Port Louis. Unser Weltreisender erlebt einen Notfall an Bord – und hat eine ganz besondere Begegnung, bei der er viel lernt.
Heute am Nachmittag stand mit einem Mal die Bergkulisse von Mauritius am Horizont, einfarbig dunkelblaugrau unterm wolkenverhangenen Ozeanhimmel wie ein ellenlanger Schattenriss. Vor zehn Jahren war ich schon einmal hier. Und so genügsam kann Heimweh sein: Erstmals seit über zwei Monaten auf dieser Reise bin ich an einen Ort gelangt, an dem ich schon einmal war. Plötzlich und völlig überrascht fühle ich mich heimgekehrt, angekommen und geborgen in irgendeinem Schoß. Das große Abenteuer der Weltumrundung liegt hinter mir, ich bewege mich wieder auf bekanntem Terrain. Zwar sind es noch mehr als 30 Tage bis nach Hamburg, aber die meisten der Ziele, die wir mit unserer „AidaMar“ noch ansteuern werden, sind mir bekannt: Kapstadt, Madeira, Teneriffa, Lissabon, Porto – alles schon gehabt. Ich freue mich auf diese Handvoll Wiedersehen.
Auf Mauritius sind wir einen halben Tag später eingetroffen als geplant. Wieder einmal hat etwas unseren Zeitplan durcheinandergewürfelt. Etwa 250 Seemeilen hinter Australien erlitt eine 66 Jahre alte Passagierin eine gesundheitliche Attacke, vermutlich einen Schlaganfall, und musste schnellstmöglich in ein Krankenhaus. Mitten auf dem Indischen Ozean ist das leichter gesagt als getan, denn ein Rettungshubschrauber schafft es maximal 100 Seemeilen aufs Meer hinaus und wieder zurück, dann ist sein Tank leer. Also drehte Kapitän Felix Rothe unseren Dampfer um und fuhr zurück, den australischen Luftrettern entgegen.
„AidaMar“: Eine besondere Begegnung auf der Brücke
Die Übergabe der Patientin war dann eine meisterliche Punktlandung. Die Mannschaft im Helikopter schwebte 20 Meter über unserem Pooldeck, zog sie auf ihrer Trage an einem Stahlseil in die Höhe und brachte sie flugs in eine Klinik im australischen Perth. Drei Minuten und keine Sekunde mehr Restzeit war der Sicherheitspuffer, den die Piloten sich dabei ließen.
Mit mir als Zeitungsschreiber hatte Kapitän Felix Rothe zufällig genau an diesem aufregenden Notfall-Tag ein Treffen vereinbart. Das haben wir dann lieber auf den nächsten Tag geschoben, als bei ihm auf der Brücke alles wieder entspannt war. Wenn auf dem Ozean weit und breit kein anderes Schiff, kein Wal und kein Delfinschwarm zu sehen ist, dann dümpelt unsere „AidaMar“ ganz eigenständig per Autopilot durchs kabbelige Salzwasser.
Bei sparsamer Fahrt kommt das Schiff mit vollem Tank 10.000 Kilometer weit
„Das kann sich aber jeden Augenblick ändern“, gibt Rothe zu bedenken. „Wenn jetzt etwa vor uns ein Flugzeugteil auftaucht, dann würden wir nicht einfach ausweichen, sondern das Teil aus dem Wasser fischen. Es könnte ja wichtig für die Absturz-Ermittlungen sein.“ Er sagt das nicht ohne Grund. Denn irgendwo hier im Indischen Ozean, gut 500 Seemeilen westlich von Australien, muss im März 2014 ein Flieger der Malaysian Air mit 227 Passagieren ins Meer gestürzt sein, der bis heute nicht gefunden wurde.
Glücklicherweise hatten wir genügend Sprit an Bord und mussten wegen der zusätzlichen 300 Seemeilen nicht auch noch auf hoher See nachtanken. „Es hat locker bis nach Mauritius gereicht“, sagt Kapitän Rothe. Hier kommen nicht nur ungefähr 200 neue Passagiere an Bord, sondern auch frischer Proviant, und wir pumpen ein paar Hundert Tonnen Kraftstoff in unsere Tanks. Insgesamt 2200 Tonnen dieselgleiches Marinegasöl (MGO) passen hinein. Bei sparsamer Fahrt mit einem Tempo von 12 Knoten kommt unser Schiff damit 10.000 Kilometer weit. Meistens sind wir aber mit 18 Knoten unterwegs.
„Die Spezies Captain Smith ist ausgestorben“
Mit seinen 42 Jahren ist Rothe ein ziemlich junger Kapitän. Nach seinem Studienabschluss als Diplom-Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr (früher nannte man das einfach Nautik-Studium) startete er 2008 bei Aida, wurde er 2014 Staff Kapitän (früher: 1. Offizier), dann vor fünf Jahren Aida-Kapitän. Vorbei sind wohl die Zeiten meiner Hochzeitsreise im Jahr 2001, als der weit über 60-jährige graubärtige Captain Smith zum steif-prätentiösen Captain‘s Dinner auf der Queen Elizabeth II lud. „Die Spezies Captain Smith ist ausgestorben“, meint Rothe. „Es hat sich in den letzten Jahrzehnten technisch so viel entwickelt – da bräuchte so ein alter Seebär eine komplett neue Ausbildung.“ Und auch das altmodische Captains Dinner in Smoking und Abendkleid gibt es auf der Aida nicht mehr. Es heißt heute Offiziers-Dinner, und wer im kleineren Kreis beim noblen Bord-Italiener Rossini dabei sein will, zahlt 89 Euro für seine Teilnahme.
Schon morgen steht uns die nächste Abweichung vom Zeitplan bevor. Diesmal sitzt uns ein tropischer Wirbelsturm im Nacken, der am Wochenende von Norden nach Mauritius und zur Nachbarinsel La Reunion kommt. Daher wird dort morgen der Hafen gesperrt, wir lassen die Insel links liegen und machen uns zügig aus dem Staub – Richtung Südafrika.
„AidaMar“: Ruheständler Thomas Voigt reist um die Welt. Seine bisherigen Berichte:
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