Hamburg. Karin Beier stellt ihre neue Spielzeit vor. Dabei sind Erich Kästner, Strunks „Sommer in Niendorf“ – und ein radikal neues Konzept.

Ach, was soll der Geiz, wenn’s doch einfach so ist: „Es läuft gerade sensationell gut!“, stellt Karin Beier, Intendantin am Deutschen Schauspielhaus, zur Saisonpressekonferenz nachdrücklich fest. Passend zum roten Faden der noch laufenden Spielzeit, die mit „Dionysos“ und Ouzo und Beiers so spektakulärer wie erfolgreicher Antiken-Theaterserie eröffnet hat: Rausch und Ekstase. Auf der Bühne sowieso – und davor mit einer durchschnittlichen Gesamtauslastung von 84 Prozent auch. 61.000 Einzeltickets wurden allein für die fünf „Anthropolis“-Folgen verkauft, ein Höhepunkt in Hamburgs Kulturjahr. Vor-Corona-Niveau sei das in jedem Fall, bestätigt Schauspielhaus-Geschäftsführer Friedrich Meyer, am Ende wohl sogar „die überhaupt erfolgreichste Spielzeit der Intendanz von Karin Beier“.

Wenn aber auf den Rausch in der Regel die Ernüchterung folgt – was heißt das dann für die kommende Saison? Zunächst einmal: dass man erst recht und unbedingt (weiter) regelmäßig ins Theater gehen sollte, diesen tröstlichen Ort der Gemeinschaft und kollektiven Erfahrungen, der sich der „Müdigkeit und Ratlosigkeit“, wie Beier sie überall wahrnimmt, so tapfer entgegenstemmt. Inhaltlich wird am Schauspielhaus die Beschäftigung mit „Beharrungszuständen“, „geschlossenen Systemen“ und der „Unwilligkeit neu zu denken“ eine Hauptrolle spielen. Das permanente „Gefühl einer sich anbahnenden Katastrophe“ schüre ein überbordendes Sicherheitsbedürfnis, den Wunsch nach „Erhalt eines rückwärtsgewandten Istzustands“. Damit will sich das Schauspielhaus-Programm in der Saison 2024/2025 beschäftigen.

Deutsches Schauspielhaus Hamburg: Karin Beier setzt auf Heinz Strunk, Joachim Meyerhoff, Fatih Akin und Bertolt Brecht

Den Auftakt macht erneut die Intendantin selbst: Karin Beier inszeniert Bertolt Brecht. „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ sei für sie „eine Art Endspiel“ in einer „moralisch wie ökonomisch überschuldeten Gesellschaft“. Die Figuren schwanken darin zwischen Starre, Paranoia und Betäubung – und sie sind hier absolut vielversprechend besetzt: mit Joachim Meyerhoff und Kristof Van Boven in den Titelrollen. Es ist ihre erste gemeinsame Theaterarbeit, Saisoneröffnung ist am 19. September.

Joachim Meyerhoff, Schriftsteller und Theaterstar, gastiert zur Spielzeiteröffnung als Bertolt Brechts Puntila am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.
Joachim Meyerhoff, Schriftsteller und Theaterstar, gastiert zur Spielzeiteröffnung als Bertolt Brechts Puntila am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. © dpa | Soeren Stache

Ebenfalls ein Debüt ist die Verpflichtung der Regisseurin Anita Vulesica, die sich in „Die Maschine oder: Über allen Wipfeln ist Ruh“ um künstliche Intelligenz und das Wesen der Poesie kümmert (Premiere: 12. Oktober). Ein Wiedersehen gibt es anschließend mit der britischen Regisseurin Katie Mitchell und der Dramatikerin Alice Birch, die mit ihrer Schauspielhaus-Produktion „Anatomie eines Suizids“ 2020 zum Berliner Theatertreffen eingeladen waren. Weibliche Unterdrückung und der globale Backlash gegen Frauenrechte ist ab November ihr gemeinsames Thema. Mit einer Überschreibung von „Bernarda Albas Haus“, einer deutschsprachigen Erstaufführung, wagen sie erneut eine Montage von diesmal sogar acht Parallelhandlungen.

