Hagen. Wirtschaftsverband: Neue Dimension der Krise. Sorge, Fachkräfte nicht mehr bezahlen zu können, größer als Angst, sie zu verlieren.

Das Ausmaß der Krise am Standort Deutschland wird immer sichtbarer. Am Dienstag sandte der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) die nächste Hiobsbotschaft. Jetzt trifft es auch gut qualifizierte Fachkräfte in den Betrieben, denen zunehmend die Aufträge wegbrechen. 41 Prozent der 5000 im WSM vertretenen Unternehmen „werden entlassen müssen“, teilt der Verband mit. Es geht hier also nicht mehr um sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau, sondern tatsächlich um Kündigungen des Stammpersonals. „Die Sorge, Fachkräfte nicht mehr bezahlen zu können, ist größer als die Angst, sie zu verlieren“, heißt es vom WSM.

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Die meisten Unternehmen im WSM sind Mittelständler, oft Automobilzulieferer. Diese Familienbetriebe stehen in der Regel treu zu ihren Mitarbeitern. Rund eine halbe Million Stammkräfte sind in den Betrieben beschäftigt. Die Unternehmen wüssten sehr wohl um deren Wert und auch, wie schwer es ist, erfahrene Fachkräfte zurückzugewinnen, so der WSM. „Stellenabbau ist für diese Unternehmen der allerletzte Schritt. Dass sie ihn jetzt gehen werden, zeigt, wie ernst die Lage ist“, unterstreicht Holger Ade, Leiter Industrie- und Energiepolitik beim WSM. Erstmals seit Jahrzehnten lässt sich eine wirtschaftliche Flaute nicht mehr über Zeitarbeitskräfte und das Instrument der Kurzarbeit regulieren. Die drastische Welle wird auch Menschen mit gut bezahlten Jobs treffen: „Bei den Entlassungen geht es um Industriearbeitsplätze aller Qualifikationsstufen“, so Ade.

WSM-Hauptgeschäftsführer Christian Vietmeyer plädiert für Energiepreise weitgehend ohne staatliche Aufschläge.

„Jetzt erleben wir eine völlig neue Dimension: nämlich eine strukturelle, von der Politik hausgemachte Krise.“

Christian Vietmeyer

Ähnlich kritisch sei die Lage bereits in der Corona-Pandemie gewesen, erklärt Christian Vietmeyer, Hauptgeschäftsführer des WSM. Die Unterschiede zu heute: Corona war ein nicht vorhersehbarer Belastungsfaktor für die Gesellschaft und die Wirtschaft. Mit „Wumms“ und „Doppelwumms“, der Verdoppelung der möglichen Kurzarbeitszeit und weiteren Instrumenten griff die Bundesregierung beherzt ein und operierte erfolgreich.

„Jetzt erleben wir eine völlig neue Dimension: nämlich eine strukturelle, von der Politik hausgemachte Krise“, sagt WSM-Chef Vietmeyer. Was er meint? Zu langes Gezerre um wichtige Entscheidungen wie beispielsweise die Entlastung durch einen Industriestrompreis, der nicht nur für Großkonzerne, sondern auch den Mittelstand gilt.

Auch IG Metall kritisiert mangelhafte Industriepolitik

Kritik, die auch die Arbeitnehmervertreter wie die IG Metall teilen. „Wir wollen den grünen Umbau der Industrie. Damit dieser gelingt und die wirtschaftliche Entwicklung stabilisiert wird, braucht es dringend schnelle und mutige Entscheidungen. Dazu gehört zuallererst ein wettbewerbsfähiger Strompreis für die Industrie. Denn die derzeitigen Energiepreise treffen die energieintensive Industrie mit voller Wucht und führen dazu, dass wichtige Investitionsentscheidungen für die grüne Transformation nicht getroffen werden. Damit bedrohen die hohen Kosten und die zurückgehaltenen Investitionen Arbeitsplätze und Unternehmen“, kritisierte Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall in NRW, am vergangenen Wochenende auf der NRW-Bezirkskonferenz eine mangelhafte Industriepolitik im Land.

Der Arbeitgeberverband WSM benennt das aus seiner Sicht ungenügende Wachstumspaket, das auf ein derartiges Minipäckchen geschrumpft worden sei und auf Ankündigungen basiere, dass es wohl nicht einmal zu einer Verpuffung der Effekte kommen dürfte. Die Rede ist von Planwirtschaft und Dirigismus, der nicht zum erfolgreichen Modell der sozialen Marktwirtschaft passe, die Deutschland stark gemacht hat. Das Bürokratieentlastungsgesetz nennt der Verband ein mickriges Überbleibsel.

Gewaltiges Gewitter am Industriestandort Deutschland

Ein gewaltiges Gewitter überrolle den Industriestandort Deutschland, und die Politik verteile Taschenschirme. Die Folgen spiegelten sich im jüngsten Geschäftsklima der Stahl- und Metallverarbeiter wider: 53 Prozent spüren die Dramatik bereits hautnah, 47 Prozent rechnen mit weiteren Rückgängen. 19 Prozent fahren deshalb bereits Kurzarbeit, weitere 33 Prozent werden im nächsten Vierteljahr damit beginnen.

Und bei 41 Prozent reicht das nicht mehr aus, sie müssen Jobs streichen. „Diese knallharten Fakten verlangen knallharte Entscheidungen, die was bewegen“, appelliert Vietmeyer an die Politik. „Nicht in zwölf Monaten, nicht irgendwann, sondern jetzt!“                                           

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