Die EHEC-Epidemie breitet sich weiter aus: In der Nacht zu Donnerstag starb im Hamburger UKE eine Patientin an den Folgen des Durchfallerregers.

Hamburg/Berlin. Der lebensgefährliche Darmerreger EHEC hat in Hamburg ein weiteres Todesopfer gefordert. In der Nacht zu Donnerstag starb eine 81 Jahre alte Frau, sagte Rolf Stahl, Ärztlicher Leiter der 3. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in der Hansestadt. Damit ist die Zahl der Todesfälle in Hamburg auf drei und bundesweit auf mindestens 17 gestiegen. Bis Mittwochmittag waren in Hamburg 668 EHEC-Fälle beziehungsweise Verdachtsfälle gemeldet worden, darunter 124 mit dem Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS).


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Gesundheitssenatorin: Situation besorgniserregend

Die Zahl der Erkrankungen durch den gefährlichen Darmkeim EHEC hat vor allem in Norddeutschland am Mittwoch rasant zugenommen. „Wir verzeichnen wieder einen deutlichen Anstieg der Erkrankungsfälle durch EHEC und HUS“, sagte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) in der Hansestadt. Die Situation bleibe besorgniserregend. Auch sei es auf jeden Fall zu früh, um in irgendwelcher Form Entwarnung zu geben. In Niedersachsen nahm die Zahl der Infektionen binnen eines Tages um 30 Prozent auf 344 zu, in Hamburg wurden 99 Fälle mehr gezählt - insgesamt sind es nun 668. Die Zahl der Todesfälle stieg bundesweit derweil auf 16.

Unterdessen erwägt die spanische Regierung rechtliche Schritte gegen die Hamburger Behörden, die im Zusammenhang mit der Epidemie vor Gurken aus Spanien gewarnt haben. Ein Bauernverband, Asaja, kündigte Schadenersatzforderungen an, sagte aber zunächst nicht, ob von der spanischen Regierung, Deutschland oder der EU. Der stellvertretende Ministerpräsident Alfredo Perez Rubalcaba sagte am Mittwoch in Madrid: „Wir schließen nicht aus, Schritte gegen Hamburger Behörden einzuleiten, die die Qualität unserer Produkte infrage gestellt haben."

Das Bundesverbraucherministerium verteidigte hingegen die Warnung vor spanischen Gurken. Die Hamburger Behörden hätten gemäß geltender Vorschriften gehandelt, sagte Ministeriumssprecher Holger Eichele in Berlin. Angesichts der potenziellen Risiken sei eine schnelle, öffentliche Warnung angebracht gewesen.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) reagierte auf die mögliche Schadenersatzklage Spaniens gelassen. EHEC gehöre nicht auf Gurken und sonstige Gemüse, und deshalb seien die in Hamburg eingeleiteten Schritte absolut in Ordnung, sagte Scholz und wies damit die Kritik der spanischen Agrarministerin Rosa Aguilar zurück. Aguilar hatte am Dienstag bei einem Treffen mit EU-Kollegen im ungarischen Debrecen gesagt, dass Spanien auf EU-Ebene Entschädigungen für alle europäischen Landwirte verlangen wolle, die wegen der tödlichen EHEC-Seuche Verluste hätten.

Inzwischen wurde bekannt, dass die untersuchten spanischen Salatgurken vom Hamburger Großmarkt nicht für den Ausbruch der EHEC-Epidemie in Norddeutschland verantwortlich sind. Der Stamm O104:H4, der für den derzeitigen Ausbruch der gefährlichen Darmkeim-Infektionen mit schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen verantwortlich ist, sei bei keiner der vier untersuchten spanischen Gurken nachgewiesen worden, sagte ein Sprecher des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).

An vier Salatgurken aus dem Hamburger Großmarkt war das EHEC-Bakterium in der vergangenen Woche nachgewiesen worden. Bisher hieß es, drei der Gurken stammten aus Spanien, und bei der vierten Gurke deuteten Hinweise auf Lieferwege aus den Niederlanden hin. Das BfR hat nun nach eigenen Angaben Informationen, dass auch die vierte Gurke aus Spanien stammt. Die Hamburger Gesundheitsbehörde erklärte jedoch bisher, die genaue Herkunft dieser Gurke sei unklar.

