Siegen. „Ich kann weder kochen, noch habe ich jemals ein Haus gebaut“: Detlef Rujanski leitete fast 30 Jahre das Siegener Studierendenwerk. Jetzt geht er
Das Geld war knapp. „Ich weiß, was Armut ist“, sagt Detlef Rujanski über seine Kindheit. Als Geschäftsführer des Studierendenwerks Siegen sind diese Zeiten für ihn zwar schon lange vorbei. Aber die Erfahrungen haben ihn geprägt. „Ich habe nie vergessen, dass ich aus armen Verhältnissen komme.“ Zum 31. Dezember geht er in den Ruhestand.
+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++
Der 65-Jährige kokettiert nicht mit den finanziellen Einschränkungen, die er in jungen Jahren erlebt hat. Er spricht darüber so sachlich und ruhig, wie über alles andere auch. Nicht kühl, nicht distanziert; dass er Gefühle damit verbindet, wird auch bei seinem aufgeräumten Ton völlig klar. Aber er spricht fokussiert und sortiert – wenn er redet, weiß er, wo er hin will. Der Einblick in die persönliche Familiengeschichte hat mit seiner Arbeit zu tun: „Ich bin wegen meiner Herkunft gut geerdet.“ Er kann nachempfinden, was die Angebote eines Studierenwerks für die Zielgruppe bedeuten und wie sie ineinandergreifen müssen. Wohnheime mit Mieten zum Beispiel, die auf dem freien Markt kaum zu finden sind. „Von 150 Euro, die ich an der Miete spare, kann ich einen Monat in der Mensa essen“, bringt er die Situation mancher junger Leute auf den Punkt. Außenstehende würde das oft lockerer einschätzen, Abteilung „och, ein Hunderter ist doch sicher noch drin“. Nein, „eben nicht“, betont Detlef Rujanski. „Es gibt Studierende, die wirklich auf jeden Cent gucken müssen.“
+++ Lesen Sie auch: Siegen: „1 in die Uni investierter Euro erzeugt Wertschöpfung von 4 Euro“ +++
Warum Siegen für Detlef Rujanski persönlich eine ideale Stadt war und ist
Noch etwas anderes, das er aus seiner Kindheit erzählt, hat einen klaren Bezug zu seinem Beruf, bei dem es um die Rahmenbedingungen von Bildung geht. Sein Vater stammte aus Rumänien, seine Mutter aus Oberschlesien, sie waren Flüchtlinge. „Meine Eltern haben gewusst: Alles Materielle kann man verlieren. Aber das, was man im Kopf hat, kann man mitnehmen.“ Dem Sohn, 1957 in Trupbach geboren, ermöglichten sie trotz der finanziellen Lage eine Ausbildung am Internat Maria Königin in Lennestadt. Im Alter von 11 ging er dorthin. Später studierte er Sozialpädagogik an der Universität Siegen, danach auch katholische Theologie und Mathematik auf Lehramt. Er hätte sich gut eine berufliche Zukunft in einem Internat vorstellen können. Mit 27 habe er sogar das Angebot gehabt, in Marburg eines zu kaufen. „Aber meine Frau hat gesagt: Es geht nicht. Sie könne nicht immer Kinder sehen, die an den Wochenenden nicht von ihren Familien abgeholt werden.“
Unerfüllter Wunsch
Detlef Rujanski ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
Sein Ziel, mit dem Studierendenwerk insgesamt 1350 Wohnheimplätze anbieten zu können (also für rund zehn Prozent der langjährigen Durchschnittszahl an Studierenden an der Universität Siegen), erfüllte sich bisher nicht.
Wenn das jüngste Projekt, die Umgestaltung eines ehemaligen Industriegebäudes am Effertsufer, abgeschlossen ist, werden 1150 Plätze zur Verfügung stehen.
