Mittlerweile sind mindestens 100 Menschen in sechs Bundesländern mit dem gefährlichen EHEC-Erreger infiziert. In Hessen liegen bereits zwei Patienten im künstlichen Koma.

Hamburg. Eine mysteriöse Infektionswelle grassiert seit vergangener Woche in Deutschland. Menschen jeden Alters in sechs Bundesländern sind an schweren, von den gefährlichen EHEC-Bakterien (Enterohämorrhagische Escherichia coli) ausgelösten Darminfektionen erkrankt. Die Infektion kann akutes Nierenversagen verursachen und schlimmstenfalls zum Tode führen. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu EHEC:

Wie viele Menschen sind erkrankt?

Nach Auskunft der Behörden werden in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen rund hundert Menschen in Krankenhäusern behandelt. Bei ihnen wurde die Krankheit bereits nachgewiesen oder zumindest besteht ein Verdacht darauf.

Bei welchen Symptomen muss ich an eine EHEC-Infektion denken?

"Bei EHEC handelt sich um eine ernste Erkrankung, und deswegen sollten alle, die an blutigen, wässrigen Durchfällen leiden, umgehend einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen", sagt Rico Schmidt, Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde.

Weitere Symptome sind Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Im Durchschnitt dauert es drei bis vier Tage von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Erkrankung. Eine umgehende Behandlung ist wichtig, weil es zu einer schweren Komplikation kommen kann, dem sogenannten Hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS). Es tritt im Durchschnitt fünf bis zwölf Tage nach Beginn des Durchfalls auf. Dabei kommt es zu akutem Nierenversagen, Hirn-Komplikationen, einer Blutarmut und Gerinnungsstörungen. HUS entwickelt sich bei fünf bis zehn Prozent der EHEC-Infizierten und führt in fünf Prozent dieser Fälle zum Tode.

Wie wird die Krankheit übertragen?

Der Erreger befindet sich im Kot von Nutztieren. Die Infektion kann beim direkten Kontakt mit Tieren aber auch beim Verzehr verseuchter Lebensmittel - zum Beispiel Rindfleisch oder Rohmilch - übertragen werden. Eine Infektion ist auch über rohes ungewaschenes Gemüse möglich. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt direkt über Berührungen oder indirekt über den Kontakt mit verseuchten Flächen, zum Beispiel Türklinken.

Ist die Infektionsquelle bekannt?

Bislang noch nicht. Das bundesweit zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin vermutet Gemüse oder andere Lebensmittel, die normalerweise nicht gekocht werden, als Ursache für die Ansteckungen. Eine ähnliche Meinung hat Dr. Susanne Huggett, leitende Ärztin sowohl des Asklepios-Bereichs Hygiene als auch des Asklepios-Laborbetriebs "Medilys" in Hamburg. Für sie spricht manches für Nahrungsmittel als Übertragungsquelle: "Im Rahmen der aktuellen Bio- und Öko-Wellen spielen Rohprodukte eine große Rolle. Und dass nach wie vor hauptsächlich Frauen Speisen zubereiten, könnte erklären, warum die meisten EHEC-Patienten weiblich sind."

Wie kann man sich schützen?

Jeder sollte auf gründliches und häufiges Händewaschen mit Seife achten, und zwar mindestens nach jedem Toilettengang und jedem Berührungskontakt mit einer Fläche, die auch andere Menschen berührten, empfiehlt Dr. Susanne Huggett. Auch Obst und Gemüse sollten vor dem Verzehr gründlich gewaschen werden, sagt Rico Schmidt. Das RKI empfiehlt, auch bei der Zubereitung von Gemüse auf gute Küchenhygiene zu achten sowie Bretter und Messer gründlich zu reinigen. Speisen sollten gut durchgegart werden, also zehn Minuten lang mindestens eine Kerntemperatur von 70 Grad haben.

Zudem sollten Eltern darauf achten, dass Kinder sich nach Kontakt mit Erde oder Tieren nicht die Finger in den Mund stecken, sondern die Hände gründlich mit Wasser und Seife reinigen. Speisen sollten nur außerhalb von Tiergehegen verzehrt werden.

Wie wird die Infektion behandelt?

In der Therapie würden vor allem die Symptome behandelt, zum Beispiel durch Mittel gegen den Durchfall, sagt Dr. Susanne Huggett. Die in den Hamburger Asklepios-Kliniken untergebrachten Patienten würden alle isoliert: "Alle tatsächlich oder womöglich mit EHEC infizierten Patienten liegen bei uns in einem Einzelzimmer oder in einem Zimmer mit einem weiteren EHEC-Patienten; im letzteren Fall spricht man von einer Kohorten-Isolierung." Diese Isolier-Zimmer seien häufig durch Schleusen vom Rest der Krankenhausstation abgegrenzt. Besuch dürften die EHEC-Patienten bekommen. "Jedoch", sagt Huggett, "sollten Risikogruppen-Angehörige wie kleine Kinder, Schwangere und Alte nicht dazu gehören - zu ihrem eigenen Schutz."

