Hamburg. Grell und lustig: Mit beeindruckend hysterischer Energie knallen sich „Die Schattenpräsidentinnen“ höchst rasante Dialoge um die Ohren.

Der Etat für Haarspray dürfte am Deutschen Schauspielhaus ordentlich in die Höhe geschossen sein. Ebenso wie die Frisuren selbst: Bedrohlich steil getürmt, aufgetufft, straff gesprayt kommen sie daher, die sieben „Schattenpräsidentinnen“, deren Haarungetüme nur noch durch die krassen Schulterpolster und die spitzen Hüften übertroffen werden (Kostüme: Vanessa Rust).

„Eine Farce“, so steht es in – natürlich pinkfarbenen! – Buchstaben schon auf dem Vorhang, bevor sich die erste Frisurenpracht (sie gehört der Schauspielerin Sandra Gerling) an die Rampe schiebt, damit sich da auch keiner vertut. Und einen vielversprechend ausführlichen Untertitel gönnt die junge US-Dramatikerin Selina Fillinger ihrem Publikum außerdem: „Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu halten“. Buchstäblich, in diesem Fall. Selbst die Zielgruppe ist klar ausformuliert: „Für jede Frau, die sich jemals als Nebenrolle in einer männlichen Farce wiedergefunden hat“. Man könnte das verknappen: für jede Frau also.

Schauspielhaus Hamburg: „Meine Mumu übernimmt die Weltherrschaft!“

Im Programmheft werden sie in der „Reihenfolge ihrer emotionalen Nähe zum Präsidenten“ aufgelistet: Stabschefin Harriet (Gerling) ganz oben, seine Ehefrau zuletzt. Und auch sprachlich geht es gleich zur Sache; die Stabschefin zuckt und krampft, dann spuckt sie es aus, das allererste Wort des Abends: „Fotze!“

Comicfigurengrell: die „Schattenpräsidentinnen“ Angelika Richter, Amal Keller und Bettina Stucky am Deutschen Schauspielhaus.
Comicfigurengrell: die „Schattenpräsidentinnen“ Angelika Richter, Amal Keller und Bettina Stucky am Deutschen Schauspielhaus. © Thomas Aurin | Thomas Aurin

Spätestens jetzt ist klar: Wir befinden uns im Weißen Haus. Wo der Präsident – soweit sind wir fraglos nah an der Realität der Trump-Jahre – sich in schöner Regelmäßigkeit derart danebenbenimmt, dass es einen ganzen Stab von Karrierefrauen braucht, um die Sauereien, die Geliebten und den ganzen Zwischendurch-„Scheiß in duweißtschon“ wieder einzufangen. Umzudeuten. Zu vertuschen. Zu entschuldigen. Aufzudecken. Aufzuwischen. Abzulenken. Je nach individueller Jobbeschreibung und persönlicher Ambition halt.

„Die Schattenpräsidentinnen“: Mit hysterischer Energie knallen sich die Spielerinnen rasante Dialoge um die Ohren

Da ist die Frauenquote, die nicht zusammenschrumpfen darf „wie ein Hodensack im Schnee“, weshalb 200 Feministinnen zur „LmaA“ geladen sind, „Landfrauen für moderne alternative Agrikultur“ – wer sich mit Abkürzungen und Akronymen auskennt, ahnt, dass der Titel nicht glücklich gewählt ist. Da ist außerdem das immer noch nicht entfernte „Ding auf seinem ...“, weshalb POTUS (so heißt auch das Stück im Original: President Of The Unites States) gerade nicht sitzen kann. Was nicht nur rektale, sondern umgehend auch diplomatische Spannungen auslöst. Blöderweise wäre die medizinische Erklärung fast noch peinlicher als ein Atomkrieg.

