11 000 begeisterte Fans jubelten der Künstlerin nach ihrem Konzert zu. Abendblatt-Redakteur Heinrich Oehmsen erlebte die Entertainerin hautnah hinter der Bühne, in ihrer Garderobe und auf ihrer Aftershow-Party. Hier geht es zu den Bildern von Ina Müller.

Der Aschenbecher auf dem Schminktisch ist voll. Acht Stummel liegen darin, an jedem klebt roter Lippenstift. "Normalerweise rauche ich nicht so viel, aber heute war das Lampenfieber besonders groß", sagt Ina Müller. Es ist Montagabend, 23.45 Uhr.

Vor einer halben Stunde hat die Entertainerin die Bühne der Color-Line-Arena verlassen. Unter Tränen. Und begleitet vom begeisterten Jubel von 11 000 Zuschauern. Eine Tournee mit 50 Auftritten liegt hinter ihr, das Konzert in der ausverkauften Arena ist der Höhepunkt - musikalisch und emotional. Als sie sich um 23.15 Uhr ein letztes Mal verbeugt, erreicht sie mit diesem Konzert eine Dimension, von der sie vor zweieinhalb Jahren noch nicht zu träumen wagte, als ihr Pop-Album "Weiblich, ledig, 40" erschien. Hinter dem schwarzen Bühnenvorhang wartet Produktionsleiter Matthias Klette und legt ihr einen weißen Bademantel um. Ihre Musiker schlendern schon gelassen in Richtung Garderoben, Ina braucht noch zwei, drei Minuten, setzt sich auf die mittlere Bühnentreppe und lässt ihren Tränen freien Lauf. Die Anspannung von drei Stunden konzentrierter Bühnenarbeit ist ihr anzusehen.

"Ich kämpfe gegen die Tränen an, aber wenn es passiert, muss ich mich erst mal hinsetzen", sagt sie eine halbe Stunde nach Konzert-Ende. Von der Anspannung ist nichts mehr zu sehen. Mit einer Zigarette in der Hand räumt sie das Chaos in ihrer Garderobe auf, wirft diverse Schminkutensilien in eine große offene Wildledertasche, packt den Laptop zusammen und macht sich fertig für die Aftershow-Party. "Es ist schon ein richtig guter Tag heute, und wenn es gleich noch Gold gäbe, wäre der Tag total perfekt." Gold steht für eine Goldene Schallplatte und 100 000 verkaufte Tonträger.

Angefangen hatte der Arbeitstag der 43 Jahre alten Künstlerin um 16 Uhr mit dem Soundcheck. Da steht sie zum ersten Mal auf der großen Bühne der Color-Line-Arena und bekommt eine Ahnung von der Größe der Halle, in der sie bislang nie aufgetreten ist. Hinter ihr tritt Schlagzeuger Helge Zumdick auf das Pedal seiner Bassdrum. "Bump! Bump! Bump! Ich fühlte mich wie auf dem Schafott", sagt sie später bei der Begrüßung des Publikums. Doch vom Soundcheck bis zur Show sind es noch vier Stunden. 240 Minuten, in denen das Lampenfieber steigt. Die Probe gibt ein bisschen Sicherheit, das gemeinsame Essen im Cateringraum bietet Abwechslung. Koch Oliver Bierzele hat heute Zwiebelsuppe, gebratene Scholle und einen Grillspieß auf seiner Speisekarte. Ina Müller scherzt und albert mit ihren Musikern. Um 18.30 Uhr geht sie in ihre Garderobe. Jetzt will sie allein und ungestört sein. Ein Schild mit einer geballten Faust macht deutlich, was dem blüht, der das Verbot missachtet.

Draußen in der Halle ist es ruhig. Die ersten Zuschauer kommen in die Arena, Stefan Welzin, der sogenannte Backliner, trägt an diesem Abend die Verantwortung für alles an und auf der Bühne. Der drahtige Mann mit den tätowierten Armen und dem federnden Gang stimmt die Gitarren, aber er kümmert sich auch um die Getränke. Eine Leuchtschnur markiert in der Dunkelheit hinter der Bühne den Weg zu den beiden Aufgängen. Alles ist bereit, die Show könnte beginnen. Stefan Welzin ist gelassen. Ina Müllers Gäste für diesen Abschlussabend trudeln nach und nach ein. Gregor Meyle, ein Singer/Songschreiber aus Schwaben hat seine Akustikgitarre schon hinter der Bühne aufgestellt, aus Inas Garderobe hat er sich ein Bügelbrett geliehen, um sein schwarzes Hemd zu glätten. Ingo Pohlmann sucht seine Garderobe, Stefan Gwildis kommt in einen dicken Schal gehüllt und mit einer Medikamententüte. "Nur Magnesium", sagt er, "ich schwitze immer so leicht."

