Meinerzhagen. Bei Traditionsfirma im Sauerland war das Klima vergiftet. So wollen die neuen Chefs die Unternehmenskultur retten und profitabel sein.
Es war ein Kulturbruch, was am 30. Januar 2024 in Meinerzhagen vor den Werkstoren der Otto Fuchs KG passierte: Arbeitskampf! Es muss aus Sicht der Inhaberfamilie das Format eines Super-Gaus gehabt haben. Erstmals in der Geschichte des traditionsreichen Metallverarbeitungsunternehmens wurde gestreikt. Dabei möchten die Sauerländer doch viel lieber als die Erfinder der legendären Fuchs-Felgen (unter anderem für den Porsche 911) und innovativer Produkte im Bereich Luft- und Raumfahrt wahrgenommen werden.
Rund 500 der etwa 3000 Beschäftigten am Standort Meinerzhagen hatten Betriebsrat und die Industriegewerkschaft Metall an jenem Dienstag im Januar zusammengetrommelt, um dem seit Monaten schwelenden Ärger der „Füchse“, wie sich die Belegschaft im gut 20.000 Einwohner kleinen Städtchen früher selbst gern bezeichnete, Luft zu machen, dem Chef Martin Knötgen die Stirn zu bieten. Der Ärger rührte nicht allein daher, dass am Stammsitz Arbeitsplätze im Automobilbereich abgebaut werden sollten. Art und Weise der Kommunikation, Intransparenz und die von der Belegschaft kritisierte Behandlung durch das Management „von oben herab“ hatten für diese bis dato einmalige Eskalation gesorgt.
Eskalation war aus Sicht des neuen Managements unnötig
Und dies aus Sicht von Andreas Engelhardt und Walter Stadlbauer auch noch völlig unnötigerweise. Die beiden sind langjährige Schüco-Manager, leiten erfolgreich das Bielefelder Tochterunternehmen der Otto-Fuchs-Gruppe seit mehr als einem Jahrzehnt. Am 8. April lösten sie Knötgen ab. Die Inhaberfamilie Fuchs hatte die Reißleine gezogen.
Weitere Themen aus der Region:
- Wie es den wilden Wisenten nun im Gehege geht
- Mückenplage: Jetzt geht es zur Sache - 10 Tipps vom Experten
- CDU: Rechnungshof soll A-45-Brückenbauerbüro untersuchen
- Fernuni eröffnet virtuelle Lern- und Erlebniswelt
- Schock: Autozulieferer Hella baut 420 Jobs in Lippstadt ab
- „Stören die Brüste nicht?“ - Was Frauen im Handwerk erleben
- Der lauernde Feind: So gefährlich ist jetzt der Borkenkäfer
- Hagener kämpft im Segelboot: Nach drei Tagen erstmals gedöst
„Die Belegschaft hatte kein Vertrauen mehr zur Geschäftsleitung, wir wollen es zurückgewinnen“, nennt der früherer CDU-Landtagsabgeordnete Engelhardt (1990 bis 1995) das oberste Ziel in diesen Tagen. Dazu gehöre auf jeden Fall der Dialog auf Augenhöhe und viel Transparenz, eine neue Offenheit, die auch durch einen in der vergangenen Woche anberaumten Medientermin in die Öffentlichkeit transportiert werden soll. Das Traditionsunternehmen Fuchs ist sichtlich bemüht, den guten Ruf wiederherzustellen, den sich das Unternehmen seit der Gründung im Jahr 1910 aufgebaut hat - vor allem im Sauerländer Städtchen. Es gebe kaum eine Meinerzhagener Familie, die nicht direkte Berühungspunkte zum Unternehmen hätte, oder sogar „Füchse“ in der Familie.
Der gebürtige Oberbayer Walter Stadlbauer hat die operative Leitung im Sauerland von Knötgen übernommen. Engelhardt ist seit Beginn dieses Monats neben seinem Job bei Schüco auch Chef des Gesamtkonzerns Otto Fuchs mit insgesamt 11.000 Beschäftigten und mehr als drei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Beide, so berichten sie nach einem ausgiebigen Werks-Rundgang gemeinsam mit der Inhaberfamilie, haben ein gutes Gefühl, dass der Neustart klappt. „Die haben sich alle geöffnet und ein Lachen drauf gehabt“, deutet Engelhardt in tiefenpsychologischer Sender-Empfänger-Manier die Zeichen als gut. Von Belegschaftsseite ist, wie man hört, tatsächlich bereits innerhalb kurzer Zeit viel Vertrauen ins Management zurückgekehrt.
