Kreuztal. Noch lange nicht am Ende: In Kreuztal hat der Widerstand gegen Straßenplanungen durchs Rothaargebirge längst die nächste Generation erreicht.

Friedrich Henstorf muss sorgfältig sein, wenn er aus den späten 1970er Jahren erzählt - viele von denen, die sich im Gastraum über der Reithalle des Reit- und Fahrvereins Kindelsberg versammeln, waren damals auch schon dabei. Alrun Hoffmann-Krönert gehört zu den Jüngeren. „Das hätte ich mir auch nicht träumen lassen“, sagt sie, bevor sie die Umwelturkunde des Bundes für Umwelt und Naturschutz (Bund) entgegennimmt – sie war als Kind dabei, als ihre Eltern gegen die Autobahn demonstrierten.

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Aus dem „Netzwerk Stopp A 4“ ist das „Netzwerk Natur 57“ geworden. Das Thema ist dasselbe: der Widerstand gegen einen Straßenbau durchs Rothaargebirge.

So begann der Widerstand

„Wir haben uns in den sprachlichen Gewohnheiten den Straßen-Befürworten anpassen müssen“, sagt Friedrich Henstorf. Der Hilchenbacher, der für die Aktionsgemeinschaft Naturpark Rothaargebirge spricht, hält die Laudatio auf das Netzwerk, dessen „herausragendes Engagement, Mut und Durchhaltevermögen über viele Jahre“ – so steht es auf der Urkunde – an diesem Abend gewürdigt wird. Friedrich Henstorf setzt bei der „A 73“ ein, die schon in den 1970er Jahren als gestrichelte Linie auf den Landkarten eingetragen war, erinnerte an eine erste Bürgerversammlung in der Schützenhalle von Brachthausen, die der Sorge um das Naturschutzgebiet Dollenbruch galt, das von einer Autobahn zerschnitten worden wäre. Und er erinnert an die etwa zur gleichen Zeit aktive „AG Umwelt“ in Siegen, der unter anderem Jost-Peter Weiß angehörte, der Geschäftsführer der Wilhelm-Münker-Stiftung. Weiß war Initiator der Aktionsgemeinschaft, die sich am 15. April 1980 als Verein gründete. Da war mit Landwirtschaftsminister Diether Deneke schon das erste Regierungsmitglied aus Protest gegen die Autobahn-Pläne zurückgetreten.

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Von der FELS zur Route 57

„Alle entlang der Trasse wurden aktiv, es gab jede Menge Bürgerinitiativen“, berichtet Friedrich Henstorf über die Anfänge des Netzwerks. Aus der A 4 wurde ab 1986 die „Ferndorf-Eder-Lahn-Straße“ - die noch in den Namen der Bürgerinitiativen „Felsenfest gegen FELS“ (Ruckersfeld) und „Herz gegen FELS“ (Herzhausen) überlebt hat. Nach der deutschen Vereinigung wurde aus der bis Bad Laasphe projektierten FELS eine „Entwicklungsachse“ für eine Bundesfernstraße bis zum Anschluss an die A 4 am Hattenbacher Dreieck, „von Olpe nach Moskau und ähnliche Dinge mehr“, weiß Friedrich Henstorf noch. Sie schrumpfte 2011 zur Ortsumgehungskette Kreuztal-Schameder, die von den Befürworten „Route 57“ getauft wurde und heute vom Landesbetrieb Straßen NRW als „57-verbinden“ bearbeitet wird.

Mit einer Fahrraddemo und einem Spaziergang durchs Mattenbachtal in Buschhütten protestieren im Juni 2021 offenes Klimabündnis Siegen-Wittgenstein und Netzwerk Natur 57 gegen den Bau der Kreuztaler Südumgehung.
Mit einer Fahrraddemo und einem Spaziergang durchs Mattenbachtal in Buschhütten protestieren im Juni 2021 offenes Klimabündnis Siegen-Wittgenstein und Netzwerk Natur 57 gegen den Bau der Kreuztaler Südumgehung. © Jürgen Schade | Jürgen Schade

„Wir hatten eigentlich gedacht, dass Politiker langsam empfänglicher für Argumente werden“, sagt Friedrich Henstorf. „Aber sie machen immer noch weiter“, stellt Bärbel Gelling, Kreissprecherin des BUND fest – sie rechnet nicht damit, dass die Straßengegner allein mit Überzeugung weiterkommen: „Es geht darum, Zeit zu gewinnen, bis sie das überhaupt nicht mehr stemmen können.“ Weil die Straße unbezahlbar geworden ist – „mehr als eine Milliarde Euro“, schätzt Friedrich Henstorf. Und weil sie, wegen Bevölkerungsrückgangs und veränderter Mobilität, nicht mehr gebraucht wird.

