Erkrankungen durch EHEC breiten sich explosionsartig aus. Neben Gemüse kommt auch verunreinigtes Wasser als Übertragungsweg infrage.

Hamburg. Die EHEC-Bakterie wird zum Todeskeim: Drei Menschen, darunter eine über 80 Jahre alte Schleswig-Holsteinerin, sind vermutlich an den Folgen der blutigen Durchfallerkrankung gestorben. Als bundesweit erstes Todesopfer erlag in Diepholz (Niedersachsen) eine 83-Jährige Frau der Erkrankung. In Bremen starb eine 24 Jahre alte Frau in der Nacht zu Dienstag mit Verdacht auf EHEC. Unterdessen breitete sich der Erreger weiter aus. Allein in Schleswig-Holstein verdoppelte sich die Zahl der Verdachtsfälle innerhalb eines Tages auf mehr als 200. In Hamburg sind es inzwischen über 100 Fälle.

Im Krankenhaus in Bad Oldesloe (Kreis Stormarn) starb die infizierte alte Frau bereits am Sonntag. Ob die EHEC-Infektion die Todesursache ist, stand nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Kiel zunächst nicht zweifelsfrei fest. Die Frau war für eine Operation ins Krankenhaus gekommen.

„Die derzeitige Ausbreitung ist alarmierend, weil die Erkrankung auffällig häufig einen schweren Verlauf mit Nierenversagen nimmt“, sagte Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) am Vormittag – vor Bekanntwerden der ersten Todesfälle. Rund 15 solcher schweren HUS-Fälle (hämolytisch-urämisches Syndrom), die in Krankenhäusern oft intensivmedizinisch behandelt werden müssen, sind in den vergangenen zwei Wochen in Schleswig-Holstein aufgetreten.


+++ "Querbeet"-Fahndung nach dem EHEC-Erreger +++

Die Hamburger Krankenhäuser behandelten am Dienstag sogar 42 Patienten mit schweren Komplikationen. Frauen (32 Fälle) waren dabei deutlich stärker betroffen als Männer (10). Allein im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) lagen 30 Patienten auf der Intensivstation. In allen Fällen seien Nierenfunktionsstörungen infolge der Infektion aufgetreten, sagte eine Krankenhaussprecherin.

In Schleswig-Holstein grassiert die gefährliche Coli-Bakterie besonders in Lübeck und in den Kreisen Schleswig-Flensburg, Rendsburg-Eckernförde und Ostholstein. Die Westküste ist bisher nicht betroffen. Etwa die Hälfte bis zwei Drittel der EHEC-Verdachtsfälle in Schleswig-Holstein ist inzwischen nachgewiesen.

Dabei falle als neu auf, dass nicht nur Kleinkinder von HUS betroffen sind wie früher, sondern auch Erwachsene, erläuterte Prof. Peter Rautenberg vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. In den vergangenen zehn Jahren hatte es in Schleswig-Holstein lediglich drei bis vier HUS-Fälle im Jahr gegeben.

„Diese Entwicklung übersteigt jedes historische Maß“, sagte der Experte. Minister Garg betonte, die Situation werde sehr ernst genommen, es bestehe aber kein Grund zur Panik. Es gebe hinreichend Kapazitäten an Dialysegeräten und Krankenbetten im Intensivmedizin-Bereich. Im übrigen habe das Land eine Koordinierungsstelle zur Auslastung eingerichtet. Unter den fünf norddeutschen Länder gebe es eine enge Abstimmung.

Das Besondere der neuen EHEC-Variante sei ihre besondere Giftigkeit – „sie hat einen anderen Steckbrief“, erklärte der Mikrobiologe Prof. Werner Solbach vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Hinzu komme eine besondere Resistenz. Der EHEC-Erreger sterbe aber ab, wenn er fünf Minuten lang 60 Grad ausgesetzt sei.

Zur Ursache des EHEC-Erregers gibt es weiter keine verlässlichen Erkenntnisse. Experten und Behörden suchten fieberhaft nach der Ursache. Vermutet wurde zunächst ungewaschenes Gemüse oder Salat, die möglicherweise auch mit Gülle gedüngt worden sind. Nach Darstellung des Robert-Koch-Instituts (RKI) ist die Ursache für die erhöhten Infektionszahlen aber noch vollkommen unklar. Eine RKI-Sprecherin warnte vor voreiligen Schlüssen. Es gebe derzeit keine Hinweise dafür, dass sich die Erkrankten durch den Verzehr von mit Gülle gedüngtem Gemüse infiziert hätten, sagte sie. Es kämen auch andere Übertragungswege infrage, wie etwa verunreinigtes Wasser . Um die Ursache zu finden, werden Erkrankte in Schleswig-Holstein nach ihren Essgewohnheiten befragt.

Solange die konkrete Infizierungsquelle nicht festgestellt und beseitigt sei, lasse sich über die weitere Verbreitung nichts Seriöses prognostizieren. „Das wäre Kaffeesatzleserei“, sagte Anne Marcic vom Gesundheitsministerium.

Rautenberg betonte, dass die Übertragung von Mensch zu Mensch sehr unwahrscheinlich sei. Den Angaben zufolge hat es in Schleswig-Holstein bislang keinen einzigen Fall gegenseitiger Ansteckung unter Angehörigen gegeben.

