Diemelsee. Muscheln im Diemelsee? Normalerweise sieht man die Weichtiere gar nicht. Aber aufgrund des geringen Wasserpegels stirbt dort eine ganze Kolonie.

Muscheln im Diemelsee? Gibt es die nicht nur im Meer? Im ersten Moment erntet Norbert Biederbeck aus Bontkirchen ungläubige Blicke. Aber als er die Bilder auf seiner Digitalkamera in der Redaktion zeigt, gibt es keinen Zweifel mehr. Am Diemelsee spielt sich zurzeit ein trauriges Naturschauspiel ab. Aufgrund der anhaltenden Trockenheit stirbt eine ganze Kolonie der sogenannten Gemeinen Teichmuschel ab.

Das Problem

Sein Sohn Lars hat sie vor zwei Jahren schon mal gesehen, Norbert Biederbeck in diesem Jahr zum ersten Mal. „Man kann in dem seichten Wasser ganz deutlich erkennen, wie sie sich durch den Schlamm wühlen. es sind tausende“, sagt er. Und in der Tat versuchen die Tiere in Anbetracht der Trockenheit und des niedrigen Wasserpegels noch ins rettende Feucht zu kommen.

In der Muschelkolonie am Ufer des weit geleerten Diemelsees: Links Norbert Biederbeck aus Bontkirchen, neben ihm der NABU-Fachmann Wolfgang Lehmann aus Korbach. Sie fanden zahlreiche verendete Tiere, von vielen blieb nur die Schale übrig.          Foto: Schilling
In der Muschelkolonie am Ufer des weit geleerten Diemelsees: Links Norbert Biederbeck aus Bontkirchen, neben ihm der NABU-Fachmann Wolfgang Lehmann aus Korbach. Sie fanden zahlreiche verendete Tiere, von vielen blieb nur die Schale übrig.          Foto: Schilling

Die Muscheln haben einen muskulösen Fuß, mit dem sie sich durch den Schlamm ziehen – aber sie sind langsam. Zwei bis drei Tage könnten sie im Trockenen überleben, länger nicht. Ist das Wasser zu weit weg, sterben sie.

Biederbeck hat den Naturschutzbund in Korbach informiert und trifft sich wenige Tage später mit Wolfgang Lehmann vom NABU-Waldeck-Frankenberg auf der hessischen Seite des Gewässers. Und der Experte für Schnecken und Muscheln ist sichtlich beeindruckt.

Einerseits freut ihn die Entdeckung: Dass es die große Teichmuschel hier gebe, sei schon seit Jahren bekannt, berichtet er. Immer wieder seien Schalen gefunden worden. Aber dass es so viele Tiere sind, hatten die Naturfreunde bislang nicht vermutet: „Das Vorkommen ist außergewöhnlich, es ist für unseren Raum einmalig.“ Was ihn gar nicht freut: Schätzungsweise mehr als 1000 Muscheln hätten es nicht mehr bis ins Wasser geschafft und seien gestorben – ein üppiges Festmahl für Wasservögel am See. Viele Schalen sind inzwischen in den Händen von Sammlern gelandet.

Muscheln im Diemelsee
Muscheln im Diemelsee © Norbert Biederbeck

Die Ursache

Als Ursache für das Muschelsterben sieht der Naturfachmann nicht allein die lange Trockenheit: Der Wasserstand sei zuletzt „sehr schnell“ gesunken. Er vermutet: „Durch das massive und stoßweise Ablassen des Wassers in der Talsperre ist es zu einem Artenschutzdrama gekommen.“ Lehmann ist sich sicher: Wäre der Wasserpegel langsamer gefallen, hätte es „wenigstens ein Teil der Muscheln ins rettende Wasser geschafft.“ Der Experte warnt: Bei einem weiteren Rückgang des Wassers ist mit dem Verlust der gesamten Kolonie zu rechnen.“

Muscheln

Bei der Kolonie am Diemelsee handele es sich um die Gemeine Teichmuschel, lateinisch Anodonta cygnea, berichtet Wolfgang Lehmann. Sie werde auch Schwanenmuschel genannt. Typisch sei der Perlmuttglanz ihrer Schale.