Bei Erwachsenen werde zur Behandlung auch die Plasmapherese eingesetzt, sagt Dr. Jan Kielstein von der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie entferne schädliche Eiweiße aus dem Blut, indem das Blutplasma entfernt und durch Spenderplasma ersetzt werde. Die bis zu zweieinhalbstündige Plasmapherese müsse mehrmals wiederholt werden. Das sei auch einer der Gründe, warum ein Teil der Patienten auf Intensivstationen behandelt werde.

Wie häufig sind EHEC-Infektionen?

EHEC-Keime treten in Deutschland immer wieder auf. Das Robert-Koch-Institut hat seit Einführung der Meldepflicht 2001 bundesweit jährlich zwischen 800 und 1200 EHEC-Erkrankungen registriert, die aber oft einen leichteren Verlauf nahmen. Pro Jahr werden bundesweit um die 60 Fälle des HU-Syndroms gemeldet.

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Durchfallerreger vermutlich in rohem Gemüse

In Norddeutschland leiden mehrere Dutzend Menschen an einer schweren Form von Durchfall. Ein ungewohnlich hoher Anteil liegt mit Nierenleiden auf Intensivstationen. Überraschenderweise sind vor allem Frauen von der Krankheit betroffen. Gérard Krause, Leiter der Infektionsepidemiologie am Robert-Koch-Institut, rät zur Vorsicht bei dem Verzehr von rohem Gemüse. Etwa 800 bis 1200 Infektionen mit EHEC-Bakterien gibt es in Deutschland pro Jahr. In einem Interview erklärt Krause, warum hauptsächlich Frauen betroffen sind, was nun zu beachten ist und was zu tun ist, wenn erste Symptome auftreten.

Warum sind Sie bei einigen Dutzend Fällen besorgt?

Krause: Wir haben ungewöhnlich viele schwere Verläufe in kurzer Zeit. Und es ist außerdem eine ungewöhnliche Verteilung. Wir haben deutlich mehr Frauen als Männer und wir haben deutlich mehr Erwachsene als Kinder. Diese schweren Verlaufsformen treten gewöhnlicherweise sehr viel häufiger bei kleinen Kindern auf.

Warum sind besonders Frauen betroffen?

Krause: Als Ursache kommen Gemüse oder andere Lebensmittel infrage, die gewöhnlich nicht gekocht werden. Oder es könnte ein Lebensmittel sein, das zwar gekocht wird, aber bei der Zubereitung zur Kontamination führt. Die Frauen bereiten häufiger Lebensmittel zu, und da können sie sich möglicherweise bei der Reinigung des Gemüses oder anderer Lebensmittel infizieren. Wir haben keine Hinweise darauf, dass Fleisch oder Rohmilch die Ursache sind.

Wie kann man sich und andere schützen?

Krause: Wir empfehlen dringend, Gemüse, das normalerweise roh verzehrt wird, sehr gründlich zu reinigen. Bei der Zubereitung von Gemüse, auch wenn es nachher gekocht wird, sollte man auf gute Händehygiene achten. Die Schnittplatten, die Messer und Geräte, die man benutzt hat sollten nicht ungespült und ungereinigt wieder für andere Lebensmittel verwendet werden. Wir empfehlen vor allen Dingen, bei blutigem Stuhl einen Arzt aufzusuchen, und der sollte an eine entsprechende Laboruntersuchung denken.

Rechnen Sie mit einer weiteren Ausbreitung in Deutschland?

Krause: Der Ausbruch ist noch nicht vorbei. Wir haben die meisten Fälle im Norden aber durchaus auch vorläufige Meldungen in Süd- und Ostdeutschland. Ob die mit den Ausbruch im Norden zusammenhängen, können wir noch nicht bestätigen, das ist noch zu früh. Da es sich um vorläufige Meldungen handelt, möchte ich ungern einzelne Bundesländer nennen.

Wie ist die Ausbreitung zu bremsen?

Krause: Wir haben im Moment leider die Befürchtung, dass es noch weitergeht. Ärzte sollten daher an EHEC denken und bei entsprechenden Fällen die Gesundheitsämter einschalten. Die Bevölkerung sollte bei der Zubereitung von Speisen auf gute Küchenhygiene achten.

(dpa/dapd)