Nach der Freilassung des Frachters “Hansa Stavanger“ fordert Bundesminister Franz Josef Jung den Einsatz der Bundeswehr.

Hamburg/Berlin. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) will der Bundeswehr mit einer Verfassungsänderung Geiselbefreiungen ermöglichen. Derzeit sei die Polizei für Geiselbefreiungen zuständig, sagte der Minister mit Blick auf die Entführungen deutscher Schiffe vor der Küste Somalias der Zeitung „Bild am Sonntag“. „Wir sollten über eine Verfassungsänderung nachdenken, die der Bundeswehr den Zugriff dann ermöglicht, wenn die Polizei nicht handeln kann.“ Er wolle dieses Thema spätestens nach der Bundestagswahl auf die Tagesordnung setzen, fügte Jung hinzu.

Bis die Polizei am Horn von Afrika zur Befreiung des gekaperten Containerschiffes „Hansa Stavanger“ einsatzfähig gewesen sei, habe sich die Lage längst verschärft, sagte Jung. „Erst gab es auf der ’Hansa Stavanger’ fünf Piraten. Später waren es bis zu 35 Piraten, und die Lage wurde viel schwieriger.“ Außerdem wolle er über die Mitnutzung von militärischen Geräten mit Frankreich verhandeln, sagte Jung. „Zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung wurde im Jahr 2003 entschieden, dass wir keinen eigenen Hubschrauberträger bestellen. Heute bin ich der Auffassung, dass wir zumindest die Möglichkeit schaffen müssen, auf einen solchen Hubschrauberträger zurückgreifen zu können“, sagte er.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) lehnte die Forderung von Jung ab. „Natürlich darf die Bundeswehr im Rahmen der Operation Atalanta vor dem Horn von Afrika Geiseln aus der Hand von Piraten befreien – dazu muss man das Grundgesetz nicht ändern“, sagte Zypries dem Hamburger Abendblatt (Montag-Ausgabe). „Eine mögliche Befreiung der Besatzung der Hansa Stavanger ist nicht am Grundgesetz gescheitert – dass man sich gegen einen solchen Einsatz entscheiden hat, hatte rein operative Gründe.“ Im Übrigen müsste bei einer Geiselbefreiung die Bundeswehr ihre Spezialkräfte einfließen lassen, „und ich wüsste nicht, warum das KSK schneller vor Ort sein sollte als die GSG 9“, sagte die Ministerin.

Der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder, unterstützte dagegen den Verteidigungsminister. „Jung hat völlig Recht. Piratenbekämpfung und Geiselbefreiung müssen für Deutschland möglich sein“, sagte der CDU-Politiker dem Hamburger Abendblatt (Montag). „Das kann nur die Bundeswehr, und deshalb muss das Grundgesetz geändert werden.“ Der Verteidigungsminister forderte die deutschen Reeder ferner auf, ihre Schiffe unter deutscher Flagge fahren zu lassen und ihre Abgaben in Deutschland zu zahlen, wenn sie deutschen Schutz erwarten.

Nach vier Monaten in der Gewalt von somalischen Piraten ist der freigelassene deutsche Frachter „Hansa Stavanger“ in Kenia wieder in Sicherheit. Das Containerschiff traf am Sonnabend im Hafen von Mombasa ein. Unter den 24 Besatzungsmitgliedern sind auch fünf Deutsche. Kapitän Krzysztof Kotiuk sagte, die Mannschaft sei erschöpft, aber gesund. Nun sollen die Männer von der Hamburger Reederei Leonhardt & Blumberg besonders entlohnt werden. Die 24 Seeleute können nach den Worten von Reedereisprecher Christian Rychly mit Extraleistungen rechnen. "Wir werden Situation und Wünsche jedes Einzelnen berücksichtigen. Wer einen langen Urlaub möchte, bekommt ihn ebenso wie Extra-Geld.“ Wer schnell wieder anheuern wolle, könne das auch tun. Fünf Mitglieder der Besatzung stammen aus Deutschland, zwölf aus Tuvala im Südpazifik, drei aus Russland, zwei aus der Ukraine und zwei von den Philippinen.

Der erste Abend an Land sei groß gefeiert worden. Am Sonnabendabend gab es nach den Worten von Rychly ein Festessen für alle in dem kenianischen Strandhotel, in das die Seeleute gebracht worden waren. „Das hatte sich die Crew ausdrücklich gewünscht, Essen und Trinken gemeinsam mit den Reedereivertretern vor Ort“, betonte er. Die Reederei hoffe, dass sie nicht auf allen Kosten wegen der Entführung des Containerschiffes sitzen bleibe und die Versicherungen einen Teil des Schadens erstatten. Schließlich habe man vier Monate lang keine Einkünfte gehabt, sagte Rychly.

Die am 4. April gekaperte „Hansa Stavanger“ war Anfang der vergangenen Woche freigekommen. Unbestätigten Meldungen zufolge soll ein Lösegeld von 2,7 Millionen Dollar (1,9 Millionen Euro) gezahlt worden sein.Die Besatzungsmitglieder freuten sich jetzt auf ein Wiedersehen mit ihren Familien, sagte Kapitän Kotiuk. In einem Telefoninterview hatte er am Donnerstag von dem Druck berichtet, dem die Mannschaft in der Hand der Entführer ausgesetzt war. Er sprach nach Angaben des ARD-Magazins „Panorama“ von Scheinhinrichtungen und „Psychoterror rund um die Uhr“.

Vor Ort in Mombasa waren nach Angaben einer Sprecherin Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes (BKA), um dort Tatort- und Spurensicherungsarbeiten durchzuführen. Zuständig für die Ermittlungen gegen die Piraten ist die Staatsanwaltschaft Hamburg, die bereits ein Rechtshilfeersuchen an die kenianische Regierung gestellt hat. Den Piraten wird ein Angriff auf die Seeverfassung und schwere räuberische Erpressung vorgeworfen.

Reeder Frank Leonhardt hatte die Piraten als „skrupellose Kriminelle“ bezeichnet, die in den vier Monate dauernden Verhandlungen keine verlässlichen Gesprächspartner gewesen seien. Die Dauer der Entführung habe sich verzögert, da „viele Aussagen der Gegenseite wenige Stunden später nichts mehr wert waren“.

Die Bundesregierung bestätigte die Berichte über eine Lösgeldzahlung für das Containerschiff und seine Besatzung nicht, Außenminister Frank-Walter Steinmeier verteidigte allerdings Zahlungen für entführte Deutsche im Ausland. „Lösegeldzahlungen sind nie eine gute Möglichkeit, mit Entführungen zurechtzukommen“, sagte Steinmeier am Mittwoch. Allerdings habe es öfter vor der Küste Somalias keine andere Möglichkeit gegeben.

In der Hafenstadt Harardhere, einer Hochburg der Piraten, wurden unterdessen bei Gefechten binnen zwei Tagen mindestens zwölf Menschen getötet, wie Augenzeugen berichteten. Auslöser der Gewalt war nach Angaben eines Stammesältesten ein Streit über ein Auto. Später hätten sich Clan-Milizen in den Konflikt eingemischt. 15 Menschen seien verletzt worden, sagte ein Augenzeuge am Samstag. In der Hauptstadt Mogadischu schlugen Mörsergranaten auf einem belebten Markt ein, dabei wurden nach Angaben von Rettungskräften sechs Menschen getötet und 18 verletzt. Somalia hat seit 1991 keine funktionierende Regierung mehr.