Schauspielhaus: Heinz Strunks Bestseller „Sommer in Niendorf“ feiert Ende März 2025 Premiere

2024 jähren sich der 125. Geburtstag und der 50. Todestag des Schriftstellers Erich Kästner, dessen Bücher 1933 von den Nazis verbrannt wurden. Sein autobiografischer Großstadtroman „Fabian oder: Der Gang vor die Hunde“ war eine Warnung vor diesem „Abgrund, dem sich Deutschland und damit Europa nähert“. Die von Beier beschriebene, sich ankündigende Katastrophe – hier ist sie besonders deutlich spürbar. Dušan David Pařízek adaptiert den tragisch hellsichtigen Kästner-Text im Dezember für die Bühne der Gegenwart.

Ein insgesamt eher schwermütiger Spielzeitbeginn? Die Zeiten, sie verlangen es so. Im Februar allerdings dürfte das bewährte Duo Bürk & Sienknecht in dieser Hinsicht für eine Atempause sorgen: „Radio Schiller“ geht mit Sturm und Drang auf Sendung, „Kabale und Liebe – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ ist nach den Rennern „Effi Briest“, „Anna Karenina“ und den „Nibelungen“ nun Teil vier der hingebungsvoll schrulligen, musikalischen Theaterklassiker-Verhohnepipelung.

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Was die Regisseurin Karin Henkel im Frühjahr auf die Bühne bringen wird, steht noch nicht fest. Dafür eine literarische Uraufführung, die am 28. März Premiere feiert: Heinz Strunks Bestseller „Ein Sommer in Niendorf“ passiert in, was sonst, der Inszenierung des Humor-Kollektivs Studio Braun, dem Strunk bekanntermaßen angehört. Mit diesem alkoholseligen „norddeutschen Zauberberg“ dürfte die Spielzeit dann auch dem Rausch wieder ganz nah kommen, bevor die KI in der letzten Inszenierung auf der großen Schauspielhaus-Bühne erneut übernimmt. Thematisch, versteht sich. Am Regiepult treffen sich dafür Falk Richter und Anouk van Dijk, deren Kollaboration vor einem halben Jahrhundert auf Kampnagel begann und die am Schauspielhaus nun für „A Perfect Sky“ mit Schauspielerinnen und Tänzerinnen arbeiten.

Heinz Strunk ist ein gern gesehener Gast auf der Bühne des Deutschen Schauspielhauses. Sein „Sommer in Niendorf“ kommt hier 2025 zur Uraufführung.
Heinz Strunk ist ein gern gesehener Gast auf der Bühne des Deutschen Schauspielhauses. Sein „Sommer in Niendorf“ kommt hier 2025 zur Uraufführung. © Andreas Laible | Andreas Laible

Am Jungen Schauspielhaus stehen derweil unter anderem eine „Nils Holgersson“-Bearbeitung und Fatih Akins „Aus dem Nichts“ auf dem Spielplan, während Karin Beier mit der radikalen Neuordnung des Malersaals ein ästhetisch und inhaltlich eindrückliches Experiment wagt: Unter dem etwas verkopften Titel „Realnische 0“ wird die Zweitspielstätte samt Foyer zum begeh- und bespielbaren Kunstobjekt für ein eher studentisches Publikum. Die Künstlerin Julia Oschatz hat aus vorhandenem Fundus-Material schwarz-weiße Räume entworfen, in denen ab Ende September jeweils donnerstags bis sonntags Theater, Musik, Diskussion oder Party stattfinden sollen – „damit Hamburg weiß, dass in der Realnische immer was los ist“. Bleibt für die kommende Schauspielhaus-Saison festzuhalten: Wer der „Unwilligkeit neu zu denken“ derart markant die Stirn bietet, wird womöglich doch noch einmal mit Rausch und Ekstase belohnt.

Ab sofort sind neue Marathon-Tickets für die Antiken-Serie „Anthropolis“ im Vorverkauf für Oktober, November, Januar und Februar unterwww.schauspielhaus.de