Ein Freund und die Mutter von Thomas Drach nahmen ihn in Schutz. Die Mutter bestätigt aber: Zwischen den Brüdern gab es Streit ums Lösegeld.
Neustadt. Reemtsma-Entführer Thomas Drach hat im neuen Prozess gegen ihn Rückendeckung von seiner Mutter und einem Freund bekommen. Beide wiesen die neuen Vorwürfe am Dienstag vor dem Hamburger Landgericht zurück. „Er ist doch gar nicht so, dass andere Angst haben müssen vor ihm“, sagte die 75-jährige Mutter. Allerdings habe es zwischen Drach und seinem jüngeren Bruder Streit um das Lösegeld gegeben. „Es ging um dieses Geld von der Reemtsa-Entführung“, sagte sie. „Dass der Thomas denkt, dass der andere das Geld hat – aber so ist es ja nicht.“ Ob noch Geld aus der Entführung da sei, wisse sie nicht.
Die Staatsanwaltschaft wirft Drach vor, im Februar 2009 versucht zu haben, aus dem Gefängnis heraus in zwei Briefen den Freund zur Erpressung seines Bruders anzustiften. Drach habe geplant, dass der Freund seinen Bruder nach dessen Entlassung vom Gefängnis abholen sollte – in Begleitung von Drachs Mutter. Beide wiesen die Vorwürfe zurück. „Es geht auf seine Entlassung zu und man versucht, ihm mit so einem lapidaren Fall einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen“, sagte der Freund, der auf Ibiza lebt. Man versuche, an Drach ein Exempel zu statuieren. Er sei vor Gericht erschienen, um Drach zu helfen.
Thomas Drach stellte sowohl seiner Mutter als auch dem Freund nach ihren Vernehmungen die gleiche Frage: Ob sie sich vorstellen könnten, dass er sie zu diesem „Raub“ geschickt habe? „Das würden weder er noch ich je tun“, sagte die Mutter. Sie erschien mit einem langen Mantel und einer Kapuze auf dem Kopf vor Gericht. Nach ihrer Vernehmung verabschiedete sie sich von Drach mit einer Umarmung.
Drachs Mutter sagte, sie glaube, dass Drach nur wegen der Haftbedingungen manchmal Wut verspüre. Auch seine derbe Sprache führe sie darauf zurück. „Er muss immer alleine sitzen, dann rastet man wahrscheinlich aus“, sagte sie. Auch der Freund sagte, Drach sei frustriert und die Einzelhaft belaste ihn. „Ich kann das auch nachvollziehen. Da stauen sich Aggressionen auf und die müssen dann raus.“ Auch Drachs Verteidiger hatte zu Beginn des Prozesses versucht, die Briefe so zu erklären. Nach Angaben einer JVA-Angestellten kann Drach aber durchaus Kontakt zu anderen Häftlingen haben, lehnt das aber kategorisch ab. Er habe Angst, dass es sich nur um Spitzel handle.
Drachs jüngerer Bruder war wegen der Wäsche von einem Teil des Reemtsma-Lösegeldes verurteilt und 2009 entlassen worden. Die Mutter sagte aus, sie habe ihren jüngeren Sohn aus Angst vor Reportern nicht abgeholt. „Ich wollte da nicht hin, weil ich ja immer weiß, überall lauern Reporter.“ Auch der in Spanien lebende Freund sollte diese Aufgabe nicht übernehmen. Ihr Sohn sei schließlich von einem anderen Freund abgeholt worden, sagte Drachs Mutter.
Gemeinsam mit Komplizen hatte Thomas Drach 1996 den Hamburger Millionen-Erben Jan Philipp Reemtsma entführt und über vier Wochen lang gefangen gehalten. Die Verbrecher kassierten ein Rekord-Lösegeld, von dem bislang nur ein geringer Teil wieder aufgetaucht ist. Seine Freiheitsstrafe für dieses Verbrechen hat Drach im Juli 2012 abgesessen.
Schmiedete Thomas Drach Mordpläne?
Der Mann hat sich nicht unter Kontrolle. Weder zeitweilig im Gefängnis, wie eine Justizbeamtin aussagt, noch vor dem Landgericht: Auch am zweiten Verhandlungstag wirkt Thomas Drach aufbrausend und über alle Maßen ungehalten.
