fernseh- und Theaterschauspielerin keineswegs. Von 2003 bis Ende 2005 hat sie in Hamburg gewohnt, gleich um die Ecke „beim Blitzer“ an der lauten Stresemannstraße. Ganz oben, da habe sie statt Autos nur den Dom gehört. „Da war das Café hier einer meiner Lieblingsorte“, erzählt die zierliche Frau. Ein berufliches Engagement war es nicht, das sie nach der Schauspielschule aus Hannover nach Hamburg zog: Ihr damaliger Freund hatte hier eine Band.
Filmstar Katharina Schüttler: Auch in Hamburg gut für extreme Rollen
Zuvor hatte Katharina Schüttler oft in Hamburg gedreht, etwa das Drama „Sophiiiie!“, in dem sie als eine 20 Jahre alte Schwangere in ihrer ersten Hauptrolle überzeugte. Aber wie das eben so ist beim Film: „Wenn man in eine Stadt zieht, dann arbeitet man dort nicht mehr“, sagt die gebürtige Kölnerin lachend. Das Los einer gefragten Schauspielerin, die ebenso auf der Bühne zu Hause ist. Das letzte Hamburger Jahr habe sie schon komplett in ihrer heutigen Wahlheimat Berlin verbracht, „weil ich dort so viele Stücke am Theater gespielt habe“. Allen voran in Ibsens „Hedda Gabler“ an der Schaubühne, für die sie 2006 in der Kritikerumfrage des Magazins „Theater heute“ zur „Schauspielerin des Jahres“ gewählt und mit dem Theaterpreis Der Faust für die beste darstellerische Leistung ausgezeichnet wurde.
In Hamburg hat sie, abgesehen von der Verleihung des Ulrich-Wildgruber-Preises 2010 im St. Pauli Theater, bisher nur bei einem „Hedda Gabler“-Gastspiel auf der Bühne gestanden, im Oktober 2018 beim Hamburger Theaterfestival im Thalia Theater. Thomas Ostermeiers Inszenierung ist mit Schüttler in der Titelrolle und Lars Eidinger auch international ein Dauerbrenner. An diesem Freitag hat Katharina Schüttler nun mit einem Solo Premiere an den Hamburger Kammerspielen: „Prima facie“.
Für Premieren-Monolog in den Kammerspielen mehrere Wochen Trennung von Familie
Erst im Herbst hatte die hanseatische Traditionsbühne bei Schüttler angefragt. „Ich hatte von dem Stück noch nichts gehört“, gibt sie beim Gespräch im Café zu. Nach der Anfrage der Kammerspiele und beim Lesen des Stückes sei ihr sehr schnell klar geworden, „dass es jetzt nicht ohne Grund zu mir geflogen kam und dass ich die Geschichte auf der Bühne erzählen möchte, weil ich sie so wichtig und außergewöhnlich finde. Auch in der Art, wie sie erzählt wird“, sagt Katharina Schüttler. Ihre Begeisterung ist spürbar.
Zudem findet es die mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin „total herausfordernd, allein auf der Bühne zu stehen, weil ich das noch nie gemacht habe“. Für ihren Premieren-Monolog im recht intimen Rahmen der Kammerspiele nimmt die 44-Jährige auch mehrere Wochen Trennung von ihrem Ehemann, dem Regisseur Till Franzen, und den beiden gemeinsamen Töchtern in Kauf. Bereits in Berlin hat Katharina Schüttler angefangen zu proben, dazu kommen noch mal zwei Wochen in Hamburg. „Man braucht für einen Monolog mindestens genauso viel Zeit, wie wenn mehr Leute auf der Bühne sind. Es ist genauso viel Arbeit, nur ganz anders“, erläutert die Darstellerin. Schüttler springt auch immer wieder in alle weiteren Rollen neben der Protagonistin, der Staranwältin Tessa Ensler.
Im Stück „Prima facie“ geht es um die Rolle von Frauen, wenn sie in einer „Opfer“-Position sind
Deren Metier ist die Verteidigung bei Sexualstraftaten. Doch dann wird die passionierte Anwältin bei ihrem Kampf um die Wahrheit selbst Opfer eines sexuellen Übergriffs. Und der lateinische Terminus „prima facie“, in der deutschen Rechtssprache auch „Anscheinsbeweis“ genannt, kommt zur Anwendung. Suzie Millers gleichnamiger Monolog wurde 2019 in Sydney uraufgeführt, gewann den Australian Writers‘ Guild Award for Drama, kam 2022 dann ans National Theatre nach London und danach nach Deutschland.
Es gehe um eine weibliche Perspektive, um die Rolle von Frauen, wenn sie in einer „Opfer“-Position seien in unserem juristischen System, meint Katharina Schüttler. „Aber das System, in dem sie sich befinden, unser Justiz-System, ist faktisch ein von Männern gemachtes, über Generationen von Männern geprägt.“ Kernaussage des Stücks ist für die Schauspielerin, „dass die Erfahrung von sexueller Gewalt nicht in dieses System passt“. Vor Gericht werde ihre Aussage häufig als Lüge aufgefasst, in dem System sei es kaum möglich, in Fällen von sexuellen Übergriffen Gerechtigkeit zu erfahren.
