Siegen. …dafür bekommen Autos länger Grün an Ampeln. Fahrradfahrer kritisieren die geplante Siegener Umweltspur: „Muss E-Bike lieber benutzen als Auto“

Um das direkt klarzustellen: Die geplante Umweltspur wird keine durchgehende Fahrrad-Fahrspur zwischen Siegen-Mitte und Geisweid Bahnhof. Auf langen Strecken der Sand-, Hagener, Weidenauer und auch Geisweider Straße werden Autos zwar von einer Fahrspur verbannt, der Radverkehr fließt über längere Abschnitte aber auch durchs Nebennetz. Das sorgt für gewissen Unmut bei Radfahrern. Die Stadtverwaltung verweist darauf: Diese Lösung lässt sich politisch und realistisch durchsetzen. „Wir können nicht absolut gegen das Auto vorgehen, sonst laufen wir vor eine Wand“, sagt Benjamin Hinkel, Leiter der Abteilung Straße und Verkehr. „Dafür ist die Klientel zu stark.“

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Gut 50 Personen, darunter auch eine Handvoll Stadtverordnete, hatten sich dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) Siegen-Wittgenstein am Dienstagabend, 19. September, angeschlossen: Die künftige Umweltspur erkunden. Ab 2024 wird durch Längsstrich und regelmäßige Piktogramme markiert, rot nur in Einmündungsbereichen, wo Autos beispielsweise zum Abbiegen Spuren wechseln müssen. Bis dahin sind noch einige Details zu klären.

Die Route der Umweltspur von Siegen nach Geisweid und zurück: Nicht nur Hauptstraße

1. Siegen-Geisweid. Vom Kölner Tor geht es direkt ins Nebennetz – die Verkehrsdichte sei durch die hier einmündende Freudenberger Straße/L 562 zu hoch, sagt Benjamin Hinkel, „da sind zu viele Kfz, da kann man bei aller Liebe zum Rad nichts wegnehmen“. Also ab H&M durch die Tempo-30-Zone Friedrichstraße, am Bertramspark vorbei, am Möbelhaus Bald (Emilienstraße) rechts abbiegen auf die Sandstraße. Am Kaisergarten vorbei, die Hauptachse wird nach der Linkskurve zur Hagener Straße, dann wieder ins Nebennetz: Hinter dem Lidl, parallel zu den Gleisen, in die Gießereistraße, die zur Fahrradstraße wird, in der Autos nur noch geduldet sind. Hinter der Schranke über die Samuel-Frank-Straße gegenüber der HTS-Anschlussstelle Sieghütte zurück auf die Hauptachse Weidenauer Straße. Hier ist die Umweltspur auf der Hauptstraße; ein ganzes Stück, bis fast nach Geisweid. An der Einmündung „Schneppenkauten“, kurz bevor die Straße die HTS unter- und die Ferndorf überquert verläuft die Umweltspur auf dem Bürgersteig, Parkplätze und die wenig frequentierte Bushaltestelle „Ferndorfbrücke“ entfallen. Dahinter schwenkt sie unter der HTS auf den bestehenden Radweg bis zum Geisweider Bahnhof ein.

Diesen Anblick wird es ab 2024 wohl häufiger zwischen Siegen und Geisweid zu sehen geben: Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer auf der Hauptstraße, hier die Hagener Straße.
Diesen Anblick wird es ab 2024 wohl häufiger zwischen Siegen und Geisweid zu sehen geben: Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer auf der Hauptstraße, hier die Hagener Straße. © Hendrik Schulz

2. Geisweid-Siegen. Auf einem kurzen Stück wird die rechte Fahrspur der Geisweider Straße zur Umweltspur: Vom Bahnhof bis zum Rewe am Rathaus. Dort über die Ampel und erstmal zurück auf den Radweg. Ab Ferndorfbrücke unter der HTS verläuft die Umweltspur wieder länger auf der Hauptstraße: bis zur Sieghütte. Bei FitX geht es von der Hagener Straße wieder ins Nebennetz; über Porsche-, Daimlerstraße und Sieghütter Hauptweg, dann zurück auf die Sandstraße. Über die kleine Brücke über die Sieg (Am Siegsteg) führt die Route über Heeserstraße und den Fuß- und Radweg bis Reichwalds Ecke. Eine provisorische Lösung: Die Ampel an der Kreuzung hinter Reichwalds Ecke wird noch komplett umgebaut. Danach fahren auch Fahrradfahrer hier über die Sandstraße.

