Reinhard Saloch ist ein Lexikon. Spaziert der 63-Jährige mit den lichten, grauen Haaren und der braunen Hornbrille durch seinen Stadtteil, bleibt er an jeder Ecke stehen und erzählt. Er weiß alles über Barmbek-Nord. Sein ganzes Leben hat er hier verbracht, im selben Viertel, in der selben Straße. "Ich wollte hier nie weg", sagt er. Die Geschichte des Quartiers ist damit auch seine Geschichte. Jeder Platz, jedes Haus, jede Grünfläche ist eine persönliche Erinnerung. "Dieser Grünweg wird zu Ehren des Schriftstellers nächstes Jahr in Giordano-Gang benannt", erzählt Reinhard Saloch an der Hufner Straße. Zwei ältere Passanten hören fasziniert zu, stellen immer wieder Fragen. Reinhard Saloch redet gern und viel.

Die Barmbeker Geschichte hat sein Leben geprägt. Er wäre im Oktober 1943 im Stadtteil geboren worden, doch schwere alliierte Bombenangriffe auf das Viertel machten Neustadt/Holstein zu Salochs Geburtsort. "Mir fehlen aber nur ein paar Wochen", sagt er mit Stolz. Barmbek-Nord galt schon immer als Arbeiterviertel, auch Reinhard Salochs Vater war Tischler. Saloch selbst arbeitete lange als Exportkaufmann in der Speicherstadt, bis er schließlich seiner Leidenschaft nachging und Geschichte studierte. 1986 war er Mitbegründer der Geschichtswerkstatt Barmbek. Noch heute engagiert sich der Hartz-IV-Empfänger dort. "Lieber Prekariat und Faszination dabei", sagt der 63-Jährige.

Jeden Tag führt er Menschen durch das Viertel, berichtet in Schulklassen als Zeitzeuge oder liest in der Bilbliothek zur Geschichte des Stadtteils. "So viele Leute wissen so wenig über ihre Vergangenheit", sagt Reinhard Saloch. "Doch ein Stadtteil kann so spannend sein, wenn man sich mit seiner Vergangenheit befasst." In seinem Kopf vermischen sich historische Quellen mit eigenen Eindrücken. Er läuft über das Gelände des Museums der Arbeit. "In den 30ern standen hier noch große Fabriken am Kanal", erzählt er und zeigt in Richtung Osterbekkanal. Der Ausbau großer Industrieanlagen machte Barmbek-Nord damals zum größten Arbeiterviertel Hamburgs. Der damalige, auf geringe Einkommen ausgerichtete Wohnraum prägt den Stadtteil noch heute. Doch das Viertel hat sich seitdem sehr verändert: Tante-Emma-Läden sind großen Supermarktketten gewichen. Die Fabriken gingen, die Dienstleister kamen. "Die Mittelschicht ist nun da", sagt Reinhard Saloch, "und jede Woche entsteht hier etwas Neues."

Heute zeigt sich das traditionsreiche Industriezentrum mit seinen Rotklinker-Backsteinbauten sehr grün. So war früher der Osterbekkanal, der den Norden Barmbeks vom Süden trennt, von der Industrie verschmutzt, heute ist er ein Freizeitziel für Paddler und Naturfreunde.

Dafür sei das Viertel in den letzten Jahrzehnten zur "kulturellen Wüste" verkommen, erzählt Reinhard Saloch. Mit einer Wunschbaumaktion 2001 haben deshalb Bürgerintitiativen und Organisationen gefragt, was in ihrem Stadtteil besser werden soll. Seitdem engagieren sich Gewerbe, Bürger und Verwaltung für einen lebenswerteren Stadtteil. "Es gibt heute viele Straßenfeste und kulturelle Aktionen", erzählt Saloch. Der Senat erklärte die Fuhlsbüttler Straße im Jahr 2005 zum Sanierungsgebiet. Hier soll in den nächsten Jahren der Verkehr beruhigt und mehr Räume für Bürger geschaffen werden. Vor dem Museum der Arbeit soll ein "Stadtplatz" entstehen. Auch der Bahnhof Barmbek soll verschönert werden.

"Es gibt viele Ideen", sagt Ann Christin Hausberg aus dem Bürgerhaus Barmbek, "die Beteiligung ist groß." Auch Reinhard Saloch schätzt die Veränderung. "Es ist vieles besser als früher", meint er. Er wird die Geschichte weiterverfolgen.