Das Gesundheitsministerium riet erneut zu besonderer Hygiene. Außerdem solle der Kontakt zu EHEC-Erkrankten vermieden werden. Familienangehörige oder in häuslicher Gemeinschaft mit Erkrankten wohnende Menschen sollten nicht Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas oder nur in Ausnahmefällen die Schule besuchen. Ärzte sind angehalten, alle nachgewiesenen EHEC-Infektionen und HUS-Fälle unverzüglich an das örtliche Gesundheitsamt zu melden.

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Bei welchen Symptomen muss ich an eine EHEC-Infektion denken?

"Bei EHEC handelt sich um eine ernste Erkrankung, und deswegen sollten alle, die an blutigen, wässrigen Durchfällen leiden, umgehend einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen", sagt Rico Schmidt, Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde. Weitere Symptome sind Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Im Durchschnitt dauert es drei bis vier Tage von der Ansteckung bis zum Ausbruch der Erkrankung. Eine umgehende Behandlung ist wichtig, weil es zu einer schweren Komplikation kommen kann, dem sogenannten Hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS). Es tritt im Durchschnitt fünf bis zwölf Tage nach Beginn des Durchfalls auf. Dabei kommt es zu akutem Nierenversagen, Hirn-Komplikationen, einer Blutarmut und Gerinnungsstörungen. HUS entwickelt sich bei fünf bis zehn Prozent der EHEC-Infizierten und führt in fünf Prozent dieser Fälle zum Tode.

Wie wird die Krankheit übertragen?

Der Erreger befindet sich im Kot von Nutztieren. Die Infektion kann beim direkten Kontakt mit Tieren aber auch beim Verzehr verseuchter Lebensmittel - zum Beispiel Rindfleisch oder Rohmilch - übertragen werden. Eine Infektion ist auch über rohes ungewaschenes Gemüse möglich. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt direkt über Berührungen oder indirekt über den Kontakt mit verseuchten Flächen, zum Beispiel Türklinken.

Ist die Infektionsquelle bekannt?

Bislang noch nicht. Das bundesweit zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin vermutet Gemüse oder andere Lebensmittel, die normalerweise nicht gekocht werden, als Ursache für die Ansteckungen. Eine ähnliche Meinung hat Dr. Susanne Huggett, leitende Ärztin sowohl des Asklepios-Bereichs Hygiene als auch des Asklepios-Laborbetriebs "Medilys" in Hamburg. Für sie spricht manches für Nahrungsmittel als Übertragungsquelle: "Im Rahmen der aktuellen Bio- und Öko-Wellen spielen Rohprodukte eine große Rolle. Und dass nach wie vor hauptsächlich Frauen Speisen zubereiten, könnte erklären, warum die meisten EHEC-Patienten weiblich sind."

Wie kann man sich schützen?

Jeder sollte auf gründliches und häufiges Händewaschen mit Seife achten, und zwar mindestens nach jedem Toilettengang und jedem Berührungskontakt mit einer Fläche, die auch andere Menschen berührten, empfiehlt Dr. Susanne Huggett. Auch Obst und Gemüse sollten vor dem Verzehr gründlich gewaschen werden, sagt Rico Schmidt. Das RKI empfiehlt, auch bei der Zubereitung von Gemüse auf gute Küchenhygiene zu achten sowie Bretter und Messer gründlich zu reinigen. Speisen sollten gut durchgegart werden, also zehn Minuten lang mindestens eine Kerntemperatur von 70 Grad haben. Zudem sollten Eltern darauf achten, dass Kinder sich nach Kontakt mit Erde oder Tieren nicht die Finger in den Mund stecken, sondern die Hände gründlich mit Wasser und Seife reinigen. Speisen sollten nur außerhalb von Tiergehegen verzehrt werden.

Wie wird die Infektion behandelt?

In der Therapie würden vor allem die Symptome behandelt, zum Beispiel durch Mittel gegen den Durchfall, sagt Dr. Susanne Huggett. Die in den Hamburger Asklepios-Kliniken untergebrachten Patienten würden alle isoliert: "Alle tatsächlich oder womöglich mit EHEC infizierten Patienten liegen bei uns in einem Einzelzimmer oder in einem Zimmer mit einem weiteren EHEC-Patienten; im letzteren Fall spricht man von einer Kohorten-Isolierung." Diese Isolier-Zimmer seien häufig durch Schleusen vom Rest der Krankenhausstation abgegrenzt. Besuch dürften die EHEC-Patienten bekommen. "Jedoch", sagt Huggett, "sollten Risikogruppen-Angehörige wie kleine Kinder, Schwangere und Alte nicht dazu gehören - zu ihrem eigenen Schutz." Bei Erwachsenen werde zur Behandlung auch die Plasmapherese eingesetzt, sagt Dr. Jan Kielstein von der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie entferne schädliche Eiweiße aus dem Blut, indem das Blutplasma entfernt und durch Spenderplasma ersetzt werde. Die bis zu zweieinhalbstündige Plasmapherese müsse mehrmals wiederholt werden. Das sei auch einer der Gründe, warum ein Teil der Patienten auf Intensivstationen behandelt werde.

Wie häufig sind EHEC-Infektionen?

EHEC-Keime treten in Deutschland immer wieder auf. Das Robert-Koch-Institut hat seit Einführung der Meldepflicht 2001 bundesweit jährlich zwischen 800 und 1200 EHEC-Erkrankungen registriert, die aber oft einen leichteren Verlauf nahmen. Pro Jahr werden bundesweit um die 60 Fälle des HU-Syndroms gemeldet.

Mit Material von dpa