Bedarf an Mitarbeitern für Luft- und Raumfahrtsparte ist weiter hoch
Die Mission Kulturpflege bei den „Füchsen“ scheint also gelingen zu können. Dabei ändert sich nichts an der strategischen Neuausrichtung und dem Abbau von Arbeitsplätzen im Automobil-Bereich in Meinerzhagen. Das „Mission One“ genannte Projekt wird weiterverfolgt. Allerdings mit dem Unterschied, dass allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Wechsel in den Bereich Aerospace eröffnet wird und mögliche finanzielle Einbußen abgefedert werden. „Wir können einhundert Prozent aller Leute, die aus dem Automotivebereich kommen, einen Arbeitsplatz in der Luft- und Raumfahrtproduktion anbieten“, versichert Engelhardt. Die Einschränkung: Nicht jeder werde sofort einen gleichwertigen Job bekommen - was sich im Wesentlichen aufs Finanzielle bezieht. Dafür gibt es eine Betriebsvereinbarung: im ersten Jahr des Wechsels wird der Lohnunterschied zu einhundert Prozent ausgeglichen, im zweiten noch zu fünfzig Prozent.
Wer möchte, werde qualifiziert, sagt der neue Meinerzhagener Chef Stadlbauer. Von den ursprünglich 230 Beschäftigten, deren Job in der Fertigung von Autoteilen und Felgen im Sauerland weggfällt, seien noch 150 im Unternehmen, von denen bereits einige einen Wechselvertrag unterschrieben hätten. Einige Mitarbeiter haben Otto Fuchs in den vergangenen Wochen bereits verlassen, andere nehmen Vorruhestandsregelungen in Anspruch.
Seit Jahren keine Gewinne mehr im Automotivebereich
Seit mehreren Jahren sei die Automobilsparte am Standort Meinerzhagen nicht mehr profitabel. „Es ist kein Geheimnis, dass wir im Automotivebereich kein Geld verdienen, mit Luft- und Raumfahrt dagegen sehr viel“, sagt Konzernchef Engelhardt. Bis spätestens 2026 soll der Automotivebereich aus den roten Zahlen sein. Es werde also daran festgehalten, die Produktion von einfacheren Autoteilen und Standardfelgen nach Ungarn und Südafrika zu verlagern.
In Meinerzhagen soll ein Automotivkompetenzzentrum für exklusive und schwierige Produkte entstehen. „Wenn wir für Porsche Sicherheitsteile produzieren, dann muss es exzellent sein“, erklärt Konzernchef Andreas Engelhardt. Aktuell sind die Größenverhältnisse in Meinerzhagen so: zwei Drittel Automobilproduktion, ein Drittel Luft- und Raumfahrt. „Wir wollen so viel wie möglich Automotive in Meinerzhagen. Und so viel wie möglich Aerospace“, sagt Walter Stadlbauer. Von der Nachfrage bei Aerospace her hätte Otto Fuchs zuletzt um die 70 Millionen Euro mehr erzielen können, wenn ausreichend Personal dagewesen wäre.
Handschlagmentalität
Unter den rund 3150 Beschäftigten im Sauerland sind laut Unternehmen aktuell auch Leiharbeiter. Entlassungen, wie sie im Februar der frühere Chef Knötgen noch angekündigt hatte, sind mit dem neuen Management kein Thema mehr. „Dafür brauchen wir keine Verträge. Auf unser Wort muss man sich verlassen können“, will Engelhardt in Handschlagmentalität zerschlagenes Porzellan kitten und Aufbruchstimmung erzeugen. So ist es ihm in ähnlicher Situation schon einmal bei Schüco gelungen, die Belegschaft für die Management-Ideen zu gewinnen und das Unternehmen zukunftsfest aufzustellen. Der gebürtige Wuppertaler hat sich bei der Inhaberfamilie den Ruf als Management-Fuchs mit Erfolg erarbeitet.