Kreuztal. Ob Biber, Neuntöter, Müllkippe oder Streusalz: Die Bezirksregierung räumt die Einwände gegen die Kreuztaler Südumgehung aus.
Mehr als 70 Privatpersonen, Verbände und Institutionen haben Einwände gegen die Planänderung für die Kreuztaler Südumgehung erhoben, unter anderem die Naturschutzverbände und die Aktionsgemeinschaft Rothaargebirge, die Waldgenossenschaft Buschhütten und eine Vielzahl von Bürgern aus Unglinghausen.
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Die Bezirksregierung hat in ihrem seit Dienstag veröffentlichten Planfeststellungsbeschluss die Einwände durchweg zurückgewiesen – durchweg aus zwei Gründen: Der Absender ist nicht am Verfahren beteiligt. „Er wird aufgrund der Lage des Anwesens durch das Bauvorhaben nicht direkt betroffen. Eigene Rechte des Einwenders werden von der Straßenbaumaßnahme nicht berührt“, heißt es dann in dem Textbaustein. Der andere Grund: Der Einwand betrifft die Südumgehung an sich oder sogar die gesamte Ortsumgehungskette „Route 57“. „Nicht Gegenstand des ergänzenden Verfahrens“, heißt es dann jeweils in der Stellungnahme der Straßenbauverwaltung.
Der Plan hat sich geändert — warum?
Die Planänderung war nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts erforderlich geworden, das den Planfeststellungsbeschluss von 2017 für rechtswidrig erklärt hatte. Zu korrigieren waren die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, durch die sich der Reit- und Fahrverein Kindelsberg in seiner Existenz bedroht sah: konkret durch Nutzungsbeschränkungen, die den Pferden Weiden und den Reitern Wege genommen hätten. Diese Maßnahmen, besonders am Mühlenkopf, wurden gestrichen. Stattdessen wurden ökologische Verbesserungen für die Trupbacher Heide und den Bereich der Grube Ameise im Siegener Leimbachtal angeordnet.
Reit- und Fahrverein ist noch am zufriedensten
Vergleichsweise am zufriedendsten äußert sich der Reit- und Fahrverein selbst: Grundsätzlich begrüße er„die beabsichtigten Änderungen der Planung im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Grundstücke und des Betriebs“, heißt es in der Stellungnahme. Offen geblieben scheint aber eine Lösung für die Reitwege, die die neue Straße queren müssen. „Die jetzt vorgesehene Ausführung ist für die meisten Pferde nicht passierbar.“ Nicht ausgeräumt sieht der Verein seine Sorge, dass Betrieb und Gebäude an Wert verlieren und die Existenz des Hubensguts gefährdet wird. „Insgesamt wird die Planung daher weiterhin abgelehnt.“
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Was braucht der Neuntöter?
Den wiederholt vorgetragenen Einwand, Trupbacher Heide und Leimbachtal lägen zu weit von der Straßentrasse entfernt, als dass sie dort den Eingriff in das Mattenbachtal ausgleichen könnten, lässt die Bezirksregierung nicht gelten. Eine Ersatzmaßnahme müsse „sich auf den gleichen Naturraum beziehen, welcher im Zweifel sich über mehrere hundert Quadratkilometer erstreckt“. Auch für die Umsiedlung des geschützten Neuntöters sieht die Bezirksregierung großen Spielraum. „Da der Neuntöter ein Zugvogel ist, der als Langstreckenzieher in Ost- und Südafrika überwintert, ist der Aktionsradius ist sehr groß und der Vogel grundsätzlich nicht reviertreu.“
Die Aktionsgemeinschaft Rothaargebirge sieht das anders. „Durch die Verlagerung dieser Ausgleichsmaßnahmen in entferntere Gebiete, zum Beispiel nach Siegen, ist der durch den Straßenbau beeinträchtigten Landschaft bzw. dem ökologischen Lebensraum im Mattenbach- und Ferndorftal überhaupt nicht geholfen. Eine zusätzliche biologische Verarmung des Gebietes ist die Folge. Die dort existierende Neuntöter-Population erfährt einen vollständigen Verlust.“ Auch die Ersatzmaßnahme „Sicherung von Altwald“´bei der Grube Ameise im Leimbachtal, die auf 100 Jahre gewährleistet werden soll, sei „mitnichten ein Ausgleich“: „Während im Mattenbachtal der ökologische Zustand deutlich verschlechtert wird, bleibt der Wald im Leimbachtal so ,wie er bisher war.“
Biber in der Ferndorf spielt erneut große Rolle
Auch der Biber in der Ferndorf spielt wieder eine Rolle. „Der Vorhabenträger (gemeint: das Land NRW. d. Red.) ist dem Gerücht des Vorkommens des Bibers nachgegangen“, berichtet die Bezirksregierung. Es liege eine „Biberkartierung“ vor, bei der Bauausführung werden Biber und andere neue vorkommende Arten berücksichtigt. 2017, als der Planfeststellungsbeschluss erlassen worden sei, sei vom Biber noch keine Rede gewesen. „Das befreit den Vorhabenträger nicht, während der Bauausführung auf diese Arten gemäß Bundesnaturschutzgesetz keine Rücksicht zu nehmen.“
Der Biber („Felix castor“), sei eine streng geschützte Tierart. Er nutze im Bereich eines der geplanten Brückenbauwerke die Ferndorf und den Entwässerungsgraben zum Aherhammer-Teich, wo er zeitweise eine Biberburg errichtet habe, stellt zum Beispiel die Waldgenossenschaft Hauberg Buschhütten fest, ähnlich äußert sich auch der Naturschutzbund.