Oft war es so, dass die Siegener Politik einen Strich durch die Rechnung machte. Die ehemalige Jugendherberge am Oberen Schloss wurde nicht zum Wohnheim, sondern für die Parkerweiterung abgerissen; das Hotel an der Siegerlandhalle durfte nicht zum Wohnheim werden, weil Bedenken wegen Lärmessionen aus dem Hallenbetrieb laut wurden; und als das Studierendenwerk Pläne für das ehemalige Landesbehördenhaus an der Koblenzer Straße vorlegte, nachdem dieses wegen Schimmelbefalls leergezogen worden war, stand die Immobilie kurz darauf unter Denkmalschutz
Der Sozialpädagoge übernahm statt dessen 1983 die Leitung einer Jugendeinrichtung, wurde dann 1984 Geschäftsführer des paritätischen Wohlfahrtsverbands in Siegen. „Das war eine tolle Zeit, in die ich hineinkam“, sagt er. „Ich durfte viele Sachen mit aufbauen.“ Es ging um Kitas, um Gruppenangebote, darum, Soziales mit Betriebswirtschaftlehre zu verbinden. Von 1989 bis 1991 absolvierte er zudem berufsbegleitend einen Akademiekurs für leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Sozial- und Jugendhilfe. Er wollte seine Führungskompetenzen festigen. Vorher habe er aber noch eine wichtige Entscheidung treffen müssen. „Gehe ich in den Profit- oder den Non-Profit-Bereich?“, sei die Frage gewesen. In eigener Reflexion und im Austausch mit seiner Familie habe er dann Non-Profit gewählt. Und er fällte einen sehr bewussten Entschluss für Siegen. Zwar habe er nach dem Akademiekurs Jobangebote auch aus Berlin oder Hamburg bekommen. „Aber ich habe festgestellt: Ich bin kein Mensch für solche großen Städte.“ Mit Siegen sei er verbunden gewesen, die Größenordnung sei für ihn ideal. „Ich wollte mich einfach wohlfühlen. Ich mag es, wenn ich die nötige Distanz, aber auch die Nähe habe.“
+++ Lesen Sie auch: Siegen: Neues Studierenden-Wohnheim direkt am Campus Mitte +++
Detlef Rujanski: „Wir müssen wissen, wie die jungen Leute ticken“
Eine Studierende habe ihn darauf hingewiesen, als der Geschäftsführerposten beim Studierendenwerk – damals, in den frühen 1990ern, übrigens noch „Studentenwerk“ – Siegen frei wurde. Andere fanden ihn als Kandidaten naheliegend. Er selbst sei im ersten Moment ein wenig irritiert gewesen. „Ich kann weder kochen, noch habe ich jemals ein Haus gebaut, noch habe ich mich irgendwann mit Bafög beschäftigt“, sei sein erster Gedanke gewesen. Mit Kindergärten kannte er sich aus – aber einen solchen gab es damals an der Uni noch nicht. Trotzdem reizte ihn die Aufgabe. „Ich wollte gucken, ob es gelingt, ein Unternehmen erfolgreich zu führen, ohne Gewinnmaximierung nach vorne zu rücken.“ Auch die Kombination aus dem Eintreten für soziale Belange einerseits und dem Einhalten kaufmännischer Prinzipien andererseits erschien ihm spannend, dieses „alles unter einen Hut bringen“. Zum 1. April 1993 trat er die neue Stelle an.
Das Erste, was er in Angriff nahm, war die Einrichtung der Kita. „Das war das einzige, was ich konnte!“, sagt er und lacht. Von Anfang an sei die Kita ausgelastet gewesen – und ein wichtiger Beitrag, um die Vereinbarkeit von Familie und Studium zu verbessern. In die anderen Geschäftsbereiche – die Mensen, die diversen Gastrobetriebe, die Wohnheime – arbeitete er sich ein. Ein Aspekt sei den Themen gemeinsam: „Wie kriegt man Strukturen so gebaut, dass Leute sich wohlfühlen?“ Die Antwort müsse alle Beteiligten einschließen, die Studierenden genauso wie die Beschäftigten. Und es sei zu berücksichtigen, dass sich Dinge gerade in der Uni-Welt in kontinuierlichem Wandel befinden. „Unser Bestreben ist immer: Wir müssen wissen, wie die jungen Leute ticken.“ Das betreffe Entwicklungen in Sachen Ernährung – Stichworte vegetarisch und vegan – ebenso wie die Ansprüche an optische Gestaltung und technische Ausstattung von Wohnheimen.
+++ Lesen Sie auch: Mensa Unteres Schloss Siegen: Vegan ist auf dem Vormarsch +++
In der Siegener Politik geht Detlef Rujanski noch nicht in Rente
„Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen: ,Endlich geht’s in Rente’“, macht Detlef Rujanski klar. Er habe an seiner Arbeit viel Spaß gehabt, gerade am Kontakt mit jungen Leuten und jungen Themen. „Aber jetzt ist der richtige Zeitpunkt für mich, um zu gehen“, ergänzt er. Wie 20-Jährige heute leben, wohnen, essen wollen – sich da hineinzufühlen, habe er bisher noch gut hinbekommen. Doch jetzt, mit 65, spüre er, „dass die Kluft größer geworden ist“. Außerdem „habe ich der Gesellschaft und meinem Job viel Zeit gegeben. Jetzt werde ich mehr für mich und meine Familie reklamieren.“ Sein politisches Engagement – er ist seit vielen Jahren Mitglied im Siegener Rat, ist dort langjähriger Vorsitzender der SPD-Fraktion und trat zwei Mal als Bürgermeisterkandidat in Siegen an – wird er aber fortsetzen. Ansonsten „werde ich mir jetzt Zeit nehmen und gucken, was kommt. Ich möchte es endlich mal ein Stückchen ruhiger angehen lassen.“
+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++