Grandioses, rein weibliches Ensemble am Deutschen Schauspielhaus – und eine erschöpfte Erkenntnis: „Typen wie der gehen nicht unter. Wir sind diejenigen, die untergehen.“
Grandioses, rein weibliches Ensemble am Deutschen Schauspielhaus – und eine erschöpfte Erkenntnis: „Typen wie der gehen nicht unter. Wir sind diejenigen, die untergehen.“ © Thomas Aurin | Thomas Aurin

Claudia Bauer, die mit dieser deutschsprachigen Erstaufführung und mit knallbuntem Wumms ihr Debüt als Regisseurin am Schauspielhaus gibt, überdreht die bewusst groteske Vorlage lustvoll. Wie ein Haufen greller Comicfiguren schüttelt und krakeelt sich das durchweg fantastische Ensemble durch die Bühne von Andreas Auerbach, der der genau getimten Klipp-Klapp-Komödie reichlich Türen zur Verfügung stellt. Wie eine „West Wing“-Folge auf Speed wirkt der schrille Abend, nukleare Abrüstung ist da höchstens ein Themen-Snack auf dem Schlachtfeld von „dominanten Kühen“. Denn es geht um Weiblichkeit, sogar: um Feminismus. Oder um dessen Abwesenheit? Darum jedenfalls, wie die Akteurinnen in ihrer aufopferungsvollen Care-Arbeit den Idioten erst ermöglichen, die Inkompetenz decken, sich breitschultrig an männlichen Spielregeln bedienen, bis hin zu den kerligen Formulierungen: „Leck mir die Eier!“

Premiere am Schauspielhaus: Die Mätresse des Staatsoberhaupts (Linn Reusse) kotzt himmelblau

Der Typ mit der größten Tür, die maskuline Macht im Zentrum allen weiblichen Wirkens und Seins, taucht den ganzen Abend nicht auf. Nur zwei Beine ragen kurz ins Bild, Text haben die keinen. Den übernehmen die wirbelnden, dauerplappernden Frauen: „Hier sind alle anstrengend“, fasst es die Präsidentschaftssekretärin zusammen, und, ja, das kann man schon so stehen lassen. Weibliche Solidarität entsteht (kurz) erst im späteren Verlauf, wenn auch die Pressesprecherin (Josefine Israel) ahnt: „Typen wie der gehen nicht unter. Wir sind diejenigen, die untergehen.“ Mit beeindruckend hysterischer Energie knallen sich die Ladys bis dahin die höchst rasanten Dialoge um die Ohren.

Die Journalistin jagt nach der Superstory, muss aber permanent Muttermilch abpumpen (Amal Keller, mit Saugglocken, die aussehen wie Barbie-Pömpel), die Mätresse des Staatsoberhaupts (Linn Reusse) kotzt hinreißend himmelblau und verkündet alle zwei Minuten ihre Schwangerschaft, Sekretärin Stephanie (Angelika Richter) hält mit Hitler-Schnarren und in Power-Pose die mindestens so durchgeknallte Präsidentengattin (Sachiko Hara) vom Oval Office fern. Und die prollige Präsidentenschwester (Bettina Stucky) ist aus dem Gefängnis ausgebrochen und vertickt ihre Pillen jetzt an den Secret Service. Durchatmen ist für Anfänger.

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All das passiert in flottem Tarantino-Tempo, während DJ Pro Zeiko dazu in einer der Schauspielhaus-Logen live auflegt. Das künstlich-kunstvolle Knallchargentum gibt jeder einzelnen Spielerin Raum zu funkeln, passgenaue schräge Choreinsätze ergänzen den Spaß.

„Schattenpräsidentinnen“: Weibliche Selbstermächtigung durch Auslöschung des Patriarchats

Irgendwann zücken alle ihre überdimensionalen (Papp-)Waffen, eine Leiche muss auch verschwinden, denn, ach ja, dem Präsidenten hat die Journalistin zwischenzeitlich ausgerechnet mit der marmornen Büste einer feministischen Ikone den Schädel eingeschlagen. Zack. Weibliche Selbstermächtigung durch (vermeintliche) Auslöschung des Patriarchats: „Meine Mumu übernimmt die Weltherrschaft!“

Die besseren Weltbeherrscher, so viel Erkenntnis muss sein, wären zumindest diese Frauen eher nicht. Die unterhaltsameren womöglich schon.

„Die Schattenpräsidentinnen – Oder: Hinter jeden großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu halten“, Deutsches Schauspielhaus, wieder am 17.4., 19.30 Uhr, 30.4., 20 Uhr, 5.5., 20 Uhr, 11.5., 19.30 Uhr Karten unter www.schauspielhaus.de