Siegen. Umstieg vom Auto oder auf HTS ausweichen: Auf Hauptachse Siegen-Geisweid soll eine Fahrspur pro Richtung für Bus und Fahrrad freigemacht werden.

Die Umweltspur auf der Hauptachse zwischen Siegen und Geisweid kommt ab Frühjahr 2024. Wenn sie beschlossen wird, ist das eine der einschneidendsten Maßnahmen im Innenstadtverkehr: Auf der vierspurigen Weidenauer-, Hagener- und Sandstraße verliert das Auto einen großen Teil seiner jahrzehntelange Dominanz, Öffentlicher Nahverkehr und gerade das Fahrrad werden erheblich gestärkt. Auf die Stadt prasselte bei Bekanntgabe einiges an Kritik ein, nun steht die politische Debatte über das Vorhaben an. Nach dem Verkehrs- und dem Hauptausschuss entscheidet der Rat am 21. Juni.

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Die Stadt begründet die Umweltspur mit einer gesetzlichen Grundlage: Alle Verkehre auf der Straße sind in NRW gleichberechtigt. Insbesondere das Fahrrad sei vollwertiges Verkehrsmittel und Teil einer „Mobilitätskette“, etwa als Transportmittel zu Bushaltestellen und Bahnhöfen. Siegen baut die Infrastruktur für den Radverkehr seit einigen Jahren aus, das Verkehrsverhalten hat sich in der Tat spürbar verändert: Immer mehr Menschen fahren Fahrrad und nicht Auto. Erheblichen Anteil daran hat das E-Bike, mit dem auch Siegerländer Berge für Nicht-Sportler leicht zu bewältigen sind. Die Fahrzeuge werden hochwertiger und teurer, der Bedarf nach sicheren, abschließbaren Stellplätzen wächst (wir berichteten).

Umweltspur Siegen schnell umsetzbar, bei geringen Kosten: Im Grunde nur Markierung

Mehr Platz fürs Fahrrad auf Straße und Parkplatz beschneidet ein Stück weit das Auto. Der Umweltverbund (Bus, Fahrrad, Mensch) soll aber nicht aufs unattraktivere Nebennetz verdrängt werden, sondern auch auf der Hauptachse zügig und sicher ans Ziel kommen. Wie so oft ist in Siegen wenig Platz, also muss die vorhandene Enge behutsam austariert werden. Denn auch wenn der Fahrrad-Anteil merklich steigt: Autos machen nach wie vor den Hauptanteil aus.

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Wie berichtet wird auf der Hauptachse auf weiter Strecke ein Fahrstreifen auf voller Breite zum Radfahrstreifen umgewandelt, der für Busse freigegeben wird. Bei Kosten von 310.000 Euro fallen – neben Änderungen an der Ampelsteuerung und Baumaßnahmen an manchen Kreuzungen – nur Markierungsarbeiten an. Eine bauliche Trennung der Verkehre wäre eigentlich sicherer und komfortabler, würde aber zusätzlichen Platz wegnehmen. Vorteil: Sollte die HTS voll gesperrt werden müssen, könnte mit befristeter Wieder-Um-Markierung reagiert werden.

SPD Siegen: Verschlechterung fürs Auto ein Stück weit so gewollt – Umstieg attraktiver

Gedacht ist die Umweltspur nicht als Ersatz für den Radweg unter der HTS – dessen Nutzung ebenfalls spürbar steigt –, sondern als Ergänzung. Denn der bestehende Radweg ist auf weitere Strecke ein für Fahrräder freigegebener Fußweg, Mensch und Fahrrad kommen sich hier zunehmend ins Gehege. Und er ist von vielen Stellen des Stadtgebiets aus nicht gerade komfortabel erreichbar. Außerdem soll die Umweltspur den Busverkehr beschleunigen, der im Verkehrsnadelöhr Siegen seine Verspätungen aufbaut. Wenn sich Komfort, Sicherheit und Tempo verbessern, erwarten die Planer, dass sich der Anteil des Radverkehrs künftig weiter erhöht, während sich Autoverkehr reduziert bzw. auf die HTS verlagert.

Die Fraktionen begrüßen das Vorhaben mehrheitlich. Man stehe grundsätzlich voll und ganz hinter der Umweltspur und den Zielen dahinter, so die SPD. Radverkehr werde nicht nur sicherer, die Umweltspur beschleunige auch den ÖPNV, gerade in Stoßzeiten, der damit die Fahrpläne einfacher einhalten könne. Und zum Überholen von Fahrrädern stehe den Bussen auch künftig die verbleibende Kfz-Spur zur Verfügung. Die zwangsläufig damit einhergehende Verschlechterung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) sei ein Stück weit gewollt, so die SPD, um den Umstieg attraktiver zu machen und Autos auf die HTS zu leiten. Sollte es zu signifikant schlechteren Verkehrsverhältnissen und Rückstaus kommen, müsse nachgesteuert werden.