Im Kreis heimisch seien drei Arten: die große Teichmuschel, die Entenmuschel und die abgeplattete Teichmuschel.

Von den drei Arten ist die Gemeine Teichmuschel die größte. Ihre Schale kann in ruhigen Gewässern bis zu 200 mm lang werden. Das Innere der Schale ist stark glänzend.


Die Schwanenmuschel werde je nach Umgebung bis zu 20 Zentmeter groß und könne sieben Jahre alt werden. Die Tiere im Diemelssee seien nur rund zehn Zentimeter groß und hätten dicke Schalen. Sie leben unter Wasser im Schlamm.


Die Teichmuscheln stehen sowohl in Hessen als auch in NRW auf der Liste der Roten Liste und gelten als stark gefährdet.


Im Unterschied zu den Flussmuscheln besitzen die Teichmuscheln an ihrer Schale weder Zähne noch Schlossleiste.



Daher drängt er, wenigstens den jetzigen Wasserstand zu halten. Der Tod vieler Schwanenmuscheln sei nicht nur für den Artenschutz dramatisch, sagt Lehmann: Die Tierchen hätten ihren Anteil daran, dass das Wasser im See so sauber ist: Sie reinigten es, indem sie Schwebstoffe herausfilterten. „Jede Muschel stellt ein kleines Klärwerk dar“, erläutert er. „Bei so einem großen Vorkommen tragen sie ihren Teil zur Reinigung des Wassers bei.“

Der Hintergrund

Das kann Dr. Axel M. Schulte vom Naturschutzzentrum „Biologische Station“ des Hochsauerlandkreises nur bestätigen. Er weiß auch Antwort auf die Frage, wie Muscheln überhaupt in ein Binnengewässer kommen. „Sie verbreiten sich häufig über Wasservögel. Die Larven haften an deren Gefieder und siedeln sich dann an. Aber auch über das Einsetzen von Fischen und dann durch deren Kiemen können Muschel-Larven in Seen gelangen“, sagt der Fachmann. Ohne die Bachforelle könne sich z.B. die Fluss-Perl-Muschel nicht ausbreiten. Die ist aber hier schon nicht mehr ansässig.

Muscheln im Diemelsee.
Muscheln im Diemelsee. © Biederbeck

Dabei waren Muscheln früher auch in heimischen Flüssen zu finden. Zum Beispiel nennt Dr. Schulte die Malermuscheln, deren Schale zum Anrühren von Farben benutzt wurde.

Weil sich die Vögel über die Muscheln hermachen, scheint zumindest das Biomasse-Problem gelöst zu sein. Denn ansonsten wäre auch noch die Gefahr gegeben, dass das Ökosystem des Diemelsees durch das viele abgestorbene Muschelfleisch kippen könnte. Geringer Pegel (also wenig Wasser), viel Biomasse (das Fleisch der abgestorbenen Muscheln), kurze Tage (weniger Licht) und Pflanzen, die sich jahreszeitlich bedingt in der „Zehrungsphase“ befinden (weniger Photosynthese, weniger Stoffwechsel, weniger Sauerstoff) und dann noch die milden Temperaturen könnten dann auch den Fischbestand gefährden.

Wasser- und Schifffahrtsamt weist Kritik zurück

Das Wasserstraßen- und Schiff-Fahrtsamt in Hann. Münden weist Kritik und Vorwürfe zurück. Es steht zudem vor einem Dilemma: Lässt es - wie vom NABU gefordert - wegen der Muscheln mehr Wasser im See, sind Flora und Fauna in der Diemel bedroht. Denn ohne stetigen Zufluss aus der Talsperre droht der Fluss trocken zu fallen. Darauf verweist der Sachbereichsleiter für Gewässerkunde, Timo Freitag.

