Hamburg. Das Schauspielhaus sendet die Gipfel der Verkalauerung aus dem „Güntherbewusstsein“: Das Prinzip ist bewährt, das Ensemble sowieso.
Vertraute Abläufe zum Warmkichern: Clemens Sienknecht, der mit feinem Ernst die Spielfläche vorbereitet, ein bisschen an der Loop-Station spielt, eine doofe Perücke und sehr nachdrückliche Schulterpolster trägt, links die Sitzgruppe, rechts der Plattenspieler, hinten die Bühne auf der Bühne (Ausstattung: Anke Grot). Same same, but different. Keine Radioshow diesmal, sondern ein „musikalischer Festakt“, keine literarische Vorlage wie Effi Briest oder Anna Karenina in den legendären „...allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“-Abenden, sondern eine fiktive. Der widmen sich Sienknecht und Barbara Bürk jedoch mit ähnlicher Liebe zur Schrulligkeit: „Günther Gründgens – ein Leben, zu wahr, um schön zu sein“.
Im Zentrum eine bis dato unentdeckte „menschliche Gipfelgottheit“, eben Günther, 1899 „als Sohn geboren“, dessen späterer Tod fraglos „ein tragischer Umstand in seiner Biografie“ war und zugleich eine Chance für den sich hier versammelnden Singkreis. Das nämlich ist das Setting: „Der Klub der Freunde des Günther Gründgens“ hat zum Kessel Buntes geladen, zur Nummernrevue mit Diavortrag, mitstenografierten Original-Choreografien und Tombola. Hingebungsvoll pendeln die Klub-Mitglieder, lauter „herbe Charakter-Schönheiten“, zwischen leberwurstbrotseligem Samstagabendshowflitter und tapfer weggelächelter Fremdscham, während sie unter zärtlichem Blockflöteneinsatz Erinnerungsarbeit leisten. Pathos inklusive: „Nur, wer so berühmt war, konnte so vergessen werden.“
Die Nummern rühren tief ans „Güntherbewusstsein“
Das Prinzip ist also nahezu das gleiche wie in den vorhergehenden Sienknecht-Bürk-Inszenierungen, selbst die kauzigen Werbespots und eingespielten Jingles gibt es noch (auch, wenn sie ohne Radio-Kontext weniger Sinn ergeben – wobei „Sinn“ aber eh nicht das zentrale Ziel des Abends sein dürfte). Einmal taucht die jüngste Erfolgsreihe auch ganz konkret auf – im Titel „Kann denn Liebe Günther sein – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“. Anspielungen in alle Richtungen.
Während die Nummern also tief ans „Güntherbewusstsein“ rühren, verschweigen sie nicht den eigenen „Güntherwertigkeitskomplex“. Wer an dieser Stelle schon die Augen verdreht: Das ist nur der Gipfel der hemmungslosen Verkalauerung, die dem Sprach-Knigge-Leitspruch „No jokes with names“, keine Witze mit Namen also, mal gepflegt den Mittelfinger zeigt. Dezenz ist Schwäche.
Hier paradieren die Spieler in Günther Gründgens’ berühmtesten Kostümen (aus „Der eingebildete Günther“, „Günthello“, „Günther, Dene, Voss“ oder „Peer Günther“) , präsentieren den Liederzyklus „Frühling, Sommer, Herbst und Günther“ und sammeln mit heiligem Ernst noch jede blöde Albernheit vom Wegesrand auf: das Motto „Lieber Falten im Hemd als ganz ohne Muster“, die Lebensweisheit „Frauen sind wie Tee, man muss sie ziehen lassen“.
Gründgens nimmt das Scheitern als Kunstform
Ein Gründgens verhindert jedenfalls auch am Deutschen Schauspielhaus keinen Niveaulimbo – was übrigens keinesfalls heißt, dass man sich nicht trotzdem ganz köstlich amüsieren kann. Denn die Konsequenz, mit der hier das Neben-der-Spur-Sein erneut liebevoll zelebriert wird, ist auch in der Wiederholungsschleife noch durchaus beachtlich. Das Scheitern als Kunstform gelingt. Hurz!
Die intellektuelle Fallhöhe kann man da auf der Langstrecke trotzdem vermissen, und nicht jedes Déja-vu steigert die Originalität. Die Komik ergibt sich indessen auch über die Qualität der Darbietung, über die sprachliche und musikalische Präzision. Funktionieren würde das alles vermutlich längst nicht so gut, wenn nicht das Ensemble so brillant servieren würde.
Gemeinsames Ätherwellengeigen und Soli wechseln sich ab
Sowohl beim gemeinsamen Ätherwellengeigen (Günther Gründgens war der Esoterik nicht ganz abgeneigt) als auch in den jeweiligen Soli – jeder und jede hat hier mindestens einen leuchtenden Moment. Michael Wittenborn (im Klub der Gründgens-Freunde „Ehrenmitglied auf Probe“) darf „auf den Flügeln bunter Träume“ mit Blumen im Haar Milva-esk betören und mit „I feel good“ emotional ausbrechen.
Angelika Richter als „Erster Beisitzer“ und Sandra Gerling als „Erster Schriftführer“ sind dem generischen Maskulinum so herzlich verbunden, wie es in dieser Selbstverständlichkeit wohl nur noch in der fröhlich-spießigen Gemütlichkeit der Provinz vorkommen dürfte – ähnlich wie Gerlings sorgsam hochtoupierter Kopfputz, ein Dagmar-Berghoff-Import direkt aus den frühen 1980er-Jahren. Jan-Peter Kampwirth ist die ideale Verkörperung des „stets bemüht“, Clemens Sienknecht beeindruckt im gemeinsamen Länder-Medley mit Yorck Dippe und einem handwerklich ähnlich ambitionierten Songtitel-Dauerfeuer-Monolog.
Und wenn Dippe sich zwar einen lustigen Zweispitz aufsetzt, Elton Johns „Rocket Man“ ansonsten aber ganz schnörkellos singt, ist das einfach ein sehr schöner, anrührender Moment der Wahrhaftigkeit.
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Der „echte“ Gründgens, Gustaf also, mischt sich nur selten ein. Eine Mephisto-Kostüm-Referenz (mit roten Bommeln an den Knien, soviel Bruch muss offenbar sein), eine lagerfeldhafte Abmoderation („Den kennen wir hier nicht“) – und schließlich doch die Begegnung: eine Gustaf-Liveschalte aus dem Jenseits. Spektakulär? Nein, falsch verbunden.
„Günther Gründgens – ein Leben, zu wahr, um schön zu sein“ am Deutschen Schauspielhaus, wieder am 5.2. und 12.2., jew. 19.30 Uhr, Karten unter T. 248713 und www.schauspielhaus.de