Kate Amayo hat gebetet, gehofft und gezittert. Nun hat die Spitzen-Abiturientin aus Ghana eine Aufenthaltsgenehmigung und kann Studentin sein.
Hamburg. Das Freizeichen eines Telefons kann die Luft zerreißen, wenn sie vor Anspannung nur so klebt. Es ist 15.38 Uhr, als der Anwalt den Lautsprecher des Telefons anstellt. Am anderen Ende der Leitung ist eine Mitarbeiterin der Bürgerschaft, die eine schlichte Auskunft geben soll: Ob Kate Amayo in Deutschland bleiben darf oder ob sie abgeschoben wird. Und dann heißt es: "Wir rufen in zehn Minuten zurück."
Die junge Afrikanerin sitzt auf der anderen Seite des Schreibtischs auf einem Bürostuhl aus Leder und Chrom, hält die Hände vor ihren Kopf, wippt ein bisschen und betet leise. Sie sagt, der Tag habe eigentlich ganz gut angefangen, man habe ihr ja viel Mut gemacht. Aber jetzt spürt sie dieses Gewicht auf ihrem Kopf, das alles Empfinden aus ihrem Körper quetscht. Wie ein Zeitraffer müssen diese Minuten sein, in denen sich fünf Jahre gelebte Unsicherheit ein letztes Mal zusammenballen.
Dann der Rückruf. Die Worte der Mitarbeiterin klingen fern, die beiden Zuhörer am Schreibtisch beugen sich nach vorne, wollen näher dran sein an dem Satz, der nun zählt: "Die Mitglieder der Härtefallkommission haben einstimmig für Kate Amayo entschieden." Aus. Vorbei. Ende der Angst.
Kate Amayo bleibt sitzen, das muss ja erst einmal ankommen. Dann springt sie auf, geht im Büro hin und her, ruft in ihr Handy: "Mama, ich darf bleiben!" Sie fällt ihrem Anwalt Georg Debler um den Hals. Zum ersten Mal überhaupt, wie der Herr versichert, der in 30 Jahren als Anwalt für Ausländerrecht viel erlebt hat. Aber diesem Gefühlsausbruch kann er sich nicht entziehen. Er sagt: "Morgen gehen wir Pizza essen, wie versprochen." Es dauert noch, bis Kate Amayo ihre Freunde angerufen hat, ihren Lehrer, die Kindertagesstätte, in der sie ehrenamtlich arbeitet. "Mir fällt eine riesige Last von den Schultern." Bei allen wolle sie sich bedanken, die sie unterstützt haben. Und auch bei Gott: "Ich habe immer gewusst, dass er mir eines Tages so richtig helfen wird."
Jetzt ist der Weg frei. Wie es aussieht, wird sie nächste Woche einen Stempel in ihren Pass bekommen, ein "Bleiberecht aus humanitären Gründen". Das heißt für Kate Amayo, dass sie studieren kann und heute ihren Koffer packt und am Wochenende nach Halle fährt, um den Schlüssel für ihre Wohngemeinschaft abzuholen, die eine halbe Stunde vom Zentrum der Stadt in Sachsen-Anhalt entfernt liegt. "Mann, ich habe noch nicht mal meine Mitbewohner gesehen", sagt sie, "hoffentlich sind die nett." Und dann grinst sie breit, weil sie merkt, dass sie in diesem Moment überhaupt keine Probleme hat.
Sie sagt: "Und wenn es mir nicht gefällt, dann ziehe ich halt um."
Zu Hause, bei ihrer Mutter Faustina, ist dann mehr Platz. Ihre Schwester, die nur ein Jahr jünger ist, bekommt ein eigenes Zimmer, mehr Raum für Klamotten und ihr Leben. Und Kate Amayo wäscht nur noch eigene Wäsche, muss nachmittags nicht mehr auf ihre siebenjährige Schwester aufpassen und kann lernen, wann sie will. Nicht nachts, als sie wie besessen für das Abitur paukte.
Nun kann sie hoffen, dass ihre Bewerbungen klappen für die Stipendien. Und sich auf das BAföG freuen, das allen Studierenden zusteht, wenn ihre Eltern sie nicht finanzieren können. Kaution und die erste Miete für ihre Wohnung hat ihre Mutter noch überwiesen. Und Kate Amayo wird etwas jobben und endlich eigenes Geld verdienen - eine Selbstverständlichkeit, die viele "geduldete" Menschen nicht kennen.
"Ich hatte Angst, dass alles umsonst war", sagt sie. Nun wird sie die normalen Sorgen einer Studentin haben. Hausarbeiten, die fertig werden müssen. Streit um dreckiges Geschirr in ihrer Wohngemeinschaft oder Socken ihrer Mitbewohner auf dem Flur.
Alles Dinge, über die sie reden kann. Anders als die drohende Abschiebung, die sie vielen Bekannten wie eine schwere Krankheit bis zuletzt verschwiegen hatte. Und bei denen, die eingeweiht waren, wird sie nicht mehr denken: Die sind besonders nett zu mir, weil ich in dieser Situation lebe.
Sie fängt ein Chemiestudium an, um später zu Medizin zu wechseln. Für dieses Fach hatte sie trotz ihrer Spitzennote keinen Platz bekommen. Ihr Ziel steht aber fest: Kinderärztin zu werden. "Ob sie als Kinderärztin auch in ihrer Heimat helfen will, kann Kate alleine entscheiden, wie sich das gehört", sagt Georg Debler. Auch der Anwalt spricht noch einmal über Kate Amayo in der dritten Person, obwohl sie ja im Raum ist. Auch wenn das bei ihm nicht böse gemeint ist: Das gehört der Vergangenheit an. Sie ist nun kein Fall mehr, über den man spricht.
Was wohl nicht heißt, dass sie sich nicht manchmal so fühlen wird. Größere Wunden heilen langsam.