Der Star des Abends sitzt derweil in der geräumigen Garderobe auf dem Ledersofa und kämpft gegen das Lampenfieber an. "Mir ist schlecht, ich bin nervös, meine Haut fühlt sich an, als hätte ich eine Sonnenallergie." Sie sammelt sich, sie geht den Ablauf noch einmal durch, den sie auf dieser Tour schon 49-mal erfolgreich gemeistert hat, sie hört Musik auf ihrem Laptop, diesmal von Clueso und Kasey Chambers, sie raucht, sie trinkt Ingwertee. Tasse um Tasse.

Um kurz vor acht stöckelt sie auf den Flur hinaus, immer noch den Ingwertee in der Hand. Umarmt Stefan Gwildis, fragt nach der Uhrzeit. "Holt die Jungs zusammen. Die Chefin tobt", ruft sie und lacht. Die Band und die Sängerinnen kommen aus ihrer Garderobe, Sarah Jane McMinn als Letzte. Alle bilden einen Kreis und fassen sich an. Gemeinsames Einschwören wie bei Sportteams. "Let's go down and fuck them all. Zicke zacke, zicke zacke, hoi, hoi, hoi!", ruft die "Chefin", die Arme fliegen hoch. Das Ritual ist vollzogen, die Show kann beginnen. Eigentlich.

Doch der Anfang verzögert sich. Man wartet auf zu spät gekommene Fans, die im Stau stecken geblieben sind. Bassist Dirk Ritz lockert seine Arme, Ina Müller stretcht sich, geht tief in die Hocke und verharrt für ein paar Momente. Um 20.09 Uhr gibt Matthias Klette das Zeichen. "Los, wir fangen an!" Die Musiker nehmen hinter ihren Instrumenten Platz, Ina klatscht sich noch mal mit ihren Sängerinnen ab, acht Stufen hinauf, durch den dicken schwarzen Vorhang, das Mikrofon gegriffen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Und Ina Müller ist gut an diesem Abend. Das Timing für ihre pointierten Gags stimmt, sie bewegt sich mit großer Lässigkeit auf der Bühne, sie tanzt, sie singt, sie schäkert mit dem Publikum. Wie immer sucht sie sich einen Zuschauer in der ersten Reihe, der ihre Verbindung zum Publikum herstellt und den sie als "running gag" mit ins Programm einbaut. Diesmal ist es Christian aus Buchholz. Vor der Pause muss er mit ihr auf der Bühne tanzen, im Zugabenteil eine Tafel mit einem Songtext hochhalten. Ina Müller ist ein Star zum Anfassen, sie hebt das "wir hier oben, ihr da unten" mit jedem Sketch auf, weil sie nicht nur Christian, sondern jeden Fan in ihre komisch-absurde Alltagsbewältigung mit einbezieht. Einen Hänger oder Anzeichen von Ermüdung gibt es nie. Drei Stunden lang zieht sie ihr Programm durch und lässt sich vom Publikum tragen. "Es ist schon etwas Besonderes, wenn ein Gag bei zehntausend Leuten ankommt und nicht nur bei tausend", sagt sie später in ihrer Garderobe.

Die Euphorie der Fans setzt sich bei der anschließenden Party zu ihren Ehren fort. Als sie ins Platinum-Restaurant kommt, wird sie von Hans-Werner Funke, ihrem massigen Tourveranstalter, so fest umschlungen, dass ihr fast der Atem wegbleibt. Reinhold Beckmann fällt sie ebenso um den Hals wie Heinz Canibol, ihrem Labelchef. Überall zufriedene Gesichter angesichts des triumphalen Tourneeabschlusses. Gold gibt es auch, aber nicht als Goldene Schallplatte, sondern als Goldene Eintrittskarte für mehr als 100 000 Zuschauer. Nur ihre Musiker stehen in diesem Trubel etwas abseits. Vier Monate sind sie mit ihrer Chefin unterwegs gewesen, dies ist vorläufig der letzte Abend. "Es ist ein wenig so, als ob eine Familie auseinandergeht. Sie werden mir fehlen", sagt Ina Müller etwas wehmütig. Doch ihr Terminkalender ist voll. Pausen kennt sie nicht. Nicht einmal bis zum Exzess feiern kann sie an diesem Abend. Am nächsten Tag hat sie um 10 Uhr den ersten Termin. Anprobe beim Schneider für die Heinz-Erhardt-Gala. Aber bis dahin wandern noch etliche Zigaretten aus ihrer Schachtel in die umliegenden Aschenbecher. Markiert von ihrem roten Lippenstift.


Sehen Sie sich zu dem Konzert auch unsere Bilderleiste im Internet an unter www.abendblatt.de/hamburg