Hagen. 2015 flieht Samia Mantash mit ihren Töchtern aus Syrien. Warum die Kurdin kaum Hoffnung für das Land sieht und nicht an Heimkehr denkt.

Dieses ständige Gefühl von Angst. Samia Mantash kann sich auch fast zehn Jahre später noch genau daran erinnern. „Sie kamen und entführten Menschen, um Geld für sie zu verlangen. Das ist ein Leben voller Angst“, sagt die Kurdin mit weicher Stimme. Die Rede ist von Terrormilizen, die im syrischen al-Hasaka Häuser einnehmen, sie ausrauben oder in die Luft jagen. Samia Mantash und ihre Familie haben es raus aus dieser Hölle geschafft. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren Zwillingstöchtern in Hagen, sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Auch nach dem Sturz des Regimes von Machthaber Baschar al-Assad sieht sie wenig Hoffnung für ihr Heimatland – und kann sich eine Rückkehr nach Syrien nur schwer vorstellen.

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Als die Nachricht von der Flucht Assads nach Russland kommt, ist Samia Mantash gerade beim Sport. Erst danach erfährt sie davon. Ihr Mann sagt zu ihr: „Er ist weg! Er ist endlich weg!“. Diktator Assad ist gestürzt worden. „Das war eine Überraschung für uns am Anfang. Wir haben tagelang nicht geschlafen, wir waren zu vertieft in die Nachrichten, den Fernseher und die sozialen Medien“, erzählt die 43-Jährige. Seit der großen Neuigkeit diskutiert das deutsch-syrische Ehepaar in jeder freien Sekunde über die Lage in ihrem Heimatland. Dabei denken die beiden aber zu keiner Sekunde daran, zurückzukehren.

Schock für Samia Mantash: Israelischer Luftangriff in der Nähe des Familienhauses

Ihr Bruder, ein Kieferchirurg, wohnt noch immer mit ihrer Mutter in der Großstadt Qamischli an der türkischen Grenze. Noch immer ist die Sorge um sie groß. Denn nach wie vor sei es das Ziel der Türkei und islamistischer Milizen, die kurdische Selbstverwaltung im Nordosten zu Fall zu bringen. „Für mich ist das ein Spiel, das Länder wie Amerika und die Türkei betreiben, eine Übergabe“, sagt Mantash. Die große Nationen handeln ihr zufolge aus eigenem Machtinteresse und nicht aus Solidarität gegenüber der Kurden. „Alles wird durch Erdogan geplant, wir sind sein großer Feind. Die Kurden sind eine arme Bevölkerung, die bis heute immer das Opfer von allem sind.“

Ein Junge trägt eine nicht explodierte Panzerfaust am Ort des israelischen Luftangriffs  in Qamischli im kurdischen Nordosten Syriens.
Ein Junge trägt eine nicht explodierte Panzerfaust am Ort des israelischen Luftangriffs in Qamischli im kurdischen Nordosten Syriens. © AFP | DELIL SOULEIMAN

Vor kurzem dann ein großer Schockmoment für ihre Familie in der Heimat: Israelische Truppen bombardieren den Flughafen in Qamischli. Dieser liegt ganz nah am Haus der Mutter, des Bruders und dessen Frau und Kinder. „Als ich davon gehört habe, habe ich in der Nacht direkt meinen Bruder angerufen. Er sagte mir, die Kinder hätten geschrien und geweint. Er kam aus seiner Praxis und sah Menschen rennen. Meine Schwester rief mich an und sagte: ‚Wann wird das ein Ende haben?‘ Das war sehr schlimm“, sagt Samia Mantash.

Neuanfang nach Flucht schwer: Sprache größtes Problem für die Familie

2014 hat sie mit ihrer Familie in al-Hasaka gelebt, da ihr Mann dort gearbeitet hat. Als sich die Lage dort immer weiter zugespitzt hat, ist zunächst ihr Mann geflohen. Das Haus ist verkauft worden, um Menschenschmuggler zu bezahlen. Nach seiner Flucht in die Türkei, dann nach Bulgarien und schließlich mit dem Lastwagen nach Deutschland, folgt der Familiennachzug. Ihre Zwillingstöchter sind damals drei Jahre alt, eine von ihnen hat frühkindlichen Autismus. „Ich wollte vor allem sie hierher in Sicherheit bringen. Ich habe nie an mich, sondern nur an die Zukunft meiner Familie gedacht“, erinnert sich Mantash.