Risiko von der Ferndorfer Müllkippe
Eine der Brückenpfeiler für die Brücke über Bahn und Bach im Ferndorftal würde in den Bereich der früheren Ferndorfer Müllkippe gesetzt, wenden mehrere Bürger ein. „Werden Tonschichten durchstoßen, sodass anschließend Deponiewasser ins Grundwasser eindringen kann?“, fragt ein Kredenbacher und fordert eine Untersuchung, welche Abfälle dort überhaupt vergraben seien. „Es sind giftige Industrie- und Krankenhausabfälle - ehemaliges Krankenhaus Kredenbach - zu erwarten“, teilt ein anderer mit und fordert „dauerhaften Grundwasserschutz“.
„Ältere Mitmenschen hier wissen darum, dass auch das Krankenhaus in Kredenbach dort Abfalle eingelagert hat“, bestätigt ein anderer. Ein Einwender aus Unglinghausen fragt, ob der Pfeiler der 245 Meter langen Brücke standfest sein wird. „Es ist mir bekannt, dass bisher weder eine Sondierung der Verdachtsfläche mit dem Ziel der Bestätigung oder des Ausschlusses durchgeführt wurde.“ Die Altlastenverdachtsfläche sei bekannt, bestätigt Straßen NRW. Die Hinweise würden bei der Bauausführung „entsprechend berücksichtigt“.
Die Südumgehung braucht viel Streusalz
Ein Detail spricht die Buschhüttener Waldgenossenschaft an, der Einwand kommt ebenso von Naturschutzbund und BUND: das Streusalz, das in der Winterzeit verwendet werden muss und die Gewässer verschmutzt. Das Ausmaß dieser Schädigung sei falsch berechnet. Die Steigung der Neubaustrecke im Bereich des Ferndorftales übersteige mit sechs Prozent sogar den für Bundesstraßen überhaupt zulässigen Steigungswert. Mit der extremen Steigung verlaufe die Straße am Nordhang des Kilgeshahn, „wo in den Wintermonaten kaum Sonneneinstrahlung erfolgen wird. Es wird hier je nach Wetterlage daher in den Wintermonaten ein Vielfaches der berechneten Salzmenge nötig“.
Die Befürchtung eines weiteren Einwenders, dass wegen der starken Steigung eine Taumittelsprühanlage eingebaut werde, entkräftet der Landesbetrieb: Das sei nicht geplant. Im Übrigen sei die mögliche Belastung durch Streusalz „unter Berücksichtigung regionalspezifischer Parameter berechnet und die möglichen Auswirkungen detailliert beschrieben worden“. Der Zustand von Oberflächen- und Grundwasser würde nicht verschlechtert.
„Warum keine umweltverträgliche Tunnellösung?“, fragt ein Kreuztaler. Der Landesbetrieb erinnert daran, dass bei der Planung verschiedene Varianten „in verkehrlicher, straßenbautechnischer und wirtschaftlicher Hinsicht“ untersucht worden seien. „Dabei hat sich die gewählte Variante –ohne Tunnel - als ausgewogenste erwiesen.“
Es geht nicht nur um die Südumgehung
Immer wieder geht es auf den gesammelten fast 400 Seiten, die in den nächsten zwei Wochen bei den Stadtverwaltungen Kreuztal und Siegen ausliegen, um Grundsätzliches. „Ich fordere einen Planungsstopp der Route 57“, schreibt zum Beispiel ein Einwohner aus Siegen (Anrede: „Sehr geehrter Mensch!“) und spricht Klima- und Artenschutz an: „In direkter Weise sind die Tiere und Pflanzen im Mattenbachtal davon betroffen, zerstört zu werden.“ Das Mattenbachtal sei ein Rückzugsort nicht nur für Tiere, sondern auch für die Anwohner, „die dort in der Natur dem Alltagsstress regelmäßig entfliehen.“ Die Route 57 werde zur Verschlechterung der psychologischen Gesundheit der Anwohner führen.
Dass für die gesamte Ortsumgehungskette nach letzter Schätzung 611 Millionen Euro ausgegeben werden sollen, sei „absurd hohe Verschwendung“. Der Landesbetrieb Straßen NRW, der im Auftrag des Landes plant und baut, muss da passen: „Die Entscheidung darüber, wie das in der Bundesrepublik Deutschland anfallende Verkehrsaufkommen bewältigt und auf die einzelnen Verkehrsträger umgelegt wird, obliegt ausschließlich den parlamentarischen Gremien.“
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Zu Wort meldet sich auch die Ruckersfelder Bürgerinitiative Felsenfest gegen FELS, die Zweifel am Bedarf für die Ortsumgehungen äußert. Erforderlich sei eine neue Verkehrsmessung und danach eine Entscheidung, ob dem aufgewendeten Kapital ein entsprechender Nutzen gegenüberstehe. Er habe bisher keinen Verkehrsstau auf der Fahrt nach Wittgenstein festgestellt, schreibt der Verfasser. „Man sollte die Bürger nicht mit Verkehrszahlen belasten, die überhaupt nicht stimmen können.“