Hamburg. Seine Gründer wären ursprünglich lieber Punkrocker geworden. Jetzt machen sie Top-Bücher. Und kennen glücklicherweise Saša Stanišić.
Es ist das Offensichtliche, woran man die Leidenschaft dieser Buchmacher erkennen kann. Das, für was sie antreten – das schöne, klassische, unsterbliche künstlerische Produkt, die kulturelle Hervorbringung Buch. Die Bücher dieses Verlags sind tatsächlich schöne Bücher. Man könnte sagen, dass sie ja quasi handverarbeitet sind. Mundgeblasen. Der Mairisch-Verlag in Eimsbüttel bringt nicht so schrecklich viele Bücher im Jahr heraus.
„Wir machen“, sagt Daniel Beskos, „wirklich nur die Bücher, bei denen wir das Gefühl haben, dass es sie wirklich geben muss, dass es sie ohne uns nicht geben würde.“ Beskos, Jahrgang 1977, hat Mairisch vor 25 Jahren gemeinsam mit seinem Schulfreund Peter Reichenbach, Jahrgang 1976, gegründet. Es gibt also einen runden Geburtstag zu feiern, und der Rückblick auf die Wegstrecke eines Vierteljahrhunderts ist nicht nur für das Duo plastisch zu haben: In den sympathischen, nicht allzu großzügig bemessenen (ach, was soll’s: bezeichnen wir das Verlagsbüro halt als das, was es ist: Eine gemütliche Bücherbutze) Mairisch-Räumen steht ein Sideboard als Vitrine des Mairisch-Schaffens. Mit Büchern, Büchern, Büchern.
Mairisch-Verlag in Hamburg: Auch Bücher von Saša Stanišić im Programm
Als Besucher, dessen Blick auf dieses besondere Regal fällt, fühlt man sich gleich als Kenner der Mairisch-Materie. Da, dieses Buch über das Radfahren, stimmt; hat man gerne gelesen und gerne im eigenen Regal stehen. Das neue Buch von Saša Stanišić hat es noch nicht unter die Ausstellungsstücke geschafft. Es ist noch gar nicht erschienen. Glück hat, wer Journalist ist. Als solcher darf man den zweiten „Hey, hey, hey Taxi!“-Band später mitnehmen, und das neue kulinarisch erzählende Werk von Koch Stevan Paul gleich mit.
Es ist ein froh stimmendes, ziemlich entspanntes Gespräch, wie es die Mairisch-Macher – zu den beiden Verlagsgründern gesellt sich noch Mairisch-Mitarbeiterin, Literaturnetzwerkerin und Autorin Nefeli Kavouras, Jahrgang 1996 – dieser Tage hoffentlich auf die ein oder andere Weise ziemlich oft führen. Peter Reichenbach sagt: „Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich hier mit demselben Gefühl in 25 Jahren genauso wieder sitzen.“
Büchermachen in Hamburg: Jubiläums-Talk nach drei guten Jahren
Was er damit meint, ist, wie erfüllt sein Berufsleben bislang war; „es hat“, berichtet Reichenbach, „so viel Spaß gemacht.“ Und wie es gerade jetzt Spaß macht, ist in jedem Augenblick des Interviews zu begutachten. Das ist ein Punkt, den man erwähnen muss. Anderen kleineren Verlagen wie etwa der Edition Nautilus geht es dieser Tage nicht ganz so gut wie Mairisch. Beskos und Reichenbach können die Sorgen der befreundeten Konkurrenz nachvollziehen. „Wir hatten jetzt drei gute Jahre, momentan müssen wir also zumindest keine schlaflosen Nächte haben“, erklärt Beskos.
Aber wer so lange in der Branche arbeitet, der kennt deren Gesetze. Das Trio, das sich zum Jubiläums-Talk eingefunden hat, weiß, dass ein Jahr ohne abverkaufte oder nachgelegte Auflagen (bei Mairisch war Stanišićs erstes Kinderbuch eine Art Gamechanger, ein Riesenhit) schnell problematisch sein kann. Beskos sagt einmal nur halb ironisch, dass er manchmal denke, es lese eh niemand mehr.
Mairisch hält sein Profil bewusst locker
Es sind halt in den vergangenen Jahren etliche Leserinnen und Leser verloren gegangen, man spricht in der Branche über eine siebenstellige Zahl. Und dennoch muss niemand dieser Tage bedrückt sein: Lesen, Bücher, das ist immer noch eine Erfolgsgeschichte. Allein deswegen schon, weil Bücher so beliebte Geschenke sind. Was übrigens auch ein Grund dafür ist, dass der Siegeszug des E-Books so triumphal keineswegs geriet.
