Hamburg. Ein Zweiteiler über die Hamburger Musikszene stieß ihm übel auf: Wie ein toller Musiker im Internet kurz mal die Fassung verlor.

  • Bernd Begemann kritisiert neue NDR-Doku
  • Bericht über Hamburger Musikszene missfällt Künstler
  • Auf Facebook bekommt Begemann nicht nur Zuspruch

Seit Ende Mai ist in der ARD-Mediathek die zweiteilige Dokumentation „Hamburger Schule“ zu sehen, ein Porträt der Musikszene in der Hansestadt der 80er- und 90er-Jahre. Der Hamburger Musiker Bernd Begemann hat sich nun auf Facebook mit drastischen Worten zu der Doku geäußert. Der Film der NDR-Journalistin Natascha Geier sei „ignorantes Ego-Gewixe“. Geier kenne die Musik nicht, „hat sie größtenteils nicht gehört, ist sich ihrer Existenz teilweise nicht einmal bewusst“.

Außerdem schreibt der 61-jährige Begemann über Geier: „Sie hat nicht genug Neugier in sich, um die fiebrigen Auseinandersetzungen, volatilen Allianzen und ehrgeizigen Entwürfe zu erforschen, die unsere Stadt Anfang der 90er elektrisierten. Sie lässt die „Hamburger Schule“ zum großen Teil erzählen von Personen, die niemals irgendjemand für „Hamburger Schule“ gehalten hat, die bis vor Kurzem auf gar keinen Fall so bezeichnet werden wollten. Sie macht Personen zu ,Gesichtern‘ der „Hamburger Schule“, die in Berlin lebten. Aber sie kennt Daniel Richter, wow, ein Weltstar.“

Bernd Begemann kritisiert NDR-Doku: „Er hätte unbedingt vorkommen müssen“

Tatsächlich kommt der Maler Richter, der sich, damals noch in Hamburg lebend, im Dunstkreis mancher Bands bewegte und die Plattencover der Goldenen Zitronen gestaltete, in der Doku „Hamburger Schule“ mehrfach zu Wort. Für Begemann, der zu den Gründungsvätern der Szene gehört, enorm einflussreich war und bis heute vor allem auch als toller Live-Entertainer ein Publikum findet, gilt das nicht. Erwähnt wird er immerhin, es gibt auch einen Filmschnipsel zu sehen, in dem er vorkommt.

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Ist das ein Versäumnis? Sicher. So sieht es auch Bernadette La Hengst, die Frontfrau der Band Die Braut hat ins Auge. Sie sagt dem Abendblatt auf Anfrage: „Er hätte unbedingt in dem Film über die ,Hamburger Schule‘ vorkommen müssen. Aber es gibt noch mehr einflussreiche Protagonistinnen und Protagonisten dieser Szene, die ebenfalls nicht vorkommen, deshalb ist es nicht richtig, die Filmemacherin für ihre Auswahl so zu verurteilen.“

NDR-Doku „Hamburger Schule“: Sexistische Erfahrungen, die Frauen in der Szene machten

Natascha Geiers Zweiteiler ist nicht (und will das auch gar nicht sein) das letztgültige Porträt einer wichtigen Szene, die die deutschsprachige Musik aus Hamburg entscheidend prägte. Im Gegenteil untersucht der Film die „Hamburger Schule“ bewusst in Ausschnitten. Ob man dafür auch die Form der Ich-Erzählung wählen musste? Warum eigentlich nicht? Geier war dabei, und die Ich-Perspektive wirkt oft auch erfrischend besonders da, wo Geier ein für sie zentrales Thema mehr als nur anschneidet: die männliche Dominanz in der Szene, die gleichbedeutend mit sexistischen Erfahrungen der Frauen in jener Szene war.

