Buschhütten. Die Sonne beleuchtet das Mattenbachtal von seiner schönsten Seite. Nach diesem Spaziergang will niemand eine Südumgehung.

Man trägt Sonnenbrille. Ein paar Pferde wiehern, als sich die große Gruppe von der Reitanlage auf dem Hubensgut aus auf den Weg ins Mattenbachtal macht. Wer gegen den Bau der Kreuztaler Südumgehung argumentieren will, hätte sich keinen besseren Tag aussuchen können. Die Nachmittagssonne scheint auf die Wiesen und die Eichenwälder, blau wie der Himmel leuchten die Becken des Freibades von unten herauf. „Da unten kann man es schon ein bisschen hören“, sagt Philipp Kaltenbach, der für das Bürgerinitiativen-Netzwerk „Natur 57“ die Führung übernimmt. Da unten ist die HTS. Von der, zwischen Buschhütten und der Langenauer Brücke, die Südumgehung abzweigen wird. Die Wiese über dem Freibad wird für den turmartigen Aufbau der Anschlussstelle gebraucht werden. „Und da oben gehts dann ab durch den Wald.“

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Reit- und Fahrverein Kindelsberg wird sich weiter wehren

Mit wenigen Worten ist das Idyll kaputt, das sich die Siegen-Wittgensteiner Grünen-Bundestagsabgeordnete Laura Kraft und ihre Leverkusener Kollegin Nyke Slawik, stellvertretende Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses, ansehen wollen. Dr. Gert Bültermann gibt den Rest dazu: „Die Eichen hier kämen komplett weg. Und da, wo der Spaziergänger mit dem Hund hergeht, fängt eine Brücke an.“ Danach kommt ein Einschnitt, etwa 13 Meter tief. „Damit die Steigung nicht noch höher wird.“ Bevor die Südumgehung über den Berg ist und herunter ins Ferndorftal gleitet, unten zwischen Ferndorf und Kredenbach auf einem Damm, der mit dem Erdaushub des Mattenbachtals errichtet wird.

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Dr. Gert Bültermann ist Vorsitzender des Reit- und Fahrvereins Kindelsberg und einer der wenigen Garanten dafür, dass hier so bald nicht gebaut wird. Sein Verein hat erfolgreich gegen den Planfeststellungsbeschluss geklagt, und er wird auch noch einmal vor Gericht ziehen, sobald im Verkehrsministerium die Unterschrift unter die Planergänzung gesetzt wird – die Straßen NRW in diesem Jahr vorlegen will, so dass eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung begonnen kann. Der Verein fürchtet um seine Existenz: Ein Teil der Flächen geht für die Straße drauf, ein anderer wird „Ausgleichsfläche“, die nur eingeschränkt beweidet werden darf. Dabei muss jedes Tier jeden Tag zwei Stunden in Gesellschaft mit anderen im Freien verbringen dürfen. So will es das Tierschutzgesetz. „Wir haben 60 Pferde.“ Zur wirtschaftlichen Grundlage des Vereins gehört auch das Sechsfamilienhaus neben den Stallungen. Ob da noch jemand wohnen will, wenn in 15 Metern Abstand von der Gebäudekante der Schwerlastverkehr den Berg hinauf dröhnt? „Wir befürchten massiven Leerstand.“

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„Natur 57“ sieht keinen Bedarf für Ortsumgehungskette

Kaum einer von denen, die diesen Spaziergang mitmachen, ist zum ersten Mal hier. Viele beschäftigen sich schon seit Jahrzehnten mit den verschiedenen Plänen, eine Straße vom Siegerland Richtung Osten zu bauen: erst die A 4, dann die als „FELS“ bekannt gewordene Ferndorf-Eder-Lahnstraße, jetzt die „Route 57“. „Ein reiner Marketingbegriff“, merkt Laura Kraft an – eigentlich handelt es sich um den Neubau einzelner Abschnitte der Bundesstraßen 508 und 62. „Jeder einzelne Abschnitt würde keiner Wirtschaftlichkeitsprüfung standhalten“, sagt Alrun Treude-Krönert vom Natur-57-Netzwerk.

Friedrich Henstorf, der mit der Aktionsgemeinschaft Naturpark Rothaargebirge schon gegen die A 4 gestritten hat, weiß das ziemlich genau. Nur durch die Verbindung der einzelnen Ortsumgehungen wurde für die Gesamtstrecke ein Kosten-Nutzen-Verhältnis gerechnet, das für die Aufnahme in den Bundesfernstraßenbedarfsplan ausreicht. Am Nutzen zweifelt Friedrich Henstorf allerdings: Die Verkehrszahlen nehmen ab, auch nach der Pandemie. Und im Ferndorftal bestimmt der örtliche Verkehr, der mit der Straße auf der Höhe nichts anfangen kann, das Aufkommen. „Über Hilchenbach hinaus macht die Straße sowieso keinen Sinn.“ Umgekehrt wird aber auch ein Schuh draus: Erst die Südumgehung Kreuztal liefert die Zahlen, die den kompletten Straßenzug rechtfertigen, sagt Philipp Kaltenbach: „Der macht keinen Sinn, wenn die Südumgehung nicht gebaut wird.“ Vielleicht auch ein Grund, warum der Protest hier nicht nachlässt.