Derzeit habe die Ökologie in der Diemel für sein Amt den Vorrang – noch vor Zielen wie der Sicherstellung des Schiffsverkehrs. „Wir schützen den Fluss“, betont Freitag. „Wir müssen gucken, dass wie die Wasserversorgung hinbekommen. Den Zufluss ganz abzustellen, halte ich nicht für möglich.“

Alles nach Vorschrift

Das Sterben der Schwanenmuschel im See sei dem Amt noch nicht gemeldet worden. Denkbar sei, dass die Geländebeschaffenheit an der Bucht einen schnelleren Rückgang des Wasserstandes beeinflusst habe. Vielleicht sei der Zufluss in den See auch unterschiedlich gewesen, so dass der Pegel zeitweise schneller sank. Sein Amt halte sich jedenfalls an die Betriebsvorschrift. Es habe in den vergangenen Monaten immer gleichmäßig Wasser abgegeben, versichert Freitag. Die Mindestabgabe liege bei einem Kubikmeter pro Sekunde, wegen der Trockenheit seien es derzeit nur noch 0,8 Kubik.

Nach der Statistik des Amtes ist der Wasserspiegel im See seit Mitte Oktober um etwa drei Meter gesunken. Derzeit ist er nach den Berechnungen des Amtes noch zu 27 Prozent gefüllt, die Füllmenge betrug am Dienstag 5,4 Millionen Kubikmeter Wasser, der Zulauf lag bei 0,3 Kubik pro Sekunde.

Erlaubt sei, den Diemelsee bis auf drei Millionen Kubik abzulassen, erklärt Freitag. Dann sei die kritische Marke erreicht, in dem der See umkippen könnte. Deshalb werde in dem Fall nur noch so viel Wasser abgelassen, wie als Zulauf in den See fließe.

Der Fachdienst Natur- und Landschaftsschutz in der Korbacher Kreisverwaltung will sich mit dem Schifffahrtsamt in Verbindung setzen.

Ganz hellhörig in Sachen Diemelsee-Muscheln wird Klaus Korn aus Sundern. Er ist im HSK ein ausgewiesener „Mollusken-Kenner“. Seiner Ansicht nach sind die Talsperrenbetreiber in der Pflicht, gegen dieses Massensterben etwas zu unternehmen - und zwar schon viel eher. „Wir hatten einen ähnlichen Fall an der Sorpe und haben damals mit einigen Naturschützern die Muscheln in tieferes Gewässer gebracht.“

Muscheln am Diemelsee
Muscheln am Diemelsee

Auch Wolfgang Lehmann mahnt, aus dem Sterben der vorigen Wochen Lehren zu ziehen: „Das darf in den Folgejahren nicht nochmal passieren“, sagt er. Sonst sei das Vorkommen gefährdet. „Jungmuscheln, brauchen Zeit, bis sie zu einer Größe kommen und fortpflanzungsreif werden“, sagt er. „Es dauert Jahre, bis sich der Bestand regenerieren kann.“

Die Lösung

Man müsse gemeinsam zu einer Lösung kommen, betont Lehmann. Die könnte für ihn darin bestehen, mehr Wasser im See zu lassen: Derzeit liege ein „Extremereignis“ vor, nur noch 5,4 Millionen Kubikmeter Wasser habe der See derzeit noch, weniger als fünf Millionen Kubik dürfen es nicht werden. Lehmann wäre es lieber, wenn das Limit bei sechs Millionen Kubik liege. Denn die Muscheln können sich wahrscheinlich nur in eine Wassertiefe von bis zu 20 Metern zurückziehen, dann wird es ihnen zu kalt. „Ich bin seit über 40 Jahren im Naturschutz tätig“, sagt Lehmann. „Ich weiß, es geht nur im gegenseitigen Einvernehmen.“

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