Siegen. Das Forstunternehmen Gebrüder Daub aus Siegen holzt die letzten große Fläche mit „Käferholz“ ab. Mit modernstem Gerät. Eine neue Wald-Ära beginnt.

Der Harvester hat sich den ganzen Weg von oberhalb der Winchenbach emporgearbeitet, bis zur Grenzeiche nach Dielfen, oben auf der Leimbachhöhe. Gut zwei Monate dauerte das, entlang steiler Hänge und durch tiefe Täler. In diesen Tagen wird der mutmaßlich letzte Borkenkäfer-Baum im Siegerland gefällt. Genau weiß man das natürlich nicht. Aber das Gebiet der Waldgenossenschaften Leimbach/Hütschelsbach, auf dem die Gebrüder Daub hier seit Januar in großem Maßstab Kalamitätsholz gefällt haben, war quasi das letzte seiner Art, zumindest im Kernraum Siegen: Viele graue Bäume auf großer Fläche. 100 bis 120 Jahre alt, das meiste 2021 getötet von Schädlingen und Trockenheit. Jetzt endgültig Geschichte. Nach der Katastrophe beginnt ein neuer Abschnitt, ein neuer Wald.

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Und es war eine Katastrophe, sagt Ulrich Daub. Der Geschäftsführer muss es wissen, seit Jahren arbeitet er da, wo hektarweise Bäume starben. Etwa 40 Prozent des Siegerländer Waldes hätten abgeholzt werden müssen. „Im Siegener Bereich ist die Fichte komplett weg.“ Nun beginnt eine andere Zeit: Eine, in der der Wald erstmal nur Geld kostet und gar nichts mehr einbringt. Nichtmal Schleuderpreise. Bäume müssen erstmal wieder wachsen; Aufforstung und Pflege bringen zunächst nichts ein. Aber sie erschaffen einen Wald, der anders ist als der alte; stabiler und gesünder. Auch schöner, weil weniger eintönig als oft düstere Fichtenschonungen. Vier bis fünf Arten, wo einst nur Fichte stand. „Für unsere Nachfahren“, sagt der Unternehmer. „Es ist nicht unser Job, Totholz runterzuschneiden, sondern den Wald gesund zu pflegen. Wir sorgen für Holz. Und für Jobs.“ Die Branche ist riesig. Und das Produkt: „Eins der geilsten und nachhaltigsten, die es gibt.“ Nur für Geld machen sie das nicht.

Siegen: Radikales Abholzen der Kalamitätsflächen überschwemmte den Markt mit „Käferholz“

Die Siegener Waldgenossen haben ihren Wald in diesem Bereich länger stehen lassen als andere, erklärt Ulrich Daub. „Stehend konserviert“, sagen die Fachleute dazu. In den Jahren ab 2018, als sich der Schädling in Massen auf die heimischen Fichten-Monokulturen stürzte und die Landschaft radikal veränderte, wurde der Holzmarkt geradezu geflutet mit „Käferholz“. Was Jahrzehnte, mitunter ein Jahrhundert gewachsen war: plötzlich nur noch einen Bruchteil wert. „Die extreme Menge hat den Markt völlig kaputtgemacht“, sagt Daub. Das hat sich über die Jahre wieder reguliert; 5 Euro für den Festmeter hundertjähriges Holz sind in weite Ferne gerückt. Davon profitieren nun die, die gewartet haben. Der Wald ist Wirtschaftsraum.

Es ist nicht unser Job, Totholz runterzuschneiden, sondern den Wald gesund zu pflegen.
Ulrich Daub - Forstunternehmer

Keine Kritik am schnellen, krassen Abholzen: Das musste sein, um den Käfer in Schach zu halten, damit alles nicht noch schlimmer wird unter diesen Extrembedingungen. Neben dem Schädling der „schnelle“ Wechsel von sehr lange sehr trocken und dann sehr lange sehr nass. „Da kam der Wald nicht mit klar.“ Im Frankenwald, wo die deutschlandweit tätigen Gebrüder Daub derzeit arbeiten, sehe es heute aus wie im Siegerland vor vier Jahren. Der Borkenkäfer ist los, es werde großflächig abgeholzt.

Ulrich Daub (links) und Marlon Schäfer fällen für die Waldgenossenschaften in der Leimbach
Ulrich Daub (links) und Marlon Schäfer fällen für die Waldgenossenschaften in der Leimbach © WP | Hendrik Schulz

Holzklau

In der Hochphase der Käferholz-Ernte „waren Hinz und Kunz in den Wäldern unterwegs“, erinnert sich Ulrich Daub: Firmen aus ganz Europa holzten kreuz und quer Bäume ab - Forstunternehmen waren absolute Mangelware. In diesem Wirrwarr kam es durchaus auch zu professionellem Holzdiebstahl: Einen Laster voll Stämme von anderen aufgeladen und weg.

