Hamburg. Beim Christian-Kracht-Gastspiel „Eurotrash“ mussten Schauspieler und Publikum mit erschwerten Bedingungen klarkommen.

Benjamin von Stuckrad-Barre, Elfriede Jelinek, Christian Kracht. Alle innerhalb weniger Tage auf Hamburger Bühnen, als hätten sie sich verabredet, als wären sie aneinander interessiert und nicht vor allem an sich selbst: autobiografisch dahinsurfende Autorenfiguren und manische Ich-Arbeiter allesamt, die in ihren Texten geradezu aufreizend mit der Verwechselbarkeit von Realität und Fiktion spielen (lassen). Ihre Alter Egos sind schillernde Charaktere, voll böser (Selbst-)Ironie, Verletzlichkeit, Hintersinnigkeit, Bitterkeit, Unbarmherzigkeit, Witz.

Der jüngste Doppelgänger seiner selbst (nach der Stuckrad-Barre-Lesung „Noch wach?“ in der Markthalle und dem Jelinek-Gastspiel „Angabe der Person“ am Thalia Theater): die Figur „Christian“ in der von Jan Bosse inszenierten Schaubühnen-Version des Christian-Kracht-Bestsellers „Eurotrash“ auf Kampnagel.

Hamburger Theater Festival: Joachim Meyerhoff spielt Bestsellerautor Christian Kracht

Beim Hamburger Theater Festival, wo „Eurotrash“ gleich zweimal gastiert, ist ausgerechnet Joachim Meyerhoff dieser Christian-Stellvertreter, noch ein autofiktional schreibender Bestsellerautor. Als Kracht erklärt Meyerhoff, vor Jahren mal eine Geschichte unter dem Titel „Faserland“ verfasst zu haben (wie Kracht). Und dieser Kracht begibt sich nun mit seiner bockigen, exzentrischen und ziemlich reichen Mama (Betonung auf der zweiten Silbe) auf einen finalen Roadtrip. Der führt vordergründig durch die Schweiz, vor allem aber ohne Umwege in die Selbstbespiegelung und die Analyse grenzenlos verkorkster Familienerinnerungen. Da liegt, buchstäblich, die ganze Kacke offen.

Meyerhoff – zunächst als Schlonz im Parka, der sich spektakulär zum hellblau manirierten Dandy wandelt – gibt den Kracht zugleich fasziniert, angeekelt und gelangweilt. Die Provenienz eines Wollpullis erhält bei ihm scheinbar dieselbe Relevanz wie der perfide Nazi-Großvater, Missbrauchserfahrungen und das „Scheiß-Sylt“. Jede Einladung zum Slapstick nimmt der Schauspieler dankbar an. Sein Gegenpart ist die heruntergekommene Mutterfigur, der die wunderbare Angela Winkler bei aller Boshaftigkeit eine kindliche Zartheit und Brüchigkeit mitgibt.

Hamburger Theater Festival: Plötzlich wird nach Hilfe gerufen: „Wir brauchen einen Arzt!“

Es ist allerdings an diesem Abend auch unabhängig von der eigentlichen Inszenierung ein besonderer Kraftakt, den die beiden auf Kampnagel abliefern müssen – und auch dem Publikum wird einiges abverlangt. Nach etwa der Hälfte muss die fast ausverkaufte Vorstellung, aus der sich bereits Zuschauerinnen und Zuschauer unüberhörbar über die knarzenden Stufen verabschiedet haben, jäh unterbrochen werden.

Aus den hinteren Reihen wird nicht nur empört „Lauter!“ verlangt, sondern plötzlich auch nach Hilfe gerufen: „Wir brauchen einen Arzt!“ Es springen gleich mehrere auf. Ein Kreislaufkollaps, die Luft in der größten Kampnagel-Halle k6 ist tatsächlich unerträglich stickig, nicht nur Meyerhoff (der zudem über weite Strecken eine dicke Strickklamotte tragen muss und sich auch sonst körperlich, textlich und emotional verausgabt) ist durchgeschwitzt.

Und auch wenn es der kollabierten und von rasch herbeigeeilten Sanitätern versorgten Person laut Durchsage des Festivalchefs Nikolaus Besch bald wieder besser geht und die geöffneten Türen wenigstens kurz etwas Frischluft suggerieren – die Konzentration findet nach der unfreiwilligen Pause nicht immer ganz zurück in die Spur. Dennoch und vielleicht sogar deshalb: Heftiger Applaus für einen in mancherlei Hinsicht schonungslosen, intensiven, nachwirkenden Theaterabend.