Die Syrerin Samia Mantash am Montag den 16. Dezember 2024 in Hagen. Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services

„Die Hoffnung auf ein freies und gerechtes Syrien ist klein. Eher ist es ein Traum, den ich mit vielen teile.“

Samia Mantash
Deutsch-Syrerin

Sechs Monate später sind auch sie und die Kinder nach Deutschland gekommen. Der Neuanfang in Hagen ist schwer. Die Sprache ist für das Ehepaar die größte Hürde, dazu werden ihre beruflichen Zertifikate nicht anerkannt. „Es gab Momente, in denen ich geweint habe. Ich wusste nicht, was ich machen soll“, sagt Samia Mantash. Sie arbeitet unbezahlt als Erzieherin, absolviert ihre Ausbildung und bringt sich Deutsch bis zum C1-Niveau selbst bei. „Ich bin nachts um 3 Uhr aufgestanden und habe gelernt. Um 8 Uhr bin ich arbeiten gegangen. Darunter habe ich viel gelitten, es war eine sehr schwierige Zeit“, so Mantash. Heute lehrt sie Arabisch in Düsseldorf, wie sie es auch in Syrien 15 Jahre getan hat. Sie, ihr Mann und ihre Kinder sind gut integriert.

Rückkehr nach Syrien „derzeit keine Option“: Ungewissheit vor neuer Regierung

Deutschland sei jetzt ihre Heimat. Doch trotz der neuen Wurzeln hierzulande sei die Lage in Syrien ständig präsent. Eine Rückkehr? Undenkbar. „Das ist für mich derzeit keine Option, da meine Tochter hier die notwendige Unterstützung erhält und meine Familie sich in Deutschland ein neues Leben aufgebaut hat. Ich würde mir sehr wünschen, dass der Rest meiner Familie hierhin kommt. Aber das wird nicht passieren“, erklärt sie. Ihre Mutter wolle bleiben. Der Tradition zufolge kommen ältere Menschen nicht in ein Altenheim, ihr Bruder bleibt also bei ihr.

Die Syrerin Samia Mantash.
Die Deutsch-Syrerin Samia Mantash denkt mit ihrer Familie nicht an eine Rückkehr in ihr Heimatland. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Zwar seien Samia Mantash und ihre Familie glücklich darüber, dass die Diktatur Assads vorbei ist, doch Ungewissheit und Unsicherheit bleibe. Zu gefährlich sei Syrien für ihre Familie. „Jetzt, wo Assad weg ist, wird sein Nachfolger besser? Wird er die anderen respektieren? Werden alle Menschen, die andere Religionen, Ethnien oder Nationalitäten haben, akzeptiert oder nach den Wünschen der Regierung wie Schachfiguren bewegt?“ Diese Fragen stellen sich ihr und vielen anderen kurdischen Syrern. Eine enge Verbindung zu ihrer Heimat werde sie immer haben. Doch ein dauerhaftes Leben dort scheine unrealistisch.

Familie fühlt sich in Deutschland wohl: „Hier bekommen wir Rechte“

Die Sorge, dass jetzt nicht alles besser wird, sei groß. Die Bedrohung durch die Türkei und die Angst einer möglichen Herrschaft durch Islamisten, „das sind Gefühle, die viele Kurden haben“, sagt Samia Mantash. Sie und ihr Mann wollen aus diesen Gründen nicht zurück. Sie beide und auch ihre Kinder fühlen sich in Deutschland wohl. Ihre Kinder haben hier Bildung garantiert. „Hier bekommen wir Rechte, die wir uns nehmen können.“ Das fange bei der Menschenwürde und Gleichberechtigung an. In Syrien gebe es das nicht.

Vorletztes Jahr ist sie nach Qamischli gereist, hat ihre Mutter und das Grab ihres Vaters besucht. „Es ist bewegend und gleichzeitig schmerzlich zu sehen, wie sehr sich meine geliebte Stadt verändert hat. Alles fühlt sich ungewohnt und fremd an“, erinnert sie sich. Alte Bekannte seien längst fort gewesen, die Infrastruktur habe sich verschlechtert, Strom sei knapp gewesen, und die schlecht gesicherte Erdölförderung habe gesundheitliche Probleme verursacht. Hoffnung? Die sei nur schwer zu entwickeln.

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„Die Hoffnung auf ein freies und gerechtes Syrien ist klein. Eher ist es ein Traum, den ich mit vielen teile. Es ist ