Helminghausen. Riesige Muschelkolonie am Diemelsee ist erst seit zwei Jahren bekannt. Damals starben zehntausende wegen Niedrigwasser. Droht das erneut?

Still und starr ruht der Diemelsee. Er ist leer, sehr leer. Die Uferrand ist stellenweise um etwa 100 Meter zurückgegangen. Schlecht für die Teichmuscheln. Droht wieder ein großes Muschelsterben wie im Oktober 2018?

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Da war der Wasserstand des Stausees so stark gesunken, dass die bis dahin unbekannte Muschelkolonie freigelegt wurde. Wie berichtet, schafften es zahlreiche Muscheln nicht mehr ins rettende Nass. Bis Dezember waren 10.000de Tiere an Land verendet. „Ursache war infolge des extrem trockenen Sommers 2018 der stark abgesenkte Wasserstand“, blickt Wolfgang Lehmann, Muschelexperte des Naturschutzbundes Nabu aus Korbach im WP-Gespräch sorgenvoll zurück. Bis dahin sei die große Population der Teichmuschel im Diemelsee weder dem amtlichen und ehrenamtlichen Naturschutz noch dem Wasserstraßenamt in Hann. Münden bekannt gewesen.

Großes Muschelvorkommen

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Zumindest das hat sich geändert. Jetzt weiß man um das große Muschelvorkommen. Lehmann geht davon aus, das mehrere Muschelgenerationen im Diemelsee leben. „Das erkennt man an der Größe“, erklärt der Muschelexperte. Teichmuscheln würden um die 13 Jahre alt. Die Größten sind die Ältesten und können 12 Zentimeter groß werden. Muscheln verschiedener Größe sind schon vor zwei Jahren am Ufer verendet.

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Die Naturschützer wollen alles tun, damit sich das nicht noch einmal wiederholt und sind froh, wie Lehmann sagt, dass sich Unterstützung behördlicher Art und auch seitens des Wasserschifffahrtamtes signalisiere. Und auch das hat sich geändert. Das Wasserschifffahrtsamt habe den Wasserzufluss in die Diemel gedrosselt, so dass zurzeit der Wasserstand wenigstens gleichgeblieben ist. Der Stausee hat momentan etwa 30 Prozent seines Volumens.

Große Rettungsaktion

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Mit vereinten Kräften war der Naturschutzbund vor zwei Wochen im Einsatz. Mehr als 30 Mitglieder aus drei Ortsgruppen haben Teichmuscheln am Ufer des Diemelsees gerettet. Trotz Nebel und Temperaturen um die 0 Grad brachten sie unter der Leitung von Wolfgang Lehmann etwa 2800 Tiere am Rand der Kolonie in sicheres Wasser. „Unterstützt wurden wir von zwei Mitarbeitern vom Fachdienst Umwelt der Kreisverwaltung Waldeck-Frankenberg. „Die Fachleute verfolgen die Entwicklung am See aufmerksam.“ Darüber ist Lehmann sehr froh, wie er sagt. Für mehr als 1000 Tiere kam die Hilfsaktion allerdings zu spät. Sie sind bereits auf dem Trockenen verendet.

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Die Uferlinie ist stellenweise um etwa 100 Meter zurückgegangen – zu viel für viele Muscheln mit ihrer eingeschränkten Beweglichkeit, moniert der Naturschutzbund. Er fordert deshalb, nur noch so viel Wasser abzulassen, wie aktuell zuläuft, so wie es auch ohne Talsperre der natürliche Zustand wäre. Gleichzeitig bliebe der Pegel konstant. „Nur so kann ein Muschelsterben des Hauptvorkommens im Schlamm der Talsohle verhindert werden“, sagt der Korbacher Nabu-Vorsitzende Dr. Peter Koswig.

Bedeutung der Teichmuschel

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Bisher werde die Bedeutung der Teichmuscheln für die Wassergüte der Talsperre und somit auch der Diemel zu wenig berücksichtigt. „Jede einzelne Muschel entspricht einem kleinen Klärwerk ohne große Investition“, sagt Dr. Koswig. Das große Muschelvorkommen im See unterstützte somit kostenlos die Anstrengungen der Gemeinde Diemelsee, die Attraktivität des Sees für den Tourismus zu steigern.

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Es dürfe nicht sein, dass beim Wasserstraßenamt die Priorität herrsche, „so viel Wasser abzulassen, nur um Abwassereinleitungen im weiteren Diemelverlauf zu verdünnen“, sagt Dr. Koswig. Er fordert, Abwässer so gut zu klären, dass sie auch ohne Verdünnung die Bachlebewesen nicht schädigen.“

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Nach Ansicht des Naturschutzbundes gibt es zukünftig immer häufiger Trockenphasen mit geringem Seezulauf. „Deshalb sollte die Chance zum Waldumbau ergriffen werden. Nadelholz in Laubmischwälder umzubauen, unter denen die Grundwasserneubildung deutlich höher ist“, sagt Koswig. „Auch Wasserentnahmen im Oberlauf sollten kritisch hinterfragt werden.“

Kritischer Wasserpegel

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„Der Wasserstand an der Diemeltalsperre hat einen kritischen Stand erreicht“, urteilt Wolfgang Lehmann. Derzeit liegt der Pegel noch etwa eineinhalb Meter über dem Tiefstand 2018. Ein Ortstermin mit allen betroffenen Behörden habe wegen Corona nicht stattfinden können, aber er sei schon vor zwei Wochen mit einem Mitarbeiter der Unteren Wasserbehörde vor Ort gewesen. Muscheln am Steilufer seien da bereits trocken gefallen und verendet, berichtet Lehmann. Die Bestände dort hätten sich seit 2018 nicht wieder erholt.

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Das Hauptvorkommen mit etwa 100.000 Tieren liege in der Talsohle. Da seien schon erste Schlammflächen trocken gefallen. „Dort hat das Muschelsterben eingesetzt.“ Spuren zeigten, dass manche Tiere zurück ins Wasser gekrochen seien, andere seien verendet. Falle der Pegel langsam, habe ein Teil der Tiere die Chance zu überleben.

Leichter Hoffnungsschimmer

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Wolfgang Lehmann sieht einen leichten Hoffnungsschimmer für das langfristige Überleben der Muschelbänke im Diemelsee nur dann, wenn „alle Beteiligten versuchen zu einer Lösung zu kommen“. Und das würde sich abzeichnen. So hat das Amt in Hann. Münden ein aktualisiertes Schichtmodell entwickelt. Es soll helfen, verbindliche Absprachen für ein Ampelsystem zu treffen, das zeige, bei welchen Wasserständen der Abfluss um wie viel Kubikmeter verringert werden soll. Ziel: einen kritischen Zustand des Sees im Vorhinein zu verhindern. Der Fachdienst Umwelt ist dabei, ein Artgutachten zu erarbeiten, als Grundlage für weiteres Vorgehen.

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Was noch helfen würde? Lehmann: „Es müsste endlich regnen.“ Wenn nicht, ist eine zweite Rettungsaktion geplant. Lehmann: „Das kann aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.“