In Niedersachsen gab es indes einen weiteren Todesfall. Eine 84-jährige Patientin war bereits am Sonntag an der schweren Darminfektion gestorben, so das niedersächsische Gesundheitsministerium. Die Zahl der übermittelten EHEC-Fälle ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) seit Anfang Mai auf 1.064 gestiegen. An dem gefährlichen Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS) seien inzwischen 470 Menschen erkrankt. 74 Prozent dieser HUS-Fälle stammten aus Schleswig-Holstein (121), Hamburg (97), Nordrhein-Westfalen (75) und Niedersachsen (51). Betroffen vom dem HUS-Ausbruch seien mittlerweile alle Bundesländer.

Unterdessen läuft die Suche nach der Quelle der gefährlichen Infektionen nach Worten von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) mit Hochdruck weiter. Die Befragung Erkrankter sei „das Wichtigste“, sagte Aigner. Das RKI befrage Patienten, wo und was sie gegessen hätten. Auch die Lieferwege von Lebensmitteln müssten zurückverfolgt werden.

Laut Aigner sei festgestellt worden, dass Erkrankte Gurken, Tomaten und Blattsalat gegessen hätten. Zwar könne derzeit nichts ausgeschlossen werden, aber die Schnittmenge bei diesen drei Produkten sei am größten. Die Suche nach der Quelle sei auch deswegen so wichtig, weil Schadenersatzfragen ganz wesentlich mit der Ursache zusammenhingen.

Wegen der EHEC-Infektionswelle haben die Veranstalter des 33. Deutschen Evangelischen Kirchentags erste Konsequenzen gezogen. Grüner Salat, Tomaten und Gurken seien aus dem Speiseangebot entfernt worden, sagte Geschäftsführer Hartwig Bodmann. Zudem riefen die Veranstalter zur regelmäßigen Handhygiene auf.

Neues Test-System zur EHEC-Erkennung in Lebensmitteln

Neben dem Universitätsklinikum Münster entwickelte unterdessen auch das BfR zusammen mit der französischen Lebensmittelagentur ANSES einen Test zur Erkennung des gefährlichen Durchfall-Erregers. Das evaluierte System erkennt den Angaben zufolge den EHEC-Stamm O104:H4 in Lebensmitteln. Das Institut hoffe, dass mit diesem Test die Quelle für die Infektionen mit dem EHEC-Stamm O104:H4 aufgedeckt und die risikobehafteten Lebensmittel schnell aus dem Markt genommen werden könne. Darüber hinaus solle der Test Klarheit über die Infektionskette verschaffen, sagte BfR-Präsident Andreas Hensel. Das BfR habe die Methode inzwischen den Untersuchungslaboratorien der Bundesländer zur Verfügung gestellt.

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EHEC: Die Infektionsgefahr wächst wieder

Der Höhepunkt der EHEC-Epidemie in Hamburg ist offensichtlich doch nicht überschritten. Während am Montag noch rückläufige Zahlen von Neuinfektionen den Behörden Hoffnung machten, schlug der gefährliche Erreger der Darmkrankheit jetzt wieder zu. Die Zahl der EHEC-Fälle stieg bis Dienstag um 81 auf jetzt 569 an. Hamburg bleibt damit nach wie vor der Schwerpunkt der EHEC-Ausbreitung in Deutschland. Vor allem die schweren Komplikationen mit dem Hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) nahmen in der Stadt auch wieder deutlich zu. Mittlerweile müssen in Hamburg 110 Patienten mit HUS behandelt werden, das ein Nierenversagen verursachen kann und mehrfach schon in Deutschland zu Todesfällen geführt hat. Damit werden in Hamburg 16 mehr HUS-Patienten behandelt als noch am Wochenende. "Wir sind besorgt, der ganze Senat ist besorgt", sagte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) daher am Dienstag, als er gemeinsam mit Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) die aktuellen Erkrankungszahlen erläuterte.

Bei den EHEC-Betroffenen handelt es sich in Hamburg überwiegend um Frauen, ihr Anteil liegt bei 66 Prozent. Prüfer-Storcks: "Das liegt vermutlich daran, dass Frauen eher Salat essen oder ihn häufiger zubereiten." Bei 31 der EHEC-Fälle handele es sich um Kinder bis zu 15 Jahren.

