Hamburg. Die Hausarztpraxis? Ein Ort des prallen Lebens. Das neue Buch von Sabine Peters handelt von Hamburg und den Hamburgern. Toll!
Dieses Buch kann ein Trost sein für alle Älteren. Für die also, die schon tiefe Verluste im Leben eingefahren haben. Leute wie „Doc“ Hermann Dik, der beruflich auf den letzten Metern in seiner Gemeinschaftspraxis ist. Wobei: Er denkt ja gar nicht ans Aufhören. Obwohl er das Alter dafür hätte. Seine geliebte Frau Lucy ist schon länger tot, und Doc trägt deshalb eine Grundmelancholie mit sich herum. Kann nachts nicht schlafen. Wenn er eine Fahrradtour an der Norderelbe macht, kommt der Wind, natürlich!, von vorne. Er stemmt sich dagegen, „mit aller Kraft“.
Mit was denn auch sonst? „Die dritte Hälfte“, der neue Roman der Hamburger Autorin Sabine Peters, ist kein Roman über Menschen, die aufgeben. Das tut weder der Witwer, noch tun es die Patientinnen und Patienten, die ihn in seiner Praxis aufsuchen. „Die dritte Hälfte“ ist ein Roman der kleinen Szenen, eine Spezialität von Sabine Peters, die besonders in dem 2013 erschienenen „Narrengarten“ aufschien. Manche von ihnen spielen sich im Behandlungsraum ab. Ein Querschnitt der Bevölkerung Hamburgs: die schon vor Langem aus Italien eingewanderte Frau, die nach Luft schnappt, weil sie die Raucherei chronisch lungenkrank gemacht hat. Der 60-Jährige, der sich wie 40 fühlt, noch mal Vater wird, aber einen auffälligen Leberfleck hat. Die Nacken-geplagte Großmutter, die niemandem zur Last fallen wird, Fachärzte meidet und ohne zu murren ins Altenheim zieht. Um für sich zu sterben.
Literatur Hamburg: Neues Buch „Die dritte Hälfte“ von Sabine Peters – Heiterer Reigen von Geschichten
Das klingt nun so ziemlich nach einem schicksalsschweren Roman. Aber nichts könnte weniger zutreffen. „Die dritte Hälfte“ ist ein heiterer, hoffnungsvoll gestimmter Geschichtsreigen, der die Gegenwart in vielen ihrer Facetten aufblendet. Im Falle Docs ist es dessen in Volksdorf lebende Schwester Kerstin, die ihm die Marschroute mit auf den Weg gibt: „Was nützt es uns, Rückschau zu halten? Wir leben in der Gegenwart, die Zeit heißt jetzt!“
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Außerdem gibt es Docs alten Studienkollegen „Brummer“ (eigentlich Bruno Brumlik) , einen Dr. phil., den es als Kunsthistoriker nach Bonn verschlagen hat. Brummer, der hypochondrische Kettenraucher, steht nach seinem Wechsel in den Ruhestand immer bei Doc in St. Georg auf der Matte, wenn dieser ihn ruft. Außerdem hat Doc mit seiner Nachbarin Mechthild (sie schaut eigentlich lieber „Breaking Bad“) einen wöchentlichen Termin zum Krimi-Dinner. Man schaut dann zusammen dröge Krimis im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und isst, meistens Suppe. Rituale sind ein Segen, oder?
Roman „Die dritte Hälfte“: Generationenkonflikt mit Klimaaktivisten
Mechthilds Sohn Kilian, wie seine Freundin Lena ein überzeugter Klimaaktivist, bekommt dennoch einmal vom selbst lediglich halb überzeugten Doc einen Vortrag über den Hedonismus der Jugend („Alles muss Spaß machen und zum Event werden, sogar der Widerstand“). Da reicht es dann seiner Mutter, die das, nun ja, persönlich wenig zukunftsträchtige Leben des Sohnes – wo ist die finanzielle Absicherung? – zwar selbst kritisch sieht. Aber halt doch stolz auf Kilian (ein kluger junger Mann: „Auch ein Pflichtmensch braucht Regeneration time, sonst brennt er aus“) ist, den Kerl, der früher Fußballtrainer („Er strich sein Zimmer in den HSV-Farben, in Blau, Weiß, Schwarz“) werden wollte und jetzt die Welt retten will.
„Die dritte Hälfte“ handelt überwiegend von älteren Menschen, ist aber auch ein Generationenroman. Was im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts heißt, sich die jüngeren Alterskohorten vor allem als Klimakämpfer vorzustellen. Weil dort der elementare Zwist lauert, der Konflikt, der Boomer und Gen Z voneinander trennt. Sabine Peters streift dieses Thema, interessiert sich aber noch grundsätzlicher für die Frage, wie man dem Leben an jedem Tag noch alles abgewinnen kann.
„Die dritte Hälfte“ von Sabine Peters: Lokalkolorit, mit leichter Hand aufgetragen
Das Lokalkolorit ist in diesem Text mit leichter Hand aufgetragen. Dass sich hinter der Figurensprache die Autorin selbst zu erkennen geben könnte? Durchaus möglich, jedoch ganz unerheblich. Die Perspektive des Flaneurs liest man so oder so im Modus des Wiedererkennenden: „St. Georg breitete die Arme aus. Der Brummer hatte Zeit und ging auf Umwegen durchs Viertel. Ein Blick aufs Schauspielhaus, das jedem ordentlichen Kunsthistoriker ein Dorn im Auge war: Neubarock, Marzipantorte und Historismus. Zuckerbäckerei. Kunsthistoriker, auch noch als Pensionär. Sehr schön.“ Brummer ist übrigens bei Online-Partnerbörsen aktiv, aber er kennt seine Zielgruppe. Eine 20-Jährige im bauchfreien Top? „Er sah ihr nicht nach; zu jugendlicher Nacktheit fiel ihm bloß noch Nierenentzündung ein.“
Sabine Peters zeigt in „Die dritte Hälfte“ einmal mehr das leuchtende Handwerk einer Schriftstellerin, die es vermag, federleicht, aber nicht oberflächlich von den Menschen, ihren Bedürfnissen und Nöten zu erzählen. Sollte einen die Sache mit dem Altern beunruhigen: Dieses Buch ist literarisches Johanniskraut. In die Sammlung „Schönste erste Sätze und Romananfänge“ gehört übrigens unbedingt der Kick-off dieses Romans: „Abends in Hamburg, Windstille und feiner Regen“.