Siegen. An der Leimbachstraße möchte die Stadt Siegen Wohncontainer für obdachlose „Systemsprenger“ aufstellen. Anwohner kündigen eine Klage dagegen an.

Anwohner der Leimbachstraße kündigen eine Klage gegen die Aufstellung von acht Wohncontainern für Wohnungslose mit schwierigem Hintergrund neben dem Stadion an. Das sagt Guido Müller, Sprecher der „Bürgerinitiative Leimbachtal“ (BILT), nach einem Treffen, zu dem die Gruppe Nachbarinnen, Nachbarn sowie Vertreterinnen und Vertreter der Politik an den „Imbiss am Stadion“ eingeladen hatte. Rund 120 Menschen nahmen daran am Donnerstagabend teil.

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Der Klagehebel soll an einem formalen Punkt ansetzen: Nach Gesprächen mit Anwälten geht die BI davon aus, dass es sich bei dem Grundstück um einen „städtebaulichen Außenbereich“ handele, in dem die Errichtung solcher Unterkünfte für Wohnungslose gar nicht zulässig sei – trotz der vorliegenden Baugenehmigung.

Mehr als 100 Menschen sind zu dem Treffen an der Leimbachstraße erschienen, um ihrem Unmut über Pläne der Stadt Siegen Ausdruck zu verleihen: Auf einem Grundstück neben dem Stadion sollen Wohncontainer für Wohnungslose mit schwierigem persönlichen Hintergrund aufgestellt werden.
Mehr als 100 Menschen sind zu dem Treffen an der Leimbachstraße erschienen, um ihrem Unmut über Pläne der Stadt Siegen Ausdruck zu verleihen: Auf einem Grundstück neben dem Stadion sollen Wohncontainer für Wohnungslose mit schwierigem persönlichen Hintergrund aufgestellt werden. © WP | Florian Adam

Siegen: Wohncontainer für „Systemsprenger“ lösen Ängste in der Nachbarschaft aus

Die Stimmung ist angespannt, viele der Anwesenden sind spürbar verärgert und besorgt. Die Stadt hatte Ende September mitgeteilt, am Rand einer Schotterfläche zwischen Stadion und P+R-Parkplatz die Container für von Wohnungslosigkeit Betroffene aufzustellen. Untergebracht werden sollen dort Leute, die gemeinhin mit Begriffen wie „Störer“ oder „Systemsprenger“ bezeichnet werden, weil sie in Gemeinschaftsunterkünften nicht zurechtkommen: Sie geraten dort immer wieder mit anderen Bewohnern in Konflikt, haben sich nicht richtig unter Kontrolle. Oft spielen psychische Erkrankungen oder Drogen eine Rolle.

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Klar wird bei nahezu allen Wortbeiträgen am Donnerstag: Die Anwohnerinnen und Anwohner möchten diese Menschen nicht in der Nachbarschaft haben. „Bei uns nicht“, ertönt schon zu Beginn ein Zwischenruf. „In anderen Einrichtungen sind die nicht tragbar. Aber hier sind die tragbar? Da packe ich mir an den Kopf!“, sagt eine ältere Dame. Ein Herr erzählt, dass er in seinem Haus regelmäßig Sirenen und den Rettungshubschrauber wegen des nahen Krankenhauses höre, dass das auch in Ordnung sei; dass Raser auf der Leimbachstraße Lärm machten, dass er das aber hinnehme; doch wenn nun noch ein weiterer problematischer Faktor ins Quartier käme: „Ich halte das von der Stadt Siegen für eine Frechheit!“ Mehrere Leute äußern die Befürchtung, dass die Wohncontainer Drogendealer anlocken, dass überhaupt Drogenkonsum sichtbar werde, dass Spritzen und Scherben von Alkoholflaschen herumliegen – und dass so etwas gerade im Hinblick auf Kinder nicht sein dürfe.

Siegen: Wohncontainer für „Systemsprenger“ – Anwohner fürchten um ihre Sicherheit

Viele der Anwesenden gehen außerdem davon aus, dass die Bewohner der Container sich trotz ihrer besonderen Lebenssituationen selbst überlassen blieben, dass es keine sozialpädagogische Betreuung geben werde. „Wo ist die Chance für die Leute, wieder in die Gesellschaft integriert zu werden?“, fragt eine Frau. „Ich sehe keine Hilfe. Jedem hier einen Container hinstellen: Das löst die Probleme nicht.“ Vertreterinnen und Vertreter der Kommunalpolitik – rund ein Dutzend von verschiedenen Parteien sind erschienen – beziehen Stellung. Ratsmitglied Lisa Bleckmann von den Grünen weist darauf hin, dass ihre Fraktion im jüngsten Sozialausschuss vorgeschlagen habe, die Verwaltung mit der Erstellung eines Handlungskonzepts zur Betreuung exakt dieser speziellen Gruppe von Wohnungslosigkeit Betroffener zu erstellen, doch dass dieser abgelehnt worden sei.