Die Situation in den Hamburger Krankenhäusern bleibe unterdessen wegen der schweren HUS-Komplikationen weiter angespannt, sagte die Senatorin. "Doch wir haben noch Kapazitäten." So würden Patienten ja auch wieder gesund und könnten entlassen werden. Das Universitätsklinikum Eppendorf werde zudem derzeit von anderen Notfällen frei gehalten, damit mehr Platz für die sehr schweren Fälle bleibt, sagte Prüfer-Storcks.

Bei der Behandlung der schweren HUS-Fälle setzen die Krankenhäuser der Senatorin zufolge weiter auf den Austausch von Blutplasma und auch ein neues Medikament. Das sei eigentlich für die Behandlung eines Gen-Defekts entwickelt worden und werde vom Hersteller in der aktuellen Situation kostenfrei zur Verfügung gestellt, sagte Senatorin Prüfer-Storcks: "Ob es erfolgreich sein wird, wissen wir aber erst in einiger Zeit." Um genügend Blutplasma zu erzeugen, benötigten die Kliniken aber weiter Blutspenden. "Ich selbst und der Bürgermeister werden jetzt spenden, um dieses Thema in der Öffentlichkeit bewusst zu machen", kündigte Prüfer-Storcks an.

An der Pressekonferenz im Rathaus gab es ein großes Interesse von verschiedenen Medien. Auch aus Spanien waren Journalisten angereist. Aus Südspanien waren Gurken an den Hamburger Großmarkt geliefert worden, an denen das Hamburger Hygiene-Institut den gefährlichen EHEC-Erreger festgestellt hatte. Allerdings nicht den Untertyp O104, der für die aktuellen und oft schweren Fälle in Deutschland verantwortlich gemacht wird. Die Veröffentlichung des Herkunftslandes hat in Spanien zu heftigen Einbrüchen beim Gemüseexport geführt - aber auch in Deutschland ist die Produktion nahezu zum Erliegen gekommen. Dennoch ist die Suche nach der Quelle des Erregers weiter offen. Die Warnung des Robert-Koch-Instituts vor dem Verzehr von rohen Tomaten, Gurken und Salat müsse aber aufrechterhalten bleiben, sagte Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks. So habe eine epidemiologische Studie in Hamburg gezeigt, dass betroffene Patienten die genannten Lebensmittel bedeutend häufiger verzehrt hatten als gesunde Studienteilnehmer. Auch im Fall der Schule in Othmarschen mit mehreren EHEC-Verdachtsfällen gehe man inzwischen sehr stark von einer Primärinfektion durch Lebensmittel aus, sagte die Senatorin.

Im Hamburger Hygiene-Institut würden zudem weiter auch etliche andere Lebensmittel untersucht. Die Proben werden von den Verbraucherschutzämtern der Bezirke aus Restaurants, großen Handelsketten und Märkten sowie den Haushalten der Patienten genommen. Die Identifizierung des O104-Stamms sei aber sehr langwierig, weil es zu EHEC mehr als 100 Unterarten gebe.

Der jetzige Erregertyp sei in Deutschland zudem bisher nie in Erscheinung getreten, sondern eher in den USA, wie Hans-Joachim Breetz, der Geschäftsführer des Hygiene-Instituts, sagte.

Unterdessen bestätigte sich ein EHEC-Verdacht auf Strauchtomaten, Salaten und Gurken in Mecklenburg-Vorpommern bei einer genauen Laboranalyse nicht. Dort und in Hamburg sollen daher auch die Transportwege von Gemüse und die weitere Behandlung - etwa in Verpackungsstationen - auf eine mögliche Übertragung mit EHEC hin untersucht werden. "Die Suche ist sehr schwierig, und es kann sein, dass man die Quelle nie findet", sagte Hygiene-Experte Breetz.

Dass der Erreger über das Trinkwasser oder gar einen terroristischen Akt verbreitet wird, schloss Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks hingegen weitgehend aus. Entsprechende Gerüchte hätten bei einem Spitzentreffen von Bund und Ländern zu dem Thema EHEC "keine Rolle gespielt", sagte die Senatorin.