Wie es um den Reemtsma-Entführer aktuell bestellt ist, veranschaulichen zwei Episoden: Zunächst hatte sich Drach beim Prozessauftakt am Freitag gesträubt, während des Gefangenentransports zum Landgericht eine Schlafbrille zu tragen, damit er den Fahrtweg nicht sieht. Nach dem Termin, so das Gericht gestern, polterte Drach gegenüber Justizbeamten los: "Ich werde nächstes Jahr einen Beamten bestrafen für die Sache mit der Brille. Ich besorge mir eine Kalaschnikow, Kaliber 5,6. Geht glatt durch."
Drach hatte 1996 mit drei Komplizen den Sozialforscher Jan Philipp Reemtsma entführt. 33 Tage war der Millionär in einem Keller angekettet und kam erst frei, als seine Familie umgerechnet rund 15,3 Millionen Euro Lösegeld zahlte. Über dessen Verbleib hat der 2001 zu vierzehneinhalb Jahren Haft Verurteilte beharrlich geschwiegen - offenbar um nach der Haft ein Leben in Saus in Braus zu führen.
Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass der Schwerverbrecher seinen 2004 zu mehrjähriger Haft verurteilten Bruder Lutz verdächtigt, die versteckten Lösegeldmillionen "zweckentfremdet" zu haben. Kurz vor Lutz Drachs Haftentlassung im Mai 2009 schrieb er seinem ehemaligen Knastkumpel Hans-Jürgen M. einen Brief: Er solle seinen Bruder in Begleitung von "muskulösen Spaniern" am Entlassungstag abholen und mit den "christlichen Themen" warten, bis er außer Landes sei. Lutz schulde ihm 30 Millionen Euro, zahlbar binnen sechs Monaten. Die Staatsanwaltschaft sieht in den Zeilen eine versuchte Anstiftung zur räuberischen Erpressung - Drach streitet das ab.
Drach hatte seinen Bruder einst mit der Geldwäsche von "fünf bis sechs Millionen Schweizer Franken" beauftragt, 100 000 Euro Gehalt habe er Lutz als seinem "Angestellten" dafür jährlich gezahlt. Die Lösegeldmillionen habe sein Bruder in Wertpapieren investieren sollen. "Ich weiß aber nicht, was er damit gemacht hat und ob das Geld noch da ist", sagte Drach gestern. Er habe es jedenfalls nicht, weder verfüge er über ein "geheimes Konto", noch über ein Bankschließfach in Spanien. Drach: "Das sind alles dumme Spinnereien."
Entscheidend ist, welchen Eindruck Drach vor Gericht beim Gutachter hinterlässt. Stellt er einen "Hang zu erheblichen Straftaten" und eine "anhaltende Gefährlichkeit" fest, droht dem 51-Jährigen bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren Sicherungsverwahrung - statt wie geplant im Juli 2012 käme Drach wohl nie wieder auf freien Fuß. Wenig hilfreich ist da eine weitere Aussage eines gestern als Zeugen vernommenen LKA-Beamten. Demnach habe ihm ein wegen Mordes verurteilter Ex-Mithäftling 2009 erzählt: Drach habe ihm Jahre zuvor 200 000 Euro für die Ermordung eines an der Reemtsma-Entführung beteiligten Komplizen geboten, den "Job" habe er aber abgelehnt. "Ich kenne den Typ gar nicht", wehrte sich Drach gestern.
Eine Justizvollzugsbeamtin erlebte den Schwerverbrecher als ambivalente Persönlichkeit. Als jemand, der Mithäftlingen aus dem Weg ging, weil er überall Verrat und Spione witterte, meist sei er aber unauffällig gewesen und kontrolliert. "Doch wenn feste Abläufe durchbrochen wurden, konnte er richtig ausrasten", sagte die Zeugin. Zudem habe Drach häufig Selbstgespräche geführt und laut über "eine Person" geschimpft, die ihm "das alles" eingebrockt und "sein Geld" verschleudert habe. Vor einer Anhörung auf Entlassung nach zwei Dritteln der Haftzeit, habe er 2007 gedroht: "Wenn ich nicht entlassen werde, gibt es einen Heavy Fight, der viel schlimmer ist als Reemtsma-Entführung." Nach eigenen Angaben hat Drach damals 450 000 Dollar als Wiedergutmachung für eine vorzeitige Entlassung angeboten. Dieses Geld besitze er heute nicht mehr. Der Prozess wird heute fortgesetzt.