Zahl der EHEC-Erkrankungen im Norden stark angestiegen. Insgesamt gibt es schon mehr als 300 Infektionen oder Verdachtsfälle.
Hamburg/Hannover/Kiel. Der gefährliche EHEC-Erreger hat die Zahl der Darmerkrankungen in Norddeutschland dramatisch ansteigen lassen. Die Behörden in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gehen bereits von mehr als 200 Erkrankten aus. Die Suche nach der Ursache für die vielen Infektionen läuft auf Hochtouren, hat aber bislang zu keinem Ergebnis geführt.
In Hamburg ist die Zahl der schweren EHEC-Infektionen beziehungsweise von Verdachtsfällen weiter gestiegen. Die Krankenhäuser der Hansestadt meldeten bislang 50 Patienten, wie die Gesundheitsbehörde am Montag mitteilte. Davon stammten zwölf Erkrankte aus dem Hamburger Umland. Ihr Gesundheitszustand sei teilweise kritisch. Die 50 Hamburger Patienten sind den Angaben zufolge zwischen 9 und 81 Jahre alt. Besonders häufig sind Frauen betroffen, mindestens 32 der Erkrankten seien weiblich.
Am Universitätsklinkum Hamburg-Eppendorf (UKE) werden derzeit 27 Patienten behandelt, darunter zwölf Kinder. Insgesamt zehn Patienten liegen dort auf der Intensivstation, darunter vier Kinder. Die meisten der Patienten erhalten Dialyse-Behandlungen, sagte eine UKE-Sprecherin.
Allein in Schleswig-Holstein stieg die Zahl auf etwa 90 EHEC-Erkrankungen oder Verdachtsfälle, wie das Kieler Sozialministerium mitteilte. 13 Patienten litten an der schwersten Form der Krankheit, am Hämolytisch-Urämischen Syndrom (HUS), das zu Nierenversagen führen kann.
In Niedersachsen wurden landesweit 67 EHEC-Erkrankungen oder -Verdachtsfälle registriert, wie Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) in Hannover sagte. Zehn Patienten litten an der schwersten Form der Krankheit. Einige von ihnen schwebten in akuter Lebensgefahr.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es bislang acht mögliche Fälle solcher Darminfektionen. Bislang seien drei davon zweifelsfrei bestätigt, sagte eine Sprecherin des Landesamtes für Gesundheit und Soziales am Montag. Sieben Patienten werden am Uni-Klinikum in Rostock betreut und behandelt.
Die deutschen Behörden in Deutschland haben bereits mehr als 300 bestätigte Erkrankungen oder Verdachtsfälle registriert. Mehrere Infizierte kämpfen um ihr Leben: Einige von ihnen wurden am Montag künstlich beatmet, ein Patient liegt nach Krämpfen im Koma. Insgesamt haben die Gesundheitsbehörden in Deutschland zufolge mindestens 140 Fälle registriert, darunter mehr als 40 besonders schwere. Und die Tendenz ist deutlich steigend. Mehr als 160 Verdachtsfälle müssen bundesweit noch geprüft werden.
„Das ist eine ernsthafte Krankheit, damit ist nicht zu spaßen“, hieß es aus der Hamburger Gesundheitsbehörde. Vor allem die Häufung der schweren Fälle sei ungewöhnlich, meinte auch Arzt Jun Oh vom Hamburger Universitätsklinikum: „So heftig gab es das bisher kaum.“
Die Quelle der Ansteckung ist laut Hamburger Gesundheitsbehörde weiter unbekannt. Die gemeinsamen Ermittlungen der Gesundheitsämter, der Fachbehörde und des Robert-Koch-Instituts (RKI) laufen. Der Präsident des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes, Matthias Pulz, geht davon aus, „dass es eine gemeinsame Quelle für die Infektionen gibt“. Weiter sagte Pulz: „Das Lebensmittel muss sich irgendwo im Handel befinden.“ Man sei auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Nach ersten Befragungen von Patienten durch das Robert-Koch-Institut handle es sich wahrscheinlich um roh genossenes Gemüse. Die Art des Gemüses stehe noch nicht fest. Vorstellbar seien als Quelle etwa Salat oder anderes Gemüse, das mit Gülle gedüngt worden sei. Angesicht der Verbreitung der Erkrankungen liege es nahe, dass es sich um ein überregional vertriebenes Lebensmittel handle.
Die RKI-Experten schließen hingegen eine Infektion über kontaminiertes Fleisch oder Rohmilch aus. Neben ungewaschenem Gemüse könnten aber auch andere Lebensmittel die Ursache sein. Der EHEC-Erreger kann schweren Durchfall verursachen. Bei Komplikationen kann es zu akutem Nierenversagen, Blutarmut oder sogar zum Tod kommen.
Niedersachsens Sozialministerin Özkan forderte alle Patienten mit blutigen Durchfallerkrankungen auf, sofort einen Arzt aufzusuchen. Beim Umgang mit Lebensmitteln seien unbedingt die Hygieneregeln zu beachten, sagte sie. Niedersachsen beteilige sich zudem mit Hochdruck an der Suche nach der Ursache der Infektionen. Besonders seit dem Wochenende steigt die Zahl der Infizierten rapide an. Waren in Niedersachsen bis Freitag zunächst zwölf EHEC-Fälle registriert, lag ihre Zahl am Montagmittag bei 67.
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Die wichtigsten Fragen und Antworten zur EHEC-Infektion
Die mysteriöse Infektionswelle grassiert seit vergangener Woche in Deutschland. Menschen jeden Alters in sechs Bundesländern sind an schweren, von den gefährlichen EHEC-Bakterien (Enterohämorrhagische Escherichia coli) ausgelösten Darminfektionen erkrankt. Die Infektion kann akutes Nierenversagen verursachen und schlimmstenfalls zum Tode führen. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu EHEC:
Bei welchen Symptomen muss ich an eine EHEC-Infektion denken?
"Bei EHEC handelt sich um eine ernste Erkrankung, und deswegen sollten alle, die an blutigen, wässrigen Durchfällen leiden, umgehend einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen", sagt Rico Schmidt, Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde.
Weitere Symptome sind Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Im Durchschnitt dauert es drei bis vier Tage von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Erkrankung. Eine umgehende Behandlung ist wichtig, weil es zu einer schweren Komplikation kommen kann, dem sogenannten Hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS). Es tritt im Durchschnitt fünf bis zwölf Tage nach Beginn des Durchfalls auf. Dabei kommt es zu akutem Nierenversagen, Hirn-Komplikationen, einer Blutarmut und Gerinnungsstörungen. HUS entwickelt sich bei fünf bis zehn Prozent der EHEC-Infizierten und führt in fünf Prozent dieser Fälle zum Tode.
Wie wird die Krankheit übertragen?
Der Erreger befindet sich im Kot von Nutztieren. Die Infektion kann beim direkten Kontakt mit Tieren aber auch beim Verzehr verseuchter Lebensmittel - zum Beispiel Rindfleisch oder Rohmilch - übertragen werden. Eine Infektion ist auch über rohes ungewaschenes Gemüse möglich. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt direkt über Berührungen oder indirekt über den Kontakt mit verseuchten Flächen, zum Beispiel Türklinken.
Ist die Infektionsquelle bekannt?
Bislang noch nicht. Das bundesweit zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin vermutet Gemüse oder andere Lebensmittel, die normalerweise nicht gekocht werden, als Ursache für die Ansteckungen. Eine ähnliche Meinung hat Dr. Susanne Huggett, leitende Ärztin sowohl des Asklepios-Bereichs Hygiene als auch des Asklepios-Laborbetriebs "Medilys" in Hamburg. Für sie spricht manches für Nahrungsmittel als Übertragungsquelle: "Im Rahmen der aktuellen Bio- und Öko-Wellen spielen Rohprodukte eine große Rolle. Und dass nach wie vor hauptsächlich Frauen Speisen zubereiten, könnte erklären, warum die meisten EHEC-Patienten weiblich sind."
Wie kann man sich schützen?
Jeder sollte auf gründliches und häufiges Händewaschen mit Seife achten, und zwar mindestens nach jedem Toilettengang und jedem Berührungskontakt mit einer Fläche, die auch andere Menschen berührten, empfiehlt Dr. Susanne Huggett. Auch Obst und Gemüse sollten vor dem Verzehr gründlich gewaschen werden, sagt Rico Schmidt. Das RKI empfiehlt, auch bei der Zubereitung von Gemüse auf gute Küchenhygiene zu achten sowie Bretter und Messer gründlich zu reinigen. Speisen sollten gut durchgegart werden, also zehn Minuten lang mindestens eine Kerntemperatur von 70 Grad haben.
Zudem sollten Eltern darauf achten, dass Kinder sich nach Kontakt mit Erde oder Tieren nicht die Finger in den Mund stecken, sondern die Hände gründlich mit Wasser und Seife reinigen. Speisen sollten nur außerhalb von Tiergehegen verzehrt werden.
Wie wird die Infektion behandelt?
In der Therapie würden vor allem die Symptome behandelt, zum Beispiel durch Mittel gegen den Durchfall, sagt Dr. Susanne Huggett. Die in den Hamburger Asklepios-Kliniken untergebrachten Patienten würden alle isoliert: "Alle tatsächlich oder womöglich mit EHEC infizierten Patienten liegen bei uns in einem Einzelzimmer oder in einem Zimmer mit einem weiteren EHEC-Patienten; im letzteren Fall spricht man von einer Kohorten-Isolierung." Diese Isolier-Zimmer seien häufig durch Schleusen vom Rest der Krankenhausstation abgegrenzt. Besuch dürften die EHEC-Patienten bekommen. "Jedoch", sagt Huggett, "sollten Risikogruppen-Angehörige wie kleine Kinder, Schwangere und Alte nicht dazu gehören - zu ihrem eigenen Schutz."
Bei Erwachsenen werde zur Behandlung auch die Plasmapherese eingesetzt, sagt Dr. Jan Kielstein von der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie entferne schädliche Eiweiße aus dem Blut, indem das Blutplasma entfernt und durch Spenderplasma ersetzt werde. Die bis zu zweieinhalbstündige Plasmapherese müsse mehrmals wiederholt werden. Das sei auch einer der Gründe, warum ein Teil der Patienten auf Intensivstationen behandelt werde.
Wie häufig sind EHEC-Infektionen?
EHEC-Keime treten in Deutschland immer wieder auf. Das Robert-Koch-Institut hat seit Einführung der Meldepflicht 2001 bundesweit jährlich zwischen 800 und 1200 EHEC-Erkrankungen registriert, die aber oft einen leichteren Verlauf nahmen. Pro Jahr werden bundesweit um die 60 Fälle des HU-Syndroms gemeldet.