- Hamburger Arno Surminski schreibt so lange schon: der Roman seines Lebens
- Neues Buch „Kleine Monster“ von Jessica Lind: Schul-Terror und dann eine Krise
- Literatur Hamburg: Ein Roman über die herrliche Stadt und ihre Menschen
Mairisch ist der Verlag mit dem bewusst locker gehaltenen Profil. Mit Finn-Ole Heinrich („Räuberhände“) und Stanišić hat er Kinder- und Jugendliteratur im Programm. Es gibt Sachbücher, Belletristik und sogar Musikveröffentlichungen, man denke an die Alben des Singer-Songwriters Spaceman Spiff.
25 Jahre Mairisch: Jubiläumsblog auf der Verlags-Homepage
Wenn vorhin von der Leidenschaft, von der Liebe der Mairischs für ihr Tun die Rede war, darf der Blog, den sie zum Geburtstag eingerichtet haben, bei der allgemeinen Betrachtung nicht fehlen. Dort ist die ganze, wunderbare Verlagsgeschichte niedergeschrieben, es ist eine Erzählung voller Zufälle, Wagemut und Offenheit – über alles, was das Leben für einen bereithalten kann. Abhängen nach dem Abi in einem südhessischen Jugendclub (wunderbar: es lag „im Nachbardorf Hainstadt“), der den Namen „Das Häuschen“ trug. Proberaum, Tischtennis, das war das Programm. Ja, die Affinität zur Musik. Sie hat ihre Ursprünge im eigentlichen Plan des Duos Reichenbach/Beskos, eine Punkband zu gründen.
Im Blog erfährt man nun unter anderem, dass im Keller der Reichenbachs Musik schnell nicht mehr die erste Rolle spielte. „Wilde Kochsessions“, „süßer, griechischer Rotwein“, da ging es dann eher drum. „Und wir lasen uns vor, was wir im Verlauf der Woche selbst geschrieben und gelesen hatten“, heißt es im Blogtext. Kurze Zeit später machten sie eine Literatur-Musik-Sendung in einem Radiosender für alle. Texte vorlesen, Punksongs und welche aus der Hamburger Schule spielen; klingt nach einem Konzept, das Spaß machte.
Dann schon veranstalteten Beskos und Reichenbach erste Lesungen, zusammen mit Blanka Stolz. Dieses Trio war es dann auch („Die Verlagsgründung selbst war so spontan, dass wir heute kaum noch sagen können, warum wir das eigentlich gemacht haben. Wahrscheinlich war es einfach der nächste logische Schritt in unserem Projekt ‚Arrogant und unerfahren‘“), das aus einer Laune heraus am 31. August 1999 Mairisch gründete. Wie es sich gehört, beim Gewerbeamt.
25 Jahre Mairisch-Verlag: Der selbstironische Traum von der „literarischen Weltherrschaft“
Mit welchem Ziel? „Literarische Weltherrschaft!“ So erinnern sich die Macher selbstironisch an die ganz frühen Jahre. Kleine Veröffentlichungen eigener Texte, das war die Möglichkeit, die sie sich selbst eröffnet hatten. Es ging um den Spaß, um sonst nichts. Mobil waren die jungen Leute immer. Ihre Lesungen fanden bundesweit statt. In Marburg studierten nach zwischenzeitlichen Ausflügen nach Heidelberg und England beide, Reichenbach und Beskos. Und dann gingen sie als Studenten, die weiterhin ihren Verlag als Freizeitveranstaltung betrachteten, in die große Stadt. Den Wunsch, dass ihr Verlag wahrgenommen wurde, hatten sie nämlich durchaus.
„Du super Hamburg“ heißt das Kapitel, das die ersten Hamburg-Jahre beschreibt, da ist die Überschrift gut gewählt. Hamburg löste ein, was es versprach. Daniel Beskos sagt, warum das so ist: „Berlin war übervoll mit Lesebühnen, da ging es eher um lustige Texte – Hamburg dagegen hatte Lust auf ernsthafte Texte, was wir bei unserer Ankunft noch nicht wussten, was aber ein Glücksfall für uns war.“ Mit vergleichsweise günstigen Mieten, guten Veranstaltungsorten und „einer wahnsinnig lebendigen und aktiven Lesungsszene“ erwies Hamburg sich als extrem passender Ort.