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Das ist der Stand der Dinge heute

Die Feier zur Verleihung der Umwelturkunde findet aus gutem Grund auf dem Hubensgut statt. Es ist der Reit- und Fahrverein Kindelsberg, dem die Gegner des Straßenbaus die aktuelle Vollbremsung verdanken: Im Februar 2021 hat das Oberverwaltungsgericht NRW den Planfeststellungsbeschluss zur Kreuztaler Südumgehung, dem ersten Abschnitt der Ortsumgehungskette, für rechtswidrig erklärt, elf Jahre nach Beginn der Planfeststellungsverfahrens und sieben Jahre nach dem Erörterungstermin in der Kreuztaler Stadthalle.

Durch das Mattenbachtal soll die Kreuztaler Südumgehung geführt werden: von der HTS bei Buschhütten zur B 508 zwischen Ferndorf und Kredenbach.
Durch das Mattenbachtal soll die Kreuztaler Südumgehung geführt werden: von der HTS bei Buschhütten zur B 508 zwischen Ferndorf und Kredenbach. © WP | Steffen Schwab

Weil zudem ein Beitrag zum Wasserrecht nicht offengelegt wurde, hat der Verein Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt, mit Aussicht auf Erfolg, wie Leipzig schon im Dezember 2021 durchblicken ließ. Straßen NRW arbeitet seitdem an der Neuordnung der Ausgleichsflächen, die nicht mehr, wie schon die 1,2 Hektar für die Straße selbst, auf dem Gelände des Reit- und Fahrvereins liegen dürfen. „Wir warten darauf, was nun passiert“, sagt Friedrich Henstorf, „wir sind weiter am Ball.“

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So geht es weiter: Kampf ums Hubensgut in Kreuztal

Dr. Gert Bültermann, seit 55 Jahren Mitglied des Reit- und Fahrvereins Kindelsberg und seit zwei Jahren dessen Vorsitzender, verteidigt das Hubensgut. „Der Verein steht top da“, sagt er, „so lassen wir mit uns nicht verfahren.“ In den Planfeststellungsunterlagen liegt ein Gutachten, das die Belastung des Vereins mit Flächen für Straßenbau und Ausgleich rechtfertigt – mit der Begründung, der Reit- und Fahrverein mit seinen beiden Reithallen, von denen eine nur 15 Meter von der Straßentrasse entfernt liegt, habe ohnehin keine Zukunft mehr. Dem ist das Oberverwaltungsgericht nicht gefolgt. Was nun kommt? „Seit dem Urteil gab es keine Gespräche, kein Angebot, nichts.“ Gert Bültermann wünscht sich, dass das Bündnis gegen die Südumgehung hält, wenn es nach dem erwarteten Planänderungsbeschluss zum nächsten Prozess kommt: „Wir haben ja jetzt schon einen ganz erheblichen Weg gemeinsam zurückgelegt.“

Alrun Hoffmann-Krönert dankt für die Auszeichnung und spricht über den Eichenwald im Mattenbachtal, der durch den Straßenbau zerstört wurde und dem sie eine ähnlich starke Lobby wünscht wie dem Heestal, wo die Stadt Kreuztal sich, anders als bei der Südumgehung, bei der Amprion-Stromtassenplanung auf die Seite der Bürgerinitiative gestellt hat: „Muss das alles jetzt noch sein?“

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Ortsumgehung Ferndorf schon in Blick

Der Bund zeichnet das Netzwerk übrigens schon zum zweiten Mal mit einer Umwelturkunde aus – dass irgendwann eine dritte folgt, scheint zumindest nicht ausgeschlossen. Denn am Donnerstag hat Straßen NRW einen Infostand auf dem Kreuztaler Wochenmarkt zu „57 verbinden“. Dort geht es nicht um die Südumgehung, sondern schon um den anschließenden Abschnitt von Ferndorf bis Allenbach. Die „Raumwiderstandskarte“, die die Straßenplaner dort erläutern werden, wird zeigen, dass der Konflikt nicht kleiner wird.

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