Im Film „Die Hamburger Schule – eine Musikszene zwischen Pop und Politik“ tritt unter anderem Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow auf.
Im Film „Die Hamburger Schule – eine Musikszene zwischen Pop und Politik“ tritt unter anderem Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow auf. © NDR/Sven Wettengel | NDR/Sven Wettengel

Begemann kritisiert diese Stoßrichtung des Films nicht und scheint auch keine tiefgründige wissenschaftliche Aufarbeitung (Seminar- und Magisterarbeiten dürfte es noch und nöcher geben) zu erwarten, stört sich aber daran, wie seine deftigen Zeilen („RTL2-Lifestyle-Blödsinn“) erahnen lassen, dass die Bedeutung der Szene nicht kräftig genug herausgearbeitet wird.: „Es gab aber großartige Musik, es gab Erfindungen, es gab Ideen, die heute noch leuchten. Und, ja, es gab eine dunkle Seite der damaligen Szene: Gemeinheiten, Verrat, Seifenoper-Verwicklungen. Natascha Geier hat nicht die journalistischen Mittel, um diese Geschichte zu erzählen.“ Seine emotionale und insgesamt unfaire Abrechnung mit der Filmemacherin beendet Begemann so: Einem „von persönlicher Agenda triefenden IchIchIch-Vlog“ den Titel „Hamburger Schule“ zu geben sei „eine Frechheit, Etikettenschwindel, es ist infam“.

Bernd Begemann: Zuspruch und Kritik in den sozialen Netzwerken

In den sozialen Netzwerken gibt es Zuspruch für Begemann, was die Auswahl und Schwerpunkte Geiers angeht, und Trost. „Ich weiß, so was kratzt arg am Ego. (...) ich kleb‘ dir ein Pflaster auf die wunde Stelle!“, schreibt ein User. Eine Userin: „Du hast doch Erfolg, du wirst doch gehört. Ein Film, ja, ist wie ein Song. Mit Refrain, in dem immer die Gleichen reden. Mit Verkürzung, Vereinfachung, klar. Zwei halbe Stunden. Ein Klacks. Sie hat Frauen viel Platz eingeräumt, das finde ich gut. (...) Die Leute lieben deine Musik. Ist doch die Hauptsache.“

Christiane Rösinger war Sängerin der „Lassie Singers“ und kommt in der NDR-Doku „Hamburger Schule“ zu Wort.
Christiane Rösinger war Sängerin der „Lassie Singers“ und kommt in der NDR-Doku „Hamburger Schule“ zu Wort. © NDR/Sven Wettengel | NDR/Sven Wettengel

Klare Worte des Unverständnisses („Es sieht leider nach verletzter Eitelkeit aus. Cringe“) stehen neben richtigen Feststellungen („Ohne Dich und die Antwort hätte es die ,Hamburger Schule‘ nicht gegeben. So einfach ist das“). Mit der Musikerin Christiane Rösinger kommentiert eine Protagonistin, die im Film selbst vorkommt, Begemanns Post wie folgt: „Ich verstehe deinen Gram, aber die Regisseurin anzugehen ist so (Hamburger) old school … und die ganzen Diskussionen auf Facebook sind so entlarvend und enthalten alles, was ich an der Männnermusikszene immer gehasst habe.“ Ein anderer Kommentator schreibt: „Als Künstler sollte man die Größe haben, nicht das letzte Wort haben zu müssen, weil man ja die Kunst hat. Diese Rechthaberei mit dem Wort, vulgo: Diskurs, war schon im Sorgenbrecher scheiße.“

Womit bewiesen wäre: Mit der unterhaltsamen, nicht endgültigen (am 7. Juni erscheint das „Hamburger Schule“-Buch „Der Text ist meine Party“) Doku Natascha Geiers und Bernd Begemanns emotionaler Frust-Wortmeldung zu dieser wird so viel über eine frühere, großartige Version Musik-Hamburgs gesprochen wie lange nicht. Den Diskurs(!) sollte man dringend am Laufen halten.

Zum Beispiel mit einer Doku über Bernd Begemann.

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