Andreas Stichmann war einmal ein Mairisch-Autor
Man will aus der berichterstattenden Distanz daran glauben, dass es auch künftig junge Leute geben wird, die in Hamburg einen Verlag gründen. Unter anderem Veranstaltungen wie die Ham.lit im Uebel & Gefährlich, die Hunderte von jungen Leserinnen und Leser anziehen und an der Daniel Beskos als Veranstalter maßgeblich beteiligt ist, sind ein Hinweis darauf, dass das literarische Feld an der Elbe weiterhin bestellt werden kann.
Zeiten ändern sich dennoch. Bei Mairisch kamen Autoren wie Andreas Stichmann (er zog längst zu Rowohlt weiter) groß heraus. Auch Lisa Keißler und Benjamin Maack sind Mairisch-Autoren. Zuletzt gab es nur noch wenige deutschsprachige Novitäten von Mairisch. Sie sind einfach nicht mehr bezahlbar, seit Agenten bei größeren Häusern üppige Vorschüsse aushandeln können. Man hat sich in Eimsbüttel nun auf Übersetzungen konzentriert. Auch da, erzählt Nefeli Kavouras, schaut man bei Mairisch aber sehr genau hin. „Es müssen spezielle Bücher sein und welche, hinter denen alle stehen.“
Unabhängige Verlage sollten staatliche Unterstützung bekommen
Daniel Beskos sagt übrigens noch, dass er sich die konzentrierte, schlanke Veröffentlichungsstrategie – also insgesamt weniger Bücher – nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen bei weitaus mehr Verlagen wünsche. Man stimmt ihm nur allzu gerne zu. Es erscheinen insgesamt sicher zu viele Bücher, nicht zu wenige. Beskos ist im Vorstand der Kurt-Wolff-Stiftung, die sich für die Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene einsetzt. Deren Hauptziel ist es, dass unabhängige Verlage, ähnlich wie etwa Programmkinos, staatliche Unterstützung erhalten.
Vielfalt: Das ist der Mairisch-Weg. Die Leitlinie äußert sich in den Büchern und in den Reisen und mehrwöchigen Städtetrips (unter anderem Amsterdam, Paris, Mailand, Barcelona). Peter Reichenbach stellt fest, wie wichtig es ist, mit anderen Verlagsmenschen aus anderen Ländern zu reden, „das kann nur ertragreich sein“. Vielfalt auch im Personal: Seit einigen Jahren schon liefert Nefeli Kavouras („Als ich dazukam, war ich bei Mairisch menschlich und konzeptuell von allem sehr überzeugt“) die weibliche, vor allem aber auch die jüngere Perspektive. Kavouras, Reichenbach und Beskos sind im literarischen Leben Hamburgs verlässliche Ankerpunkte. Reichenbach und Kavouras veranstalten demnächst ihr Sorbet-Festival, und Beskos hat das Format „Leseclubfestival“ nach Hamburg gebracht.
Mairisch: Aus der einstigen Teilzeitunternehmung wurde ein erfolgreicher Verlag
Mairisch ist der Verlag, der seine Gründer überwältigt hat, wenn man so will. Als das lange Magisterstudium in Hamburg irgendwann zu Ende ging, stellte sich für Reichenbach und Beskos die Frage, wie die mit Herzblut und Aufwand betriebene Teilzeitunternehmung „Büchermachen“ in Zukunft sein solle. Weiter so wie bisher und im Hauptjob etwas erst mal Bodenständigeres nach einem Volontariat oder Ähnlichem? Oder die nächste Stufe erklimmen und Mairisch zur Hauptsache machen? Sie haben sich glücklicherweise für Letzteres entschieden.
Und zum in frühen Do-it-yourself-Initiativen drauf geschafften unternehmerischen Mut, zum Einfach-mal-machen als Maxime gehören auch Kontakte, die sich später tatsächlich pekuniär auszahlten. Mit Saša Stanišić verbindet die Mairischs eine frühe Freundschaft. Eine seiner ersten Lesungen überhaupt wurde von ihnen veranstaltet. Viele Jahre später erschien der Kinderbuch-Hit „Hey, hey, hey Taxi“ dann in dem Hamburger Verlag. Der Nachfolger ist übrigens genauso toll geworden.
Es wird schon wieder ein gutes Mairisch-Jahr.
Der Jubiläums-Blog ist auf www.mairisch.de abrufbar.