Siegen. Acht Wohncontainer für wohnungslose „Störer“ stellt die Stadt in der Leimbachstraße auf. Eine dauerhafte Lösung soll das aber nicht sein.
Man wird sie sehen. Vielleicht an der Bushaltestelle. Oder auf einer Ruhebank. „Wir gehen nicht davon aus, dass Personen in der Nachbarschaft beeinträchtigt werden“, sagt Siegens Sozialdezernent Andree Schmidt, „von den Menschen geht keine Gefährdung aus.“ Andree Schmidt spricht über acht von derzeit 113 Obdachlosen im Stadtgebiet, die ab November in Wohncontainer an der Leimbachstraße einziehen werden.
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Die Stadt geht das Vorhaben mit extremer Vorsicht an: Die Bewohner von rund 40 Haushalten der Leimbachstraße 236 bis 256 wurden zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Im Pressegespräch vorab stehen mit dem Dezernenten auch Sozial-Abteilungsleiter Steffen Weiskirch und der für Wohnungsthemen zuständige Arbeitsgruppenleiter Lars Dörr Rede und Antwort. Diesmal soll nichts schief gehen. denn ursprünglich wollte die Stadt die damals schon bestellten acht Container im Wiesental in Geisweid, gegenüber dem Freibadparkplatz, aufstellen. Es gab Protest, sogar eine Online-Petition, sodass Bürgermeister Steffen Mues das Vorhaben im April stoppte.
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Warum ist das Vorhaben brisant?
In die Container werden „Störer“. manchmal auch „Systemsprenger“ genannt, einziehen – Bewohner, die nicht oder nur mit Schwierigkeiten in Gemeinschaftsunterkünften zurechtkommen, dort in Konflikte mit Mitbewohnern geraten sind oder die Kontrolle über sich selbst verlieren. Drogen und psychische Erkrankungen können dabei eine Rolle spielen. Mit der getrennten Unterbringung dieser Personen sollen auch die Wohnverhältnisse der anderen von der Stadt untergebrachten Obdachlosen entspannt werden.
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Wo kommen die Container hin?
Als Standort ausgewählt wurde der hintere Bereich eines städtischen Grundstücks zwischen Leimbachstadion und P+R-Platz an der Leimbachstraße. Vorn steht derzeit noch das Festzelt vom Oktoberfest, im Winter wird dort ein Zirkus Quartier beziehen. Geachtet hat die Stadt darauf, dass Einkaufsmöglichkeiten und eine Bushaltestelle in erreichbarer Nähe sind. Wohnhäuser befinden sich nicht in der Nähe. Die Container haben einen 7,95 Quadratmeter großen Wohnraum, möbliert mit Bett, Schrank , Tisch und Stuhl, eine Teeküche und einen Sanitärbereich mit Dusche und WC.
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Welche Alternativen hat die Stadt, um Obdachlose unterzubringen?
Die Stadt verfügt über zwei Unterkünfte für Familien und drei für Einzelpersonen, darunter die Winchenbachturnhalle, außerdem über fünf angemietete Notunterkünfte. 37 Personen sind in neun Hotels und Pensionen untergebracht. Um Wohnungsräumungen wegen nicht bezahlter Miete abzuwenden, kann die Stadt auch die entsprechende Wohnung beschlagnahmen, sodass ein Auszug nicht erforderlich wird – die Miete bezahlt dann die Stadt. Von dieser Möglichkeit werde aber nur „in absoluten Einzelfällen“ Gebrauch gemacht, sagt Steffen Weiskirch. Derzeit vier der insgesamt 113 Obdachlosen lehnen von der Stadt angebotene Übernachtungsplätze ab. Für sie hat die Stadt zehn Iglus angeschafft. Zwei wurden bisher aufgestellt, eines werde sporadisch genutzt, berichtet die Stadt, „das zweite wurde nicht genutzt und zerstört“. Seit einem Jahr nicht mehr zur Verfügung steht das „Hotel Acon“ in Weidenau, das wegen Mängeln beim Brandschutz geschlossen wurde. „Das merken wir immer noch, dass das fehlt“, sagt Andree Schmidt. 26 Wohnungslose waren dort untergebracht, eine Reihe von ihnen wurde damals in die Winchenbach-Turnhalle geschickt, die die Stadt ursprünglich als Flüchtlings-Notunterkunft in Reserve gehalten hatte.
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Wie lange sollen Menschen in diesen Containern wohnen?
„Das ist keine dauerhafte Lösung“. sagt Andree Schmidt. Ziel ist es, auch diese Obdachlosen „mietfähig“ zu machen, also in die Lage zu bringen, selbst eine Wohnung mieten zu können. Die besondere Unterbringungsform, so Lars Dörr, „ist eine große Chance für uns und unsere Arbeit.“ Wöchentlich wird Kontakt zu den Bewohnern der Notunterkünften gehalten, die städtische Fachstelle für Wohnungsnotfälle arbeitet mit freien Trägern zusammen. Ob die acht Container ausreichen? Aktuell ja, antwortet Andree Schmidt – Blicke in die Zukunft sind schwierig.
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Wie werden die Bewohner unterstützt?
Das kommt darauf an, wie sie in die Notlage geraten sind. Auslöser kann ein schlimmes Ereignis, ein Schicksalsschlag gewesen sein, der die Betroffenen buchstäblich aus der Bahn wirft. Lars Dörr: „Die Schraube dreht sich immer weiter nach unten, bis der Betroffene irgendwann ganz unten ankommt.“ Vertrauen muss aufgebaut werden, unter Umständen werden Sucht- und Schuldnerberatung hinzugezogen. Ein nächster Schritt kann ein Wechsel in andere Wohnformen werden, die über die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung finanziert werden. Wichtige Partner sind die Diakonie mit ihre Beratungsstelle und dem Café Patchwork als Anlaufstelle, außerdem, vor allem für Frauen, die Alternativen Lebensräume (ALF) mit ihrem Projekt „Housing First“. Eine wichtige Rolle spielt auch der von der Caritas angebotene Mittagstisch.
Was sagen die Anwohner?
Um die zehn Haushalte hätten sich zu der Informationsveranstaltung angemeldet, berichtet Andree Schmidt. „Einer hat uns sogar geschrieben, dass er einverstanden ist.“ Guido Müller, FDP-Kommunalpolitiker und selbst Anlieger, hat auf der Versammlung eine ablehnende Stimmung wahrgenommen. Die Stadt riskiere, dass dort ein sozialer Brennpunkt entstehe: „Mit Integration hat das nichts zu tun.“ Seine Nachbarn seien verärgert, dass sie nicht im Vorfeld beteiligt, sondern nun mit der bereits ausgestellten Baugenehmigung konfrontiert würden. Guido Müller selbst kann sich andere Standorte vorstellen: zum Beispiel in Nachbarschaft des Café Patchwork unter der HTS, an der Siegerlandhalle oder im Seilerweg in der Fludersbach. „Wir werden auf jeden Fall einen Rechtsbeistand hinzuziehen.“ Zu prüfen sei, ob das Gelände im städtebaulichen Außenbereich liegt, wo allenfalls „temporär“ eine Notunterkunft errichtet werden dürfe: „Wir haben den Eindruck, die planen auf Dauer.“
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