Grüne Siegen: HTS für viel Geld exklusiv fürs Auto gebaut – dann auch bitte nutzen

Auch für die Grünen ist mehr Raum für den Umweltverbund unumgänglich: Der Radverkehr erhalte als gleichberechtigter Mobilitätsfaktor die Beachtung, die er verdient – die Zählstelle an der Tiergartenstraße habe laut Fraktion am Donnerstag 1400 Fahrräder gezählt. Schnelle Umsetzung bei geringen Kosten sprächen ebenfalls für das „gut durchdachte“ Konzept. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis es an Radweg-Nadelöhren wie dem Kreisklinikum zu Problemen komme, zumal ein möglicher Radschnellweg noch sehr lange auf sich warten lassen werde. Die Grünen erinnern daran, dass die HTS für viel Geld gebaut wurde, „unter erheblichen Opfern, was Bausubstanz und Geräuschkulisse an den Hanglagen der Stadt angeht“ – es sei daher nicht zu viel verlangt, dass der motorisierte Individualverkehr „diese exklusiv für ihn errichtete Stadtautobahn auch nutzt“. Das Auto sei nicht mehr das bequemste und schnellste Verkehrsmittel in Innenstädten. Umweltspuren seien ein Baustein, die vom Auto dominierte Innenstadt für alle attraktiver zu machen, wovon alle profitieren.

Für Volt sind Vorrang für Bus- und Radverkehr „entscheidend für eine nachhaltige und lebenswerte Stadt“, verbessere sie doch nicht nur den Verkehr – gerade auch für ältere und behinderte Menschen –, sondern reduziere auch Lärm und Luftverschmutzung.

Die UWG „sieht der geplanten Mobilitätswende zwiegespalten entgegen“: Grundsätzlich befürworte man den Umstieg vom Auto – dieser Schritt könne da aber nur ein Anfang sein. Man sehe die Entwicklung in der Region aber positiv.

Manche Siegener Fraktionen sind skeptisch: Prüfen, wie praktikabel die Umweltspur ist

Für die GfS-Fraktion wichtig sei auch, dass die Umweltspur den motorisierten Individualverkehr nicht bedrängt. Man befürworte daher Ladezonen und weitestgehenden Erhalt der Parkplätze längs der neuen Spur. „Nach einer gewissen Eingewöhnungsphase werden wir sicherlich feststellen, dass das Konzept funktioniert und wir gemeinsam wieder ein Stück weiter gekommen sind.“

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Die AfD „als begeisterte und intensive Radfahrer“ begrüßt jede Verbesserung der Fahrrad-Infrastruktur, findet aber die Verschiebung zu Lasten des Autos problematisch. Eine „verordnete ‘Mobilitätswende’“ blende Realitäten und Notwendigkeiten aus. Zudem sei der Beitrag des Umweltverbunds zum Klimaschutz gering. Man plädiere für eine Versuchsphase.

Ähnlich sieht das die Linke, die prinzipiell dafür ist, aber prüfen möchte, wie praktikabel das auf den Straßen wirklich ist.

FDP und AfS lehnen Umweltspur in Siegen ab: Auto „unnötig Verkehrsraum entzogen“

Für die FDP würde dem Auto „unnötigerweise Verkehrsraum entzogen“; viele seien darauf angewiesen, mit dem Auto in die Stadt zu kommen. Die Umweltspur würde zu „erheblichen Rückstaus in und um die betroffenen Straßen führen“, mit zweifelhaftem Effekt für die Umwelt. Auch das Miteinander von Bussen, Taxen und Fahrrädern auf einer gemeinsamen Fahrspur sei zu hinterfragen.

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Die AfS lehnt Umweltspuren als weitere, zusätzliche Belastung der Autofahrer ab. „Staus und erhöhte Abgase werden die Folgen sein.“ Nur wenige Radfahrer würden die Hauptstraßen nutzen, weil sie sich nicht Lärm, Abgasen und persönlicher Gefährdung aussetzen wollten. „In Siegen werden die Radfahrer den Radweg entlang der Sieg bevorzugen.“ Es sei absurd, anzunehmen, dass hierdurch „mehr Radfahrer zu Einkaufsstätten oder zu ihrer Arbeitsstätte fahren“.