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Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Micheal Groß erklärt mehrfach, dass die Politik in der Standortfrage gar nicht beteiligt gewesen sei, weil es sich um eine Aufgabe der Verwaltung handele. Die Politik könne das Thema aber aufgreifen, die Verwaltung mit einem sozialpädagogischen Betreuungskonzept beauftragen. „Da kann ich nur alle Fraktionen zu aufrufen: Stellen wir einen Antrag!“ Michael Groß hebt jedoch noch zwei andere Punkte hervor. Einerseits: „Wenn die Container nicht hier hin kommen, haben wir dieselben Probleme in vier Wochen an anderer Stelle“; das belegt auch die Historie des Themas, denn ursprünglich waren die Container im Frühjahr noch zur Aufstellung beim Freibad in Geisweid vorgesehen, doch die Stadt zog den Plan nach Bürgerprotesten zurück. Und andererseits – was die Angst vor Bedrohung angeht: „In unserem Land sind Obdachlose viel häufiger Opfer als Täter.“

Die Fläche zwischen Leimbachstadion und P+R-Parkplatz an der Leimbachstraße ist im Besitz der Stadt Siegen. Diese plant hier die Aufstellung von acht Wohncontainern für von Wohnungslosigkeit Betroffene.
Die Fläche zwischen Leimbachstadion und P+R-Parkplatz an der Leimbachstraße ist im Besitz der Stadt Siegen. Diese plant hier die Aufstellung von acht Wohncontainern für von Wohnungslosigkeit Betroffene. © WP | Florian Adam

Wohncontainer für Wohnungslose in Siegen: Potenzielle Nachbarn sind verärgert

Der Ton gegenüber den ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und -politikern ist mitunter gereizt. Sachliche Einordnungen rufen zum Teil empörtes Gelächter oder Raunen hervor, erst Recht Argumente, die nicht auf Gegenliebe stoßen. „Ängste sind nicht justiziabel“, sagt beispielsweise der Siegener Linken-Fraktions-Chef Henning Klein. Bezogen auf die Bewohner der Container könne er nicht erkennen, „wo da eine Gefahr ausgeht“ – es handele sich weder um Menschen, die zwangsweise in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht seien, noch um solche, die eigentlich im Gefängnis sein müssten. „Gehen Sie doch den Rechtsweg.“ Auch Detlef Rujanski und Adhemar Molzberger, beide SPD, weisen im weiteren Verlauf der Diskussion ruhig darauf hin, dass diese Option gegeben sei, wenn wegen der baurechtlichen Seite Uneinigkeit herrsche.

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Am Ende stimmen die Anwesenden auf Frage von Guido Müller ab, wer eine solche Klage befürwortet: Nahezu alle Hände gehen nach oben. Am kommenden Montag, das teilte Guido Müller am Freitagmorgen mit, gebe es wahrscheinlich eine Erstberatung bei einer auf Bau- und Verwaltungsrecht spezialisierten Kanzlei in Köln.

Siegen: Stadt stellt Sicherheitsdienst an Wohncontainern für Obdachlose in Aussicht

Der Siegener Sozialdezernent Andree Schmidt wirbt im Gespräch mit der Redaktion am Freitag für eine differenzierte Betrachtung. Mit den Menschen, die in die Container einziehen sollen, gebe es zwar in Gemeinschaftsunterkünften immer wieder Schwierigkeiten. Das liege aber vor allem an der Wohnsituation dort mit gemeinsamen Sanitäranlagen, gemeinsamen Küchen und Gemeinschaftsräumen. Unter diesen Bedingungen neigten manche Personen zu einem Verhalten, das sie in einem Wohncontainer, in dem sie nicht mit anderen konfrontiert sind, nicht zeigen würden. Genau deshalb soll schließlich jeder Betroffene seine eigene kleine Bleibe bekommen.

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Von einer Bedrohung für Anwohnerinnen und Anwohner in den Bereichen rund herum geht der Sozialdezernent nicht aus. „Wir reden hier über eine Personengruppe, mit der wir Erfahrung haben“, betont Andree Schmidt. Konflikte entstünden in aller Regel eher innerhalb der Gruppe oder im engen Zusammenleben in Einrichtungen. Gleichwohl sei die Stadt bereit, einen Sicherheitsdienst einzusetzen, der rund um die Uhr an den Wohncontainern die Lage im Blick hat. Nicht, weil Übergriffe auf Außenstehende zu erwarten seien, sondern „prophylaktisch, um Akzeptanz zu schaffen“. Sicherheitsdienste seien auch in den Gemeinschaftsunterkünften in der Winchenbachturnhalle und in der Eiserntalstraße im Einsatz. Das funktioniere sehr gut.

„Systemsprenger“ in Siegen: Hilfe nur möglich, wenn die Betroffenen Hilfe annehmen

Etwas schwieriger sieht es in puncto sozialpädagogisches Konzept aus. Das läge nicht an der Stadt, sondern an den Betroffenen. Auch, wenn diese das Angebot für ein Dach über dem Kopf annähmen: Wenn es um psychische Erkrankungen, Schulden, Sucht gehe, „richtet sich die Hilfe danach, was die Menschen annehmen wollen“, erklärt Andree Schmidt. Es bringe folglich nichts, eine sozialpädagogische Fachkraft acht Stunden täglich fest am Container-Standort zu positionieren, wenn deren Dienste gar nicht in Anspruch genommen würden. Es sei nicht fair, „wenn man uns unterstellt, wir würden die Leute abschieben und uns nicht kümmern“. Freie Bürgerinnen und Bürger haben nun einmal das Recht, Hilfe abzulehnen.

INFO: Zur Sitzung des Sozialausschusses am 19. Oktober liegen, unabhängig voneinander, Anfrage der Grünen und der FDP zum Thema vor.

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