Von der illegalen Eingereisten zur Spitzen-Abiturientin. Kate Amayo ist davon überzeugt, dass sie das ohne ihren Lehrer nie erreicht hätte.
Hamburg. Die Toskana bietet eine schöne Kulisse, mit Kirchtürmen und sanften Hügeln. Doch das Mädchen ist davor oft nur als Schatten zu sehen, eine verwackelte Bewegung auf Fotos, die sich dem Bann der Linse entzieht. Oder als kleines Gesicht, versteckt hinter Mitschülern. Nur auf einem Bild, da lacht Kate Amayo, so voll und unbekümmert, wie sie ihre Freunde auf der Klassenfahrt wohl erlebt haben.
"In diesem Moment hat sie nicht an die Kamera gedacht", sagt ihr Lehrer. Ein Besuch der Stadtteilschule Horn ist nicht nur eine Reise zu dem Ort, an dem die Ghanaerin ihre fast unheimliche Leistung von der illegalen Eingereisten zur Spitzen-Abiturientin schaffte, sie ist auch ein Treffen mit ihrem Lehrer, Jürgen Schmidt-Prestin. Ein ruhiger Mensch mit wachen blauen Augen, der nicht der Held sein will in dieser Geschichte. Auch wenn Kate Amayo sagt: "Ohne Sie hätte ich das alles nie geschafft."
+++ Kommentar: Erschreckende Sturheit +++
Sie habe eben angenommen, was die Schule so an Hilfe anbiete, sagt der Lehrer. Sprachkurse und Gespräche nach dem Pausengong. Lieber erklärt er, warum Kate so unterschiedlich in den beiden Fächern gewesen sei, die er unterrichtet. In Mathematik habe sie sich oft aufgekratzt am Unterricht beteiligt, in Gemeinschaftskunde dagegen meist nur auf Nachfrage geantwortet, und zwar betont sachlich.
"Sie wollte als Ausländerin nicht mit Kritik an der Gesellschaft auffallen, die sie akzeptiert und Teil von ihr sein will", sagt der Lehrer. Mathematik sei da eben unverfänglicher. Unauffällig sei Kate gewesen, auch im positiven Sinne, nicht ein einziges "disziplinarisches Vergehen", vergessene Hausaufgaben eingeschlossen, sei über sie bekannt.
Unauffällig, so wie auf den Fotos der Klassenfahrt nach Italien, wo Kate mitfahren durfte, weil ihr Tutor Schmidt-Prestin beim Ausländeramt unterschrieb, dass er sie wieder mitbringen werde. Aber "nicht duckmäuserisch" - eher so, dass sie Regeln akzeptiere. Sehr kritisch habe sie sich dagegen oft über ihr Heimatland geäußert, über Korruption und Willkür dort.
Kate Amayo lernte mit 15 Jahren Deutsch. Englisch ist ihre Muttersprache, heute redet sie mit einem Akzent, der kaum noch einer Herkunft zuzuordnen ist. Dass sie das beste Abitur ihrer Stufe ablegte, habe ihren Lehrer aber nicht so sehr überrascht. "Die besten Noten kommen hier längst nicht mehr nur von einheimischen Kindern", sagt er. Mehr als 60 Prozent der Schüler seiner Gesamtschule haben einen Migrationshintergrund. "Katastrophale Aufsätze liefern auch mal Deutsche ab." Die These von Thilo Sarrazin, schlechte Leistungen seien auch erblich, sei im Stadtteil Horn nicht angekommen "Wir leben hier eine völlig andere Realität."
Es passt zu Kate Amayo, dass sie sich im privaten Gespräch ziemlich gut auskennt mit Politik, oft die Zeitung liest. Und als sie an der Elbphilharmonie vorbeifährt, jemand lästert, die Fassade sei gar nicht so schick, das sagt sie: "Ich finde, die sieht super aus." Klar, steigende Kosten, aber insgesamt sei das Projekt gut.
Da ist eine weitere Vaterfigur außerhalb der Familie, die ihr Leben geprägt hat. Georg Debler, ihr Anwalt. Ein dozierfreudiger Herr mit Brille, der gerne von eigenen Afrikareisen berichtet. Da sitzt er mit seiner Mandantin, redet über die vielen Hilfsangebote von Hamburgern, sagt: So was Tolles habe er selten erlebt. Auch Kate Amayo kann das alles noch nicht fassen, will sich überall bedanken: "Das berührt mich sehr."
Seit 30 Jahren hat sich Debler auf Ausländerrecht spezialisiert. Natürlich sieht er jetzt die politische Dimension seines Falles. "Formal" stimme zwar, dass die Innenbehörde im Fall seiner Mandantin nach "Recht und Gesetz" gehandelt habe. Aber die Behörde habe Spielräume. "Diese werden viel zu oft zulasten der Ausländer ausgelegt", sagt Debler. Wenn das Gesetz laute, Zugewanderte müssten "in der Regel" ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, heiße das auch, dass es juristische Ausnahmen gebe. Deine Mutter, sagt er zu Kate, sei so ein Fall - sie arbeitet in zwei Jobs als Putzfrau und beziehe nur ergänzende Sozialhilfe, für die Kinder. Auch sei schon lange klar gewesen, dass Kate studieren könne und dann BAföG bekomme. Und jetzt seien da die finanziellen Angebote vieler Hamburger. Für die Sachbearbeiter hat der Anwalt aber doch noch ein gewisses Verständnis: "Sie erleben nicht selten falsche oder unvollständige Angaben." Das verändere die Menschen.