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Waldgenossen von Grünen enttäuscht

Die Gruppe ist jetzt unten im Tal auf dem Wanderweg angekommen, der Richtung Kilgeshahn hinauf führt. Man macht zwei Radfahrern Platz, dann einigen Wanderern, zwei junge Frauen wollen mit ihren Pferden vorbei. Dass der große Tross nur langsam vorankommt, liegt daran, dass so viel zu sagen ist. Die in den Initiativen Engagierten wollen den Grünen viel mitgeben, die Erwartungen sind groß, zu groß vielleicht. Nyke Slawik sagt irgendwann, dass es auch Sinn macht, auf die anderen Parteien einzuwirken. Laura Kraft erinnert daran, dass zwei der drei Bundestagsabgeordneten aus dem Kreis Befürworter der Ortsumgehungskette sind – und die seien nun einmal von den Menschen aus der Region gewählt worden. Trotzdem, sagt Rüdiger Becker, Vorsitzender der Waldgenossenschaft Hauberg Buschhütten, „ist es für uns unverständlich, dass Sie als Grüne solche Kompromisse mitmachen“. Und meint die Zustimmung des NRW-Verkehrsministers zu den Autobahnbau-Beschleunigungslisten des (FDP-)Bundesverkehrsministers.

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Oben auf der Höhe kann die Gruppe ins Tal blicken. Rüdiger Becker, dessen Waldgenossenschaft ebenfalls gegen den Planfeststellungsbeschluss geklagt hat, erzählt, dass der Eichenwald hier seit den 1850er Jahren von allein gewachsen ist, aus „Stockausschlägen“, wie die Fachleute sagen. Dass der jüngere Eichenbestand hier seit 40 Jahren heranwächst. Und wie viel Leidenschaft in dieser Waldbewirtschaftung steckt, an der sie nicht verdienen. „Wir haben bereits 70.000 Euro für Prozesse ausgegeben.“ Einen Tunnel von Buschhütten nach Ferndorf, so wie ihn auch der Rat der Stadt Kreuztal gewollt habe, hätten sie ja akzeptiert: „Wir sind ja nicht gegen alles.“ Auch der dreispurige Ausbau zwischen Lützel und Erndtebrück mit der Brücke über den Bahnübergang Altenteich gehe in Ordnung, sagt Friedrich Henstorf. Da hätte längst gebaut werden können. „Kann sein, dass man das Geld nicht mehr hat.“

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Politik gegen das „Monsterprojekt“

Doch, es gibt ein paar, die diese Runde noch nicht gemacht haben. Die sind nämlich jetzt enttäuscht, dass sie einen angekündigten Buchenbestand nicht mehr zu sehen bekommen. Die Zeit wird zu knapp, es geht auf direktem Weg zurück zum Hubensgut. Nicht ohne vorher das Gruppenfoto mit den Mitwanderinnen und -wanderern und das Foto der Abgeordneten vor dem Transparent gemacht zu haben. Die Politikerinnen müssen dokumentieren können, wie sie im Wahlkreis aktiv sind. Und das örtliche Anliegen in Berliner Politikersprech übersetzen: Wenn das „Monsterprojekt“ realisiert werde, sagt Laura Kraft zum Beispiel, „braucht man über Dekarbonisierung in Siegen-Wittgenstein nie wieder zu reden“. „Das kann so nicht weitergehen“, sagt Nyke Slawik in der Abschlussrunde zu Klimaschutz und Verkehrswende, „wir wissen alle, dass die Zeit drängt. Wir müssen bei diesem Infrastrukturthema mal Tabula Rasa machen.“ Und, als konkret nachgefragt wird: „Ein Tempolimit würde uns nichts kosten.“ Auch ein „Entwidmungsverbot“ für stillgelegte Bahnstrecken sei geplant – dann würde der Bahndamm der Johannlandbahn nicht mehr zugebaut werden dürfen.

Die Sonne hat für „Mattí“, wie sie das Mattenbachtal nennen, ihr Bestes gegeben. Einen Tag später wäre sie hinter grauem Himmel und Regenwolken verschwunden. Kein Wunder, dass die große Anhörung zur Südumgehung für den Dezember anberaumt worden war. Damals, vor nun schon neun Jahren.

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