Serie: Abendblatt und NDR-“Hamburg Journal“ präsentieren Hamburgs Quartiere. Kanäle, Teiche, “fette Häuser“, Alster, Stadtpark und Planetarium - für David Cordes Hamburgs schönste Ecke.
Als der Wasserturm im Stadtpark 1915 fertiggestellt war, war er mit 60 Metern eines der höchsten Bauwerke in Hamburg und bot eine tolle Aussicht über die Stadt. Doch auch 90 Jahre später lohnt sich der Weg auf die Aussichtsplattform des heutigen Planetariums noch. David Cordes kommt oft hierher. Und genießt den Blick auf seine Geburtsstadt und vor allem auf Winterhude - den Stadtteil, in dem der 35jährige viele Jahre verbracht hat.
"Im Norden reicht Winterhude bis zur City Nord. Sie sieht nicht gerade schön aus, ist aber ein wichtiger Arbeitgeber", sagt Cordes und zeigt vom Planetarium auf die hohen Fassaden der Firmensitze. Rund 30 000 Menschen arbeiten dort - und nutzen in der Mittagspause oder nach Feierabend den Stadtpark, der sich im Süden anschließt. "Hier habe ich die Hälfte meiner Jugend verbracht", sagt Cordes, der als Berater in der Entwicklung des Otto-Konzerns tätig ist. Fußball hat er auf den Grandplätzen am Jahnring beim SC Sperber gespielt, Leichtathletik beim HSV auf der Jahnkampfbahn gemacht oder einfach auf den Grünflächen gesessen, den Grill angeworfen und einem der Konzerte von der Freilichtbühne gelauscht. "Ich kann im Stadtpark wunderbar entspannen."
Sein liebster Ort zum Entspannen liegt aber an der Alster. Eine Bank an der Bellevue hat er als Student (Mathematik und Volkswirtschaft) für sich entdeckt. "Hier bekam ich den Kopf frei von Formeln und Rechnungen", sagt er. "Es ist einfach ein prima Ort, um abzuschalten oder zu philosophieren. Und man hat einen Superblick auf Hamburg." Abschalten sollte man auf der Sierichstraße lieber nicht. Vor allem zweimal am Tag muß man hellwach sein - wenn die Straße ihre Fahrtrichtung wechselt. Von vier Uhr morgens an dürfen die Autos nur stadteinwärts fahren. Acht Stunden später fließt der Verkehr in die andere Richtung. "Kurz nach den Richtungswechseln fahren alle übervorsichtig - wie auf rohen Eiern." Auch er habe lange gebraucht, bis er das Wechselspiel intus gehabt habe, obwohl er selbst die ersten 23 Lebensjahre an der Straße gewohnt hat.
Winterhude läßt bei Cordes keine Wünsche offen. Wegen des Parks. Wegen der Einkaufsmöglichkeiten. Und wegen Kampnagel. "Wo früher Arbeiter malochten, verzahnen sich heute die verschiedenen Schichten", sagt er. Das Kulturzentrum in der ehemaligen Kranfabrik ist für Cordes ein Sinnbild des Stadtteils. Mit Winterhude, sagt er, könne sich jeder identifizieren - egal, aus welcher Schicht man komme.
Wer es sich leisten kann, der bevorzugt in Winterhude meist ein Domizil an der Alster. An der Körnerstraße wechseln sich gelbe, rote, blaue und weiße Fassaden ab. "Dadurch hat jedes Haus seinen eigenen Stil, obwohl fast alle Häuser baugleich sind", sagt er. Viele der Häuser kenne er von innen. Schulfreunde und Sportkollegen wohnten dort. Und als Laufbursche kam er auch in so manches schicke Eigenheim. Als 14jähriger hat er Wein ausgeliefert. "Damals habe ich in ein Haus an der Scheffelstraße Champagner gebracht. Der Kunde fragte, ob ich den nicht auch ausschenken könnte." Er konnte - und bekam 100 Mark für den Job, der nur 75 Minuten dauerte. "Da habe ich das erste mal richtig Geld verdient", sagt er.
Den Blick für andere Schönheiten hat er sich bewahrt - wie etwa auf den Schinkelplatz. Als er vor zehn Jahren von einem Studienaufenthalt aus Madrid wiederkam, hat er bei einem seiner Streifzüge durch das 755 Jahre alte Winterhude den Platz erstmals so richtig wahrgenommen. "Damals gab es dort noch richtig viele grüne Bäume. Das kannte ich aus Spanien gar nicht mehr", erzählt er. "Dieser Platz ist in sich stimmig und hat Charme." Früher sei es eher eine einfache Wohngegend gewesen. "Nach der schrittweisen Sanierung ist der Schinkelplatz nun eine der begehrtesten Wohnlagen", sagt er. Rund 3000 Euro koste der Quadratmeter einer Eigentumswohnung. Von den Bäumen von einst stehen aber nur noch wenige. Dafür toben Kinder über den Spielplatz oder im Sommer im Planschbecken, und Jugendliche werfen auf einen Basketballkorb oder spielen Tischtennis.
Cordes macht lieber ausgedehnte Spaziergänge. Egal, ob er die Andreas- oder Wentzelstraße entlanggeht oder am Leinpfad den Blick auf die Alster genießt. "Die Häuser sind einfach fett", sagt er im Hamburger Slang. Noch lieber als zu Fuß, bewegt er sich im Sommer allerdings auf dem Wasser fort. "In Winterhude muß man einfach ein Kanu besitzen", sagt er. Mit dem kann man auf so mancher Grenze des Stadtteils herumfahren. Die Alster im Westen, der Lange Zug und der Osterbekkanal im Süden sowie der Barmbeker Stichkanal, an dem Cordes seit sechs Jahren wohnt, im Osten trennen Winterhude ab. "Am liebsten paddle ich aber über den Goldbekkanal auf den Rondeelteich. Da genieße ich die vollkommene Stille - denn der ist nur vom Wasser aus erreichbar." Und Einblicke in das kleine Paradies sind von außen kaum zu erhaschen - nicht einmal vom Planetarium aus. Ob von oben oder aus der Froschperspektive: Winterhude ist für ihn nun einmal der schönste Teil Hamburgs.