Siegen: „Eine Umweltspur muss für Radfahrer interessant sein“ – das sei sie eher nicht

Immer noch 3:1 fürs Auto, wie es Stadtverordneter Martin Heilmann (Grüne) formuliert hatte, trifft es also nicht ganz. Vielmehr geht je Richtung weniger als eine von vier Fahrspuren ans Fahrrad. Die Umweltspur ist eine Kompromisslösung, ein erster Schritt, ein zusätzliches Angebot, wie es Jens Kremer, 2. Vorsitzender des ADFC, ausdrückt. „Es muss ja auch durch die Politik“, sagt SPD-Stadtverordnete Angelika Flohren – aber „nicht mit dem Holzhammer“. Schon gegen diese Variante gab es erheblichen Widerstand.

Benjamin Hinkel erläutert die Führung des Radverkehrs in Geisweid: Vom Bahnhof aus geht es ein kurzes Stück über die Hauptstraße Richtung Süden, ab der Ampel am Rewe (Hintergrund) führt die Route über den bestehenden Radweg unter der HTS.
Benjamin Hinkel erläutert die Führung des Radverkehrs in Geisweid: Vom Bahnhof aus geht es ein kurzes Stück über die Hauptstraße Richtung Süden, ab der Ampel am Rewe (Hintergrund) führt die Route über den bestehenden Radweg unter der HTS. © Hendrik Schulz

Einigen von denen, die viel mit dem Fahrrad unterwegs sind, reicht das nicht. Sie bemängeln zu wenig Markierung, Piktogramme, Beschilderung, zu komplizierte Wegeführung, immer noch zu viel Raum fürs Auto. „Andere Städte nehmen Autofahrern eine Spur weg, um den Druck zu erhöhen“, sagt einer, „ich muss mein E-Bike lieber benutzen wollen als mein Auto“. Das sehe er hier eher nicht. „Eine Umweltspur muss für Radfahrer interessant sein“, bestätigt ein anderer. „Dazu muss man zügig vorankommen“ – was er bei vielen Ampeln, sich durchwuseln durchs Nebennetz, bezweifle.

Die Siegener Umweltspur ist ein Kompromiss – zu schmerzhaft darfs fürs Auto nicht sein

Gäbe es von A bis Z freie Fahrt fürs Fahrrad, von A bis Z, entgegnet Benjamin Hinkel, „würden wir heute hier nicht stehen“. Dies sei der machbare, mehrheitsfähige Kompromiss – ein Aufschlag. „Wenn wir den gemacht haben, können wir weiter nachsteuern.“ Geben und Nehmen. Berücksichtigen müsse die Stadt alle Verkehrsteilnehmer und ihre Sicherheit. Die Ampelschaltung werde schrittweise angepasst – zunächst für die Autos auf der ihnen bleibenden Fahrspur. Die sollten zwar eigentlich auf die HTS ausweichen, merkt jemand an, aber erstmal bekommen sie ein paar Sekunden mehr Grün, „damit wir uns nicht die Knotenpunkte zustauen“, sagt der Abteilungsleiter. Die Berechnungen am digitalen Verkehrsmodell werde Schritt für Schritt mit der Realität abgeglichen. Was die Schilder angehe: Die Abteilung nehme derzeit die komplette Beschilderung des Siegener Radwegenetzes auf, aktualisiert, bessert nach. „Ein Wahnsinnsaufwand“.

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Ideal, finden auch die Radverkehrs-Experten des ADFC, sei die Umweltspur nicht. Aber ein bisschen besser. Die komplette Spurbreite steht auf langer Strecke künftig dem Fahrrad zur Verfügung; es wird nicht mehr an den rechten Rand gedrängt, wo sich die ganzen miesen Stellen häufen, Schlaglöcher und Kanaldeckel. Jens Kremer betont: „Ich bin überzeugter Radfahrer. Wir sollten dieser Umweltspur eine Chance geben. Wenn wir sie erstmal haben, können wir damit weiterarbeiten.“