Dortmund/Siegen. Urteil im Prozess um das Siegener Eiscafé „Al teatro“. Warum das Landgericht Dortmund keine Mafia-Aktivitäten der Angeklagten sieht.

Am Ende des acht Monate dauernden Strafprozesses am Landgericht Dortmund ist es keine Überraschung mehr, als der Vorsitzende Richter Dirk Kienitz einen Freispruch erster Klasse für die drei angeklagten Betreiber beziehungsweise Angestellten einer Eisdiele in Siegen verkündet.

In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Düsseldorf war den drei italienischen Staatsbürgern die Mitgliedschaft in einer ausländischen kriminellen Vereinigung (die kalabrische Mafiaorganisation `Ndrangheta) sowie banden- und gewerbsmäßige Geldwäsche vorgeworfen worden. Im Schlussvortrag hatte selbst Staatsanwalt Julius Sterzel wegen der „nicht ausreichenden Beweismittel“ auf Freispruch für die in der `Ndrangheta-Hochburg San Luca aufgewachsenen Männer plädiert.

Dem schloss sich die Staatsschutzkammer des Dortmunder Landgerichts an: „Die `Ndrangheta ist zweifellos eine kriminelle Vereinigung“, sagt Richter Kienitz in der Urteilsbegründung. Aber auch: „Eine individuelle Schuld der drei Angeklagten konnte im Verlauf der Verhandlung nicht nachgewiesen werden.“ Will heißen: Es fehlten die Beweise, dass das Trio, das mehr als 17 Monate lang in Untersuchungshaft saß, im Auftrag der `Ndrangheta an kriminellen Aktivitäten mitgewirkt hat.

Aus Mangel an Beweisen: Staatsanwaltschaft beantragt Freispruch

Schon vor dem Urteilsspruch stehen die Brüder Antonio und Francesco M. (38 und 39 Jahre alt) sowie Antonio G. (26) gut gelaunt auf dem Gerichtsflur. Dass sie mit einem Freispruch das Justizgebäude verlassen würden, war ihnen nach den Schlussvorträgen am vergangenen Donnerstag klar. „In Deutschland gibt es keine Sippenhaft“, betont denn auch Richter Kienitz. Dass die Angeklagten verwandtschaftliche Beziehungen zu in Italien als `Ndrangheta-Mitglieder verurteilte Personen hätten und auch von Angehörigen in Siegen besucht wurden, könne man ihnen strafrechtlich nicht negativ auslegen.

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Die Angeklagten waren im Zuge der größten koordinierten Anti-Mafia-Aktion der europäischen Geschichte – „Operation Eureka“ – Anfang Mai 2023 verhaftet worden. 2700 Polizeikräfte in acht Ländern waren seinerzeit an der Razzia beteiligt. Mehr als 130 Personen wurden verhaftet.

Unter anderem waren die Behörden dem Verdacht nachgegangen, dass illegale Einnahmen aus dem internationalen Kokainhandel durch den Kauf beziehungsweise Betrieb von gastronomischen Einrichtungen – zum Beispiel Restaurants und Eisdielen – gewaschen wurden. Das heißt: Illegal erlangte Vermögenswerte sollen in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf eingebracht worden sein.

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Das Eiscafé „Al teatro“ in der Siegener Innenstadt soll bereits 2019 durch einen Anruf zweier mutmaßlicher Drogenkurierinnen aus NRW bei einem im internationalen Kokainhandel führenden `Ndrangheta-Boss im Zuge einer Autopanne in den Blick der Anti-Mafia-Ermittler gerückt sein. Es wurde neben dem „Angelparadies“ in Breckerfeld zum deutschen Ermittlungsschwerpunkt.

 Ndrangheta Mafia Prozess.
Zwei der Angeklagten am vorletzten Prozesstag, als sich der Freispruch bereits abzeichnete. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Jener Mafia-Boss, so hatte es in der Anklageschrift geheißen, soll in das Siegener Eiscafé 400.000 Euro aus Kokaingeschäften zur Geldwäsche investiert haben. Gleichzeitig soll der Gastro-Betrieb als „strategischer Stützpunkt“ der `Ndrangheta gedient haben, wo unter anderem Nachwuchs-Mafiosi auf höhere Aufgaben vorbereitet worden sein sollen.

„Das konnten wir alles nicht feststellen“, so die klare Aussage des Vorsitzenden Richters in der Urteilsbegründung. Ebenso habe man keine Anhaltspunkte dafür, dass es konspirative Treffen von Mafia-Mitgliedern in der Eisdiele oder in der von den Betreibern angemieteten Mitarbeiter-Wohnung gegeben habe. Woher Geschäftsführer Antonio M. zwischenzeitlich Geld für Investitionen in den Gastro-Betrieb hatte, sei „auch erklärlich“, so Dirk Kienitz: Der Angeklagte habe bei seiner Hochzeit Geldgeschenke erhalten.

Einer der beiden angeklagten Brüder aus San Luca wurde von dem Bochumer Anwalt Reinhard Peters verteidigt. „Die Anklage bewegte sich von Anfang an auf sehr dünnem Eis, stützte sich auf Vermutungen“, sagt der Jurist nach der Urteilsverkündung, „allein der Umstand, dass der eine oder andere mal in der Siegener Eisdiele gesehen wurde, kann doch nicht für eine Anklage, geschweige denn Verurteilung reichen.“

Deutschland zunehmend Rückzugsort für die `Ndrangheta?

Die Ereignisse um die Siegener Eisdiele werden auch in der soeben gestarteten TV-Dokumentation „Jagd auf die Mafia – Die `Ndrangheta in Deutschland“ beleuchtet. Unter anderem schildern Ermittler und ein `Ndrangheta-Aussteiger, dass die Mafia-Organisation zunehmend Deutschland als Rückzugs- und Geldwäscheort entdeckt habe, weil die hiesigen Gesetze entsprechende kriminelle Aktivitäten leicht machten. Am Ende der fünften und letzten Folge ist mit Blick auf den Dortmunder Prozess und das am Montag vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gestartete Verfahren um das Angelparadies in Breckerfeld – eingeblendet: „Die Urteile werden wegweisend für den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität in Deutschland sein.“ Das Dortmunder Urteil dürfte den Weg nicht leichter gemacht haben.