Hamburg. Die Schauspielhaus-Saison eröffnet mit dem Houellebecq-Bestseller „Serotonin“. Regisseur spricht über zerstörerische Männer.
Freundlich, verbindlich, klar. Kompromisslos? Wenn nötig. Der Hamburger Theaterregisseur und Dramatiker Falk Richter trifft mit seinen Stücken und Inszenierungen in jedem Fall meist sehr genau den Nerv der Zeit. Mit Charakteren, die an sich und der Welt verzweifeln, hat er eine gewisse Erfahrung. Beides verbindet ihn mit dem französischen Schriftsteller Michel Houellebecq. Mehr noch allerdings dürfte die beiden unterscheiden. Wahrscheinlich jedenfalls – bei Houellebecq weiß man ja weltanschaulich nie so genau.
Weshalb es ganz besonders interessant ist, dass Falk Richter die erste Premiere der Saison am Schauspielhaus inszeniert. Mit „Serotonin“ steht eine ebenso süffige wie zynische Gegenwartsabrechnung auf dem Spielplan. Und eine Welturaufführung – auch in Frankreich war der umstrittene, vielfach auch hymnisch besprochene Roman bislang auf keiner Bühne zu sehen.
Sprechen wir zum Warmwerden mal über den „alten weißen Mann“, über den zur Zeit viel geschrieben wird, der heftig kritisiert und mindestens ebenso heftig verteidigt wird. Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq ist einer, sein Roman-„Held“ auch – warum Sie nicht?
Falk Richter Ich bin auf jeden Fall im Alter der Hauptfigur! Ich war zuerst überrascht, dass Houellebecq die große Lebens- und Sinnkrise auf diesen Zeitraum gelegt hat, Ende 40 bis 50…
Ist das nicht ideales Midlife-Krisen-Alter?
Ich hatte meine schon ein bisschen eher… (lacht) Er beschreibt in seinem Roman sehr krass und exzessiv einen Mann, der sein Leben hasst, die Umwelt hasst, in einer Nicht-Beziehung mit einer jungen Frau steckt. Interessant an dieser Figur ist die ständige Negativität, mit dem er auf die Welt reagiert. Er hat eine große Wut auf alles – die Frauen, die Regierung, seinen Beruf, sich selbst – und einen zutiefst unempathischen Blick auf die Welt. Dadurch gerät er selbst immer mehr in eine Depression.
Karin Beier hat ihren Spielplan unter das Thema „Endzeitstimmung“ gesetzt. Zum Auftakt also Männerdämmerung – warum wollten Sie das gern machen?
Mich hat die Auseinandersetzung mit dieser toxischen Männlichkeit interessiert. Im Moment gibt es so viele Männer, die Parteien wählen, die letztlich nichts Positives für unsere Gesellschaft vorhaben, die sich vor allem destruktiv äußern. Mich hat interessiert, warum so viele Männer an der Macht sind, die das Klima zerstören, sich homophob und frauenfeindlich äußern. Warum ist diese Männlichkeit verbunden mit Rassismus und mit einer Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Planeten und der Natur? Woher kommt dieses völlig Egomane? Für mich persönlich steht diese Inszenierung außerdem in einer Art Dreier-Schritt hier am Schauspielhaus: Zuerst habe ich Elfriede Jelinek inszeniert, die feministische, jüdische, früher kommunistische Autorin, die sich scharf mit Trump auseinandersetzt und von Neurechten immer wieder für ihre Positionen angegriffen wird. Dann habe ich mich mit David Bowie beschäftigt, einem queeren Popstar, der alle Gendergrenzen sprengt und lustvoll und kunstvoll neue Ästhetiken und Parallelwelten geschaffen hat. Jetzt habe ich mit Michel Houellebecq einen Autor, der einen weißen, männlichen, konservativen Blick auf die Gesellschaft hat, total umstrittenen ist, allerdings die Bestsellerlisten anführt. Ein Autor, der eine zynische Gesellschaftsanalyse vornimmt und darin auch so einen neurechten Blick verarbeitet.
Wir wissen als Leser nie genau, ob das seine Position ist – oder gerade nicht.
Genau, er inszeniert sich auch als Kunstfigur, lobt Trump, versucht ständig die Linken und die Kulturszene zu provozieren.
Wenn Sie sich jetzt also mit Houellebecq beschäftigen – ist das für Sie Wärme durch Reibung?
Ja, ich reibe mich an dem Material. Seine Romanfigur ist total ambivalent. Es gibt Momente, in denen ich mit diesem Mann mitfühlen kann – und andere, in denen ich denke: Ja, wer sich so destruktiv und asozial verhält, wer innerlich so zerfressen ist, der löst sich auf. Wer alle Frauen für Schlampen hält, der wird halt einsam. Ich sehe das als Bild für eine Gesellschaft, der die Empathie abhanden kommt. Und trotz der vermeintlichen „Männerdämmerung“ sind diese Männer ja noch immer an der Macht. Die Klimakatastrophe „droht“ nicht – wir sind mittendrin. So eine Gesellschaft, in der wir eine Verrohung in Teilen ja beobachten können, ist dem Untergang geweiht.
David Bowie feiern Sie, mit Jelinek verbindet Sie ein freundschaftliches Verhältnis – haben Sie ein Verhältnis zum Menschen Houellebecq? Kennen Sie sich persönlich?
Nein, gar nicht. Ich inszeniere ja oft in Frankreich und tatsächlich ist er dort noch umstrittener. Freunde und Kollegen dort konnten teilweise gar nicht verstehen, warum ich diesen „grauenhaften Roman“ auf die Bühne bringe.
Was sagen Sie dann?
Ich habe zum Beispiel mit dem französischen Autor Édouard Louis lange diskutiert und habe versucht, ihm zu erklären, warum ich auch mal eine andere Sichtweise zeigen will. Nicht nur meine. Houellebecq liefert mir Material, um mich mit der Welt von heute auseinanderzusetzen. Dafür muss ich ihm nicht in jedem Punkt zustimmen. Das könnte auch ein Autor sein, den jemand wie Martin Sellner von den Identitären gut findet, das ist mir bewusst. Ich fand Michel Houellebecq aber schon immer interessant, schon vor zehn Jahren habe ich einen Roman von ihm inszeniert, „Karte und Gebiet“ in Düsseldorf. Er hat ja immer schon gesellschaftlich relevante Stoffe vorgelegt. Die ich ernst nehme. Dass ganze Gebiete veröden, dass die Landbevölkerung abgehängt wird, auch darum geht es ja in diesem Roman. Und diese Hardcore-Beziehungslosigkeit, die er beschreibt, finde ich extrem spannend, die Unfähigkeit Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, ist ja symptomatisch für viele Menschen in unsrer Gesellschaft.
Karin Beier hat bei der Vorstellung ihres Spielplans gesagt, sie hoffe, mit dieser Inszenierung Diskussionen anzuzetteln. War das Ihr Arbeitsauftrag? Möglichst kontrovers zu sein?
Das bin ich ja öfters mal mit meinen Inszenierungen… (lacht) Tatsächlich führen wir innerhalb des Ensembles viele Diskussionen! Die Art, wie hier im Stück mit Frauen umgegangen wird, knallt ja total gegen alles, was die #MeToo-Debatte erreichen will, nämlich einen respektvollen Umgang mit Frauen. Die Romanfigur von Michel Houellebecq kategorisiert Frauen danach, wie gut sie ihm beim Geschlechtsverkehr dienen. Es gibt kaum gehaltvolle, von Liebe und Respekt geprägte Beziehungen im Roman. Der Romanheld hat homophobe, rassistische Ansichten, ist EU-feindlich, schaut verächtlich auf Migranten – wie eben viele in den westlichen Gesellschaften. Der Roman trifft also einen Nerv unserer Zeit. Das stellen wir zur Diskussion.
Verstehen Sie sich als politischer Regisseur?
Ja – in dem Sinne, dass ich mich auf persönliche und künstlerische Weise mit gesellschaftsrelevanten politischen Themen auseinandersetze. Was bewegt uns gerade, was sind zerstörerische Kräfte, welche Kräfte gefährden womöglich Menschenleben? In meinem eigenen Stück „Fear“ habe ich diese neurechte, neufaschistische Bewegung thematisiert – das war vor vier Jahren. Inzwischen ist dieses neurechte Denken ja regelrecht explodiert. Das Gefährliche an dieser Ideologie ist, dass sie Hass säht und oft ganz konkret gegen einzelne Personen gerichtet ist und sprachliche Gewalt irgendwann umschlägt in echte Gewalt.
Sie standen damals nach der Uraufführung von „Fear“ mit AfD-Frau Beatrix von Storch vor Gericht. In Sachsen-Anhalt hat die AfD inzwischen gefordert, Theater müssten vor allem deutsche Klassiker zeigen, und zwar so, „dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen“, in Stuttgart gab es erst kürzlich den Antrag, alle nicht-deutschen Ensemblemitglieder zu identifizieren. Es gibt immer mehr Angriffe von Rechtspopulisten und Rechtsextremen auf Kultureinrichtungen. Inwiefern betrifft diese Entwicklung Ihren Arbeitsalltag?
Im Moment gibt es für mich persönlich keine Beeinträchtigung. Es gab allerdings insgesamt vier Gerichtsverfahren gegen mich wegen „Fear“, das war enorm zeitaufwendig. AfD-nahe Menschen haben Kampagnen gegen mich persönlich gefahren. Das ist das Konzept: Diffamieren, Unwahrheiten verbreiten, Hass organisieren. Ich habe nach solchen Hetzkampagnen Morddrohungen bekommen und stand zeitweilig sogar unter Polizeischutz. Man darf das nicht unterschätzen. Natürlich ist so eine Situation bedrohlich, man weiß ja nicht, ob ein Verrückter sich von der AfD-Hetze aufgefordert fühlt, wie bei dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke. Ich finde es ganz wichtig, dass alle Theater gemeinsam dagegenhalten. Das kostet Zeit. Und Kraft. Aber es ist notwendig, ein klares Zeichen gegen rechte Hetze zu setzen.
In Ihren eigenen Stücken fragen Sie, ob eine offene Gesellschaft noch überlebensfähig ist. Zu welchen Schluss kommen Sie?
Houellebecq kokettiert zumindest mit reaktionären Positionen. Es gibt diese Typen, die wissen, dass sie damit eine enorme Aufmerksamkeit bekommen. Der Tabubruch kommt nicht mehr von links, er kommt von rechts. Das weiß jemand wie Sarrazin, das weiß ein Kolumnist wie Fleischhauer. Die spielen mit dem Feuer. Es gibt eben eine reale Bedrohung von echten, am Ende auch gewaltbereiten Männern. Die offene Gesellschaft ist ernsthaft in Gefahr und muss verteidigt werden. Aber: Es gibt auch Fridays for Future, es gibt auch jemanden wie Rezo, es gibt unglaublich starke Frauen wie Alexandria Ocasio-Cortez im US-Kongress, die von Trump sowohl als Frau als auch wegen ihres migrantischen Hintergrunds beleidigt wird und dagegen hält. Es gibt also Bewegungen und Gegenreaktionen und bei vielen Männern auch ein Umdenken. Es gibt nicht nur die Trumps und Bolsonaros. Ich bin nicht frei von Optimismus.