Hamburg. Neue Bühnenfassung von Theodor Storms berühmter Novelle funktioniert im Studio auf Hoch- und Plattdeutsch mit nur drei Schauspielern.

Das Wasser ist allgegenwärtig. Es bedeckt die gesamte Spielfläche im Ohnsorg-Studio. Es gibt nur einen schmalen Steg im hinteren Teil der Bühne und ein paar Inseln aus Sandsäcken, auf denen die Schauspieler trockenen Fußes stehen können. Auch das Publikum in der ersten Reihe bekommt immer wieder Spritzer ab, wenn die drei Schauspieler sich oder die Requisiten ins Wasser werfen.

Yvonne Marcour hat sich das Bühnenbild und die Kostüme für eine neue Bühnenfassung von Theodor Storms „Schimmelreiter“ (hier: „De Schimmelrieder“) ausgedacht. Die Menschen in Nordfriesland an der Küste leben mit dem täglichen Wechsel von Ebbe und Flut; wenn Sturm und eine Springflut drohen, macht ihnen das Meer Angst. Dann drohen die Deiche zu brechen, überfluten das Land und lassen Menschen und Tiere ertrinken.

„De Schimmelrieder“ im Ohnsorg zeigt die tägliche Bedrohung durch das Wasser

Alle paar Jahrzehnte kommt es zu diesen Katastrophen, Schutz bieten die Deiche und die höher gelegenen Warften, auf denen die Höfe und Häuser im Hinterland stehen. Marcours Bühne zeigt diese tägliche Bedrohung durch die Gewalt der Nordsee.

Im „Schimmelrieder“ am Ohnsorg Theater spielt Laurens Walter den Deichgrafen Hauke Haien (mit Kristina Bremer als seine Frau Elke).
Im „Schimmelrieder“ am Ohnsorg Theater spielt Laurens Walter den Deichgrafen Hauke Haien (mit Kristina Bremer als seine Frau Elke). © Sinje Hasheider | SINJE HASHEIDER

Kurz vor seinem Tod im Jahr 1888 hat Theodor Storm seine Novelle über den Deichgrafen Hauke Haien beendet. Ingo Putz hat daraus eine kluge Bühnenfassung auf Platt- und Hochdeutsch gemacht und sie selbst inszeniert. In den auf Hochdeutsch erzählten Passagen kommt Storms schöne und ausgefeilte Sprache zum Tragen, die Dialoge werden auf Plattdeutsch in der Übersetzung von Cornelia Ehlers gesprochen.

„De Schimmelrieder“ am Ohnsorg: Das Stück kommt mit nur drei Schauspielern aus

Die Inszenierung in der kleinen Studiobühne mit seinen 60 Plätzen kommt mit zwei Schauspielern und einer Schauspielerin aus, die in eine Vielzahl von Rollen schlüpfen müssen. Durch die Nähe zwischen Bühne und Publikum bekommt die Geschichte um den Deichgrafen und seinen Schimmel eine besondere Intensität – inklusive der Wassertropfen für die Zuschauer.

Drei Darsteller für alle Rollen am Ohnsorg-Theater: Stephan Möller-Titel, Laurens Walter und Kristina Bremer.
Drei Darsteller für alle Rollen am Ohnsorg-Theater: Stephan Möller-Titel, Laurens Walter und Kristina Bremer. © Sinje Hasheider | SINJE HASHEIDER

Laurens Walter spielt Hauke Haien. Sein Deichgraf ist ein begeisterter Idealist, der versucht, seine Nachbarn von seinen Vorstellungen eines neuen Deiches zu überzeugen. Je mehr er auf Ablehnung stößt, desto verbissener und starrköpfiger treibt er sein Projekt voran. Er ist ein Visionär, der sein aufbrausendes Temperament oft nicht zügeln kann, der aber auch immer wieder nachdenkliche und zärtliche Momente hat – besonders gegenüber seiner Frau Elke. Die spielt Kristina Bremer als selbstbewusste Person, die ihren Mann bedingungslos unterstützt. Bremer muss aber auch in eine Reihe anderer Rollen springen. Mit gebeugtem Rücken verwandelt sie sich in eine alte Frau, mit einer Mütze über ihren langen Haaren in einen der Knechte an Haiens Hof.

„De Schimmelrieder“: Immer wieder müssen die Schauspieler sich ins Wasser knien

Stephan Möller-Titel ist Hauke Haiens missgünstiger Gegenspieler Ole Peters, er ist ein Aufwiegler und grober Störenfried. Bremer und Möller-Titel treiben die Geschichte auch als Erzähler voran.

Regisseur Putz verlangt von seinen drei Akteuren ein sehr körperliches Spiel. Da fliegen die Sandsäcke hin und her, immer wieder müssen die Schauspieler sich ins Wasser knien, Walter schreibt seine Deichbau-Berechnungen mit Kreide ins Wasser, alle sind bereits nach wenigen Minuten völlig durchnässt. Die Inszenierung kommt mit wenig Requisiten aus. Ein mit weißer Farbe bemalter Ledermantel symbolisiert Haiens Schimmel, die Säcke dienen als Babykissen oder als Weg auf der Deichkrone. Schnelle Szenen- und Personenwechsel machen die Inszenierung spannend.

Premiere im Ohnsorg-Studio: Im Stück steckt viel Aktualität

Obwohl fast 150 Jahre alt, steckt im „Schimmelrieder“ viel Aktualität. Hauke Haien ist ein Neuerer, der nichts auf den Aberglauben seiner Mitmenschen gibt. Um ihn bloßzustellen, setzen Peters und andere Koog-Bewohner Gerüchte und Lügen in die Welt und unterstellen Haien, einen Pakt mit dem Teufel eingegangen zu sein. Diese zwei Welten zeigt eine Szene, in der zwei Knechte über ein Tier im Watt räsonieren, das sie für eine Ausgeburt des Teufels halten, während Haien mathematische Berechnungen an die Wand malt. Moderne Wissenschaft und Aberglaube begegnen sich in diesem Bild. Dank seiner Autorität als Deichgraf baut Haien den neuen Deich, der niemals brechen wird, doch Freunde macht er sich damit in seinem Dorf nicht. Zu engstirnig sind seine Nachbarn, getreu dem plattdeutschen Satz „Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich.“

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„De Schmimmelrieder“ ist ein weiteres überaus gelungenes Theaterereignis auf einer der kleinsten Bühnen Hamburgs. Drei hervorragende Schauspieler und ein kreatives und engagiertes Team aus Regie, Bühne und Dramaturgie bescheren dem Ohnsorg-Theater den nächsten Erfolg auf seiner Studio-Bühne. 31-mal soll „De Schimmelrieder“ gespielt werden, viele Vorstellungen sind bereits ausverkauft.

„De Schimmelrieder“, Ohnsorg-Theater, läuft bis 24.4., Karten gibt es noch für die Zusatzvorstellungen am 2., 3., 9., 11., 16. und 24.4.; Karten und Infos unter T. 040/3508 0321 oder unter www.ohnsorg.de