Die heute 20 Jahre alte Kate Amayo kam vor fünf Jahren aus Ghana nach Hamburg: Sie machte ihr Abitur mit 1,8 und möchte nun Chemie und Medizin studieren. Doch jetzt soll sie abgeschoben werden
Hamburg. Ein Flugticket kann Angst machen, wenn man zu Hause bleiben will. Sonnig war es am Mittwochmorgen vergangener Woche, als Kate Amayo für immer das Land verlassen sollte. Um 8.55 Uhr, per Lufthansa-Flug in einer Fokker 70 nach Amsterdam, später mit einer Boeing nach Accra in Ghana. Flugzeit: sechs Stunden, 40 Minuten. Eine Zusatzinfo auf dem Flugschein lautet "Abgeschobene Person ohne Begleitung".
Kate Amayo kennt den Ort, an den sie geschickt werden soll. In der afrikanischen Millionenstadt am Golf von Guinea hat sie schon auf der Straße gelebt. Damals war sie 15 Jahre alt, sprach kein Deutsch und ahnte nicht, dass sie fünf Jahre später in Deutschland ihr Abitur mit einer Eins vor dem Komma besteht. Und dass sie einen Studienplatz in Chemie bekommt, den sie nun nicht antreten soll.
"Oh, mein Gott, das war der schlechteste Tag meines Lebens", sagt die 20-Jährige. Wenige Tage vor dem Abflugtermin präsentierte die Innenbehörde ihr das Ticket. Die Frau mit gelbem Kopftuch kann jetzt schon wieder lächeln. Sie ist ja noch da. Weil sie schlau ist und sich von ihrem Rechtsanwalt helfen lässt. Der erinnert die Behörde daran, dass sich am Monatsende erst noch die Härtefallkommission der Bürgerschaft mit dem Fall befassen muss. Am 30. September. Einen Tag später beginnt entweder ihr Chemie-Studium an der Universität Halle. Dort hat sie einen Platz bekommen. Oder sie muss zum Flughafen.
"Das wäre echt krass. Ich habe dort ja niemanden", sagt Kate Amayo. Sie spricht mit Akzent, aber fließend.
Ihre Mutter kam schon vor 19 Jahren nach Deutschland. Mit Aufenthaltsgenehmigung lebte die Mutter von zwei Jobs als Putzfrau, schickte Geld nach Ghana und versuchte seitdem, ihre Tochter nachzuholen.
In dem Buch "Deutschland schafft sich ab" fordert Thilo Sarrazin, "mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist". Ihn sollte interessieren, was aus der Tochter dieser Putzfrau aus Ghana wurde. Als Kate Amayo mit 15 Jahren nach Hamburg kam, lernte sie ein Jahr lang Deutsch und bestand ihren Abschluss an der Realschule in Kirchdorf. Ihre Mutter, die kaum Deutsch spricht, schickte sie zur Gesamtschule Horn. Da seien weniger Ausländer, das sei besser für ihre Kate, sagte die Mutter.
Es ist ein warmer Sommertag am 23. Juni, als Kate Amayo ihr "Zeugnis über die allgemeine Hochschulreife" in der Hand hält. Notendurchschnitt 1,8. "Sehr gut" erzielte sie in Spanisch, Englisch, Mathematik, darstellendem Spiel - und in Deutsch: 13 Punkte im zweiten Halbjahr. Das schaffen viele Muttersprachler nicht.
Doch da lebt sie schon lange mit einem Schatten in ihrem Kopf: "Duldung", das ist der rechtliche Status, den sie hier in Deutschland hat. Der kann sich jederzeit ändern. Immer wieder erhält sie Post von der Innenbehörde, die ihre baldige Abschiebung ankündigt. Darin wird sie auch "darauf hingewiesen, dass die Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen kann, der zur Rücknahme verpflichtet ist". Einmal, am Einwohnermeldeamt, legte man ihr eine Verfügung zur Abschiebung vor, zur Unterschrift. "Obwohl ich ohne Anwalt da war."
Kate Amayo reiste illegal nach Deutschland ein. Eine Frau habe sie damals von Ghana nach Deutschland gebracht, zurück zu ihrer Mutter, an mehr will sie sich nicht erinnern. "Danach habe ich sie nie wieder gesehen." Sie besuchte eine "Vorbereitungsklasse" und ging auf die Realschule.
Die Ghanaerin findet schnell Freunde. Sie gibt Nachhilfe in Mathe und Englisch. Nur einen Partner hat die junge Frau nicht. Sie tickt mit dem Zeigefinder an ihre Stirn: Dafür habe sie gar keine Zeit. "Vielleicht aber, wenn mein Leben etwas geordneter ist." Neben der Schule passt sie auf ihre zwei Halbgeschwister auf, mit denen sie bei ihrer Mutter in einer Wohnung in Wandsbek lebt. Mit ihnen redet sie auch Deutsch. "Einer muss das ja machen."
Nach ihrem Abitur bewirbt sich Kate Amayo an Universitäten. Egal, wie prekär ihr Aufenthaltsstatus ist. Sie weiß, dass Bildung der Schlüssel ist, um hier zu bleiben. Sie will Medizin studieren, bekommt aber nur einen Studienplatz für Chemie. Später will sie zu Medizin wechseln. Sie bemüht sich um Stipendien und spürt jenen Teufelskreis, der typisch ist für "geduldete" Ausländer: Ohne Aufenthaltsgenehmigung darf sie nicht arbeiten und bekommt auch keine BAFöG-Förderung, ohne Studienplatz bekommt sie kein Stipendium, und ohne geregeltes Einkommen eben keine Aufenthaltsgenehmigung.
In Ghana will Kate Amayo nicht studieren. "Das geht nur mit sehr viel Geld, wegen der Korruption". Sie will Ärztin werden, um Menschen zu helfen. "Um etwas zurückzugeben von der Chance, die ich bisher hier in Deutschland bekommen habe."