Katharina Schüttler: Mit der Zuschreibung als Frau für extreme Rollen „eigentlich immer ganz glücklich“
In der Schauspiel-Branche heißt es, Katharina Schüttler habe ein Faible für extreme Rollen. Menschen hätten eben das Bedürfnis, andere in Schubladen zu stecken, für sie „total nachvollziehbar“. Dieses erste Label war geprägt vom Kinofilm „Sophiiiie!“, den sie Anfang 2001 in Hamburg gedreht hatte, „Hedda Gabler“ kam hinzu. Sie habe sehr viele Frauen gespielt, die in extreme Situation gezogen worden sind, etwa im Kinofilm „Freier Fall“ (2013), sagt Schüttler. „Ich fand das aber toll, denn unter dieses Label passt ja ganz viel, darin kann man alles spielen, und jeder Mensch kann ja in eine extreme Lage geraten. Mit dieser Zuschreibung war ich eigentlich immer ganz glücklich.“
Doch wie extrem ist die Rolle der Strafverteidigerin, die zum Opfer wird? Katharina Schüttler denkt kurz nach. „Tatsächlich ist sie eine der extremsten Frauenfiguren, die mir je begegnet sind. Sie ist eine Frau, die sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hat und in ihrem Fach ganz oben angekommen ist. Sie ist einfach genial gut in dem, was sie tut. Mit einem anderen Background würde sie, glaube ich, nicht unbedingt den Weg gehen, den sie am Ende wählt und in einen Kampf ziehen, den sie – juristisch – eigentlich nur verlieren kann.“
Kann das Stück auch ein Mann inszenieren? Naheliegender, „dass die Regie weiblich ist“
Die Rolle der Tessa bezeichnet Schüttler denn auch „als extremste Herausforderung, vor der ich bisher stand“. Die Erfahrung, allein auf der Bühne zu stehen, sei schon überwältigend. „Und wenn man sich in dieser juristischen Welt befindet, vor Gericht, hat das Stück eine Schärfte und Präzision, die einen schon sehr herausfordert.“ Das Parkett der Anwältin sei das Gericht. Hier gehe es jedoch darum, das juristische System auch von der anderen Seite zu erleben, „aus der Opfer-Perspektive nach einer Erfahrung von sexueller Gewalt“, so Schüttler. Tessa opfere eigentlich ihr ganzes Leben. „Alles, was durch die traumatische Erfahrung und den Schritt, vor Gericht zu ziehen, passiert, hat ganz krasse Folgen und ist eine sehr schwierige Entscheidung für Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren. Vor allem wenn sie in der Öffentlichkeit stehen. Mit dem Schritt begibt man sich auch in eine Stigmatisierung.“
Erstmals arbeitet Katharina Schüttler in Hamburg mit der Theaterregisseurin Milena Mönch, die ebenfalls ihr Kammerspiele-Debüt gibt. Die Kölnerin Mönch hatte 2019 mit „Drei Schwestern“ nach Tschechow beim Körber Studio Junge Regie am Thalia Theater den Publikumspreis gewonnen; sie hat bereits am Oldenburgischen Staatstheater und am Staatstheater Mainz inszeniert. „Bei einem Monolog ist die Position der Regie noch viel wichtiger, als wenn man Schauspielkollegen hat. Meine Spielpartnerin, mein Gegenüber, ist im Grunde sie“, erläutert die Schauspielerin. Grundsätzlich könnte das Stück auch ein Mann inszenieren, meint Schüttler, „aber wenn es um so viel weibliches Empfinden von bestimmten Situationen geht, um eine weibliche Perspektive, finde ich es viel naheliegender, dass die Regie weiblich ist.“ Klingt nach vertrauensvoller Zusammenarbeit.
Auch im Film und Fernsehen hat Katharina Schüttler 2024 mit dem Thema Justiz zu tun
Die Schauspielerin reflektiert sich präzise, die Auseinandersetzung mit dem Stück hat sie fürs Thema sensibilisiert, auch bei den Mechanismen zwischen Männern und Frauen, zu Patriarchats-Strukturen, zum natürlichen Machtgefälle. Bei den Proben hätten sie und die weiteren Beteiligten festgestellt, dass man mit einem Mal ganz feine Antennen dafür hat, kleine Verhaltensmuster wahrzunehmen. Einziger Mann dort: der Bühnenbildner.
Auch im Film und Fernsehen wird Katharina Schüttler im Laufe dieses Jahres in mehreren Produktionen zu sehen sein, die mit Justiz zu tun haben. Etwa in einem kleinen Arthouse-Kinofilm (Arbeitstitel: „Karla“) um den wahren Fall einer Zwölfjährigen, die in den 60er-Jahren vor Gericht zieht, um ihren Vater wegen Missbrauchs anzuzeigen. Und in der ARD/Canal+-Co-Produktion „A better Place“, in der es um die Möglichkeit geht, in einer Gesellschaft frei von Strafvollzug zu leben.
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Diese vielseitige und vielschichtige Schauspielerin hätte gewiss noch einiges mehr zu erzählen, doch das Gespräch neigt sich dem Ende. Sie bleibt bei Ingwer-Tee und Wasser ohne Kohlensäure, holt ihr iPad hervor und zeigt auf den Text: „Dass man mal weiß, was ich zu tun habe ...“ Besondere Stellen sind grün markiert, der ganze Text ist rund 70 bis 80 DIN-A-Seiten lang. Logisch, dass ihr Zeit knapp. Sie muss sich aufs Lesen und Lernen konzentrieren, die Endproben stehen bevor.
„Prima facie“ Premiere Fr 9.2., 19.30, bis 6.3., Kammerspiele (U Hallerstraße), Hartungstr, 9-11, Karten zu 16,- bis 43,- unter T. 040/413 34 40; www.hamburger-kammerspiele.de