Der Autor legt seinen Roman „Ein Sommer in Niendorf“ vor. Es geht um den „hässlichen Zementhaufen“ und einen Mann, der mit allem hadert.
- Heinz Strunks Held im neuen Roman ist für ein Sabbatical an die Neustädter Bucht gereist
- In „Ein Sommer in Niendorf“ begegnet man sich in der hässlichsten Version seiner selbst
- Strunk ist mit seinem neuen Roman in die klassische Phase eingetreten
Heinz Strunks Prosa ist ein Produkt akkurater Sprachbetrachtung. Abgegriffene Formulierungen werden immer ironisch gekennzeichnet. Die Daseinsform „Ostseebad“ ist in diesem Zusammenhang eine Ballung von Phrasen. Strandstraße, Möwenweg, Hafenstraße, Uferweg, „und so weiter“. An der Küste, das fällt einem wie Heinz Strunk in jedem Fall auf, hat jeder Ort Straßennamen wie diese. Ist natürlich eine Zumutung.
Das gilt für alles im Grunde, für alle Erscheinungen und Geschehnisse im literarischen Strunk-Kosmos. Man wird, so als Mann jedenfalls, ja grundsätzlich von der Welt bedrängt. Georg Roth, der Held in Strunks neuem Roman „Ein Sommer in Niendorf“, ist für ein Sabbatical an die Neustädter Bucht gereist, und sein Schöpfer Strunk gönnt ihm zunächst die Labsal des „mehligen“ Kopfs angesichts des „dunstigen“ Horizonts und reinigende spätabendliche Momente auf der Seebrücke: „Der Mond, denkt er, so schön und rund wie eine menschliche Träne“.
Heinz Strunk: Die hässlichste Version seiner selbst
Aber sonst: Alles ganz grässlich. Die Sonne am Himmel, Dunkelheit im Herzen. „Eingekerkert im selbstgewählten Exil, einem hässlichen Zementhaufen namens Niendorf. Niendorf, Timmendorfer Strand, Scharbeutz, Haffkrug, Sierksdorf, Siebzigerjahre-Schrottarchitektur, Bausünden ohne Charme und Schönheit“, tja, Augen auf bei der Wahl der Urlaubsdestination.
Roth könnte freilich überall sein, es ist sein innerer Zustand, den er im Außen findet. Sein Allgemeinbefinden war eigentlich gut, als er anreiste; er ist keine ganz typische Strunkfigur, kein tief ins Deklassiertsein getauchter Verlierer wie der Sex-frustrierte Jürgen oder der Frauenmörder Honka. Wobei im „Goldenen Handschuh“ auch hochwohlgeborene Reederei-Erben eine Rolle spielten.
Trotzdem kein Vergleich zu hier: In seinem neuen Roman zelebriert Strunk in gewohnt ungehemmter Manier das Abrauschen aus dem hart erarbeiteten Hochplateau. In „Ein Sommer in Niendorf“ ist die Ostseeküste ein Ort, an dem man sich in der hässlichsten Version seiner selbst begegnet.
Die Verschattung einer Seele
In Roths Fall ist das nicht zuletzt der schwere Schnapsbudenbetreiber, Appartement-Verwalter und Strandkorb-Verschieber Breda. Im Laufe der Handlung wird aus der Ablehnung dieser Küstenkreatur, eines schweren Trinkers, zunehmend Annäherung. Weil in Roth, dem 51-jährigen gut betuchten, geschiedenen Wirtschaftsanwalt, der vor dem Antritt eines neuen Jobs eine Pause braucht, das gleiche Verderbnis angelegt ist.
Es ist die Verschattung der Seele, der alkoholische Film, der sich auf ein viril versehrtes Wrack legt und das Gift des Versagens injiziert, was Strunk aufs Neue vor der Leserschaft ausbreitet. Aus der Wohlanständigkeit der besseren Großstadtkreise wird der versoffene Existenzialismus der Gosse, sie liegt hier zufällig in der Sommerfrischenidylle.
Einst war die Gruppe 47 in Niendorf
In Niendorf gipfelt Roths Existenz in trüber Hoffnungslosigkeit, sein Leben mutiert zu einer Serie von Fehlschlägen. Biografisch legt der Mann mit gescheiterter Ehe und entfremdeter Tochter paradoxerweise da, wo Entschleunigung herrschen soll, den Turbo ein, bis er am Ende beinah unrettbar verloren ist.
Dabei sollte doch alles anders, schöner, besser werden; Roth lechzte bei seiner Ankunft noch nach dem Triumph der Neugeburt. An der Ostsee! In Niendorf, wo die berühmte Gruppe 47 im Jahr 1952 tagte, will er die Geschichte seiner Familie aufschreiben. Deutschlands Literaturheroen sollen Spalier stehen, wenn ein Genie neu im Game ist. Doch die Unternehmung des Möchtegern-Künstlers wird von Breda (Merkmal: „zwei auf den Sauf-Spitzbauch herabhängende Titten“) torpediert.
Roth versinkt im Cola-Rum-Morast
Roth verkommt zum schluckenden Dauertouristen, der mit dem willfährigen Abschweifen vom Karrieristenweg seine inneren Dämonen weckt. Selbst-, Welt- und Klischeeekel brechen sich Bahn. Roth stellt einer Restaurantbedienung („jung, drall, dümmlich, irgendwie unverschämt und lädt zum Träumen ein“) nach; er verbringt ein fürchterliches Wochenende mit einer alten Bettbekanntschaft und trifft auf seine Tochter Fiona, die er verachtet („Die dumme Nuss gibt’s ja auch noch“). Er säuft in der Dorfkneipe.
Er versinkt mehr und mehr im Cola-Rum-Morast, sucht kurzfristige Erlösung vom Urlaub im Urlaub zu Hause, semmelt dort seiner frömmelnden Exfrau eine rein, bringt auf der Rückfahrt nach Niendorf einen Mann zu Fall, begeht Fahrerflucht.
Strafe mit Beteiligung des Gesäßes
Dabei ist er längst der Mann, der Don-Draper-gleich, wie jener haltlose Werber in der Topserie „Mad Men“, im Fall begriffen ist. Strunk lässt seine Figur auf Art des Hauses vor sich selbst kapitulieren. Das ist ebenso erschütternd wie komisch (die Kneipendialoge!). Wobei Strunk, der 60 geworden ist und seinen Geburtsort nicht mehr mit Hamburg, sondern mit Bevensen angibt, diesmal die Fallhöhe interessiert. Er will den misogynen Juristen vom hohen Ross herunterholen und scheut dafür brachiale Mittel nicht.
Für einen bestimmten der vielen bitteren Momente – vorübergehende Linderung vom Elend erlangt Roth nur beim alten Ehepaar Klippstein vom Apartment nebenan, das ihm Geborgenheit in der Betulichkeit anbietet – gibt es dann wohl den Highscore. Nämlich da, wo der Freund der Kellnerin die demütigende Bestrafung fürs Stalking („Schneller. Tiefer. Rausziehen und dran riechen“) exekutiert. Georg Roth muss sich seinen Mittelfinger vor der jungen Dame ganz tief ins Gesäß schieben.
Heinz Strunk in die klassische Phase eingetreten
Vielleicht mag dem Autor Heinz Strunk, der mit seinem neuen Roman in seine klassische Phase eingetreten ist (selten hat er so pointiert erzählt) der ein oder andere Niendorfer dasselbe wünschen. Sofern er denn Rollenprosa von Autorenmeinung nicht unterscheiden kann.
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Die Kulinarik im Badeort („Wie erwartet unterdurchschnittlich, alles“) ist das Pars pro toto für die Haltung zum Leben an sich. Blöd nur, dass es Da Antonio, Schipper-Stuv und Akropolis wirklich gibt. Aber eine Figur wie Roth muss einen feinen Gaumen haben. In diesem Buch schmeckt er zunehmend die Bitternis.