Dass hier und da vielleicht auch mal Privatleute ein paar Scheite für den heimischen Kamin stibitzten - was ebenfalls vorkam - fiel dabei kaum ins Gewicht: „Bei den Holzmengen ist das gar nicht aufgefallen.“

Die Siegener investierten in ihren Maschinenpark. „Die tragen sich nur, wenn sie Futter sehen“, sagt Ulrich Daub, während sein Mitarbeiter Marlon Schäfer mit dem Harvester 30 Meter hohe Bäume „pflückt“, als wären sie Streichhölzer. Kaum packt der Greifarm zu, hat das gewaltige Sägeblatt den Stamm schon durchschnitten. Gewaltige Hydraulikkraft lässt den Stamm zu Boden gleiten, er wird vor Ort entrindet und zerteilt. Eine Sache eher von Sekunden als Minuten. Kein Gelände ist zu schwer: Die Maschine wird im zähen Boden am Hang von einer Seilwinde gehalten, oben am Weg, wie ein Bergsteiger von seinem Seil am Haken. Das minimiert Bodenerosion: Wo tonnenschwere Forstmaschinen herfahren, wird der Boden verdichtet, da wächst auch so schnell nichts mehr. Die Geräte sind aber inzwischen so gut – und entsprechend teuer – dass sie in möglichst wenig Rückegassen fahren können. Alle 20 Meter: Links und rechts davon kommt der Greifarm hin, zehn Meter weit. Weniger Eingriff in die Natur gehe mit schwerem Gerät nicht.

Siegen: Modernste Forst-Technik für nachhaltigen, gesunden Wald

Technisiert ist auch das Nachpflanzen. „Containerpflanzen“ nennen Forstleute die Setzlinge, die inklusive Feinwurzelwerk in speziellen Behältern angeliefert und von einer hochmechanisierten Pflanzmaschine in den Boden gesteckt werden. „Sowas hat weit und breit keiner“, sagt Daub. Das Gerät lockert den Untergrund, schiebt den Humus weg, packt das Bäumchen Pflanze direkt in den Mineralboden. „Herkömmlich“ gepflanzt könne es passieren, dass aus 80 Prozent nichts wird. Auf diese Weise deutlich weniger. Auch das ist natürlich teurer, rechnet sich aber, sagt der Experte. Im Grunde könnte die Maschine sofort hinter dem erntenden Harvester herfahren. Effektiver und günstiger jedenfalls, als lange zu warten, dann von Hand alles freischneiden zu müssen. Und auch das: ein Eingriff weniger in die Natur.

Kein Gelände zu schwer: Der Harvester kann auch an steilen Hängen eingesetzt werden, eine Seilwinde hält die Forstmaschine.
Kein Gelände zu schwer: Der Harvester kann auch an steilen Hängen eingesetzt werden, eine Seilwinde hält die Forstmaschine. © WP | Hendrik Schulz

Gepflanzt werden Lärche, Douglasie, Küstentanne. Bunt durchmischt, Häufig auch in Blöcken, eine Art zwischen zwei Rückegassen. Jede Baumart hat ihre Schädlinge, ihren eigenen Borkenkäfer. Wenn der nächste Parasit zum Problem werde, müsse nur ein solcher Block abgeholzt werden. „Und nicht hektarweise.“

Siegen: Spaziergänger schimpfen im Wald auf Forstarbeiter

Die Forstleute müssen sich dafür oft einiges anhören. Von Spaziergängern, Freizeitsportlern. Weil sie mit ihren schweren Maschinen die Wege zerfahren würden, die es eigentlich nur deswegen gibt, um Holz aus dem Wald zu holen, den die Eigentümer der Allgemeinheit zu betreten erlauben. Weil sie Wege sperren, damit niemand zu Schaden kommt. Denn nicht jeder im Wald sitzt in einem 20-Tonnen-Harvester, der schlimmstenfalls nur zuckt, wenn ein Baum drauf fällt. „Wir machen das nicht um die Leute zu ärgern“, sagt Daub, der sich mehr Verständnis fürs große forstliche Ganze wünschen würde - in einer Gegend, die immerhin die waldreichste in Deutschland ist. Wenn in kürzester Zeit Holzmengen geerntet und abtransportiert werden, für die eigentlich Jahrzehnte vorgesehen gewesen waren: Das hält kein Waldweg aus. Abgesehen davon: Sie werden wieder hergestellt. Komplett. Die Förderung ist schon beantragt und bewilligt. Dann ist Jahrzehnte wieder Ruhe.

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Im Wald vergeht die Zeit in Jahrzehnten, Arbeit gibt es immer. Die Kyrill-Flächen, seit 2007 tiefe Narben in der Landschaft, sind inzwischen so weit, dass sie durchforstet werden können. Dann der Pflege-Rückstau in den Laubbaum-Beständen, die ja alle noch stehen und wo in den vergangenen Jahren so gut wie nichts gemacht wurde. „Im Wald geht‘s immer irgendwie weiter“, sagt Ulrich Daub und zeigt auf junge Fichten, die sich in der Harvester-Fahrspur durch lehmige Erdbrocken und dicke Äste gekämpft haben. Die lassen sie natürlich drin. Der Zapfen kam von hier, der Baum wächst von alleine hier – besser angepasst geht wohl kaum.

Ulrich Daub auf einer Rückegasse: Alle 20 Meter eine – der Greifarm des Harvesters hat 10 Meter Reichweite nach links und rechts.
Ulrich Daub auf einer Rückegasse: Alle 20 Meter eine – der Greifarm des Harvesters hat 10 Meter Reichweite nach links und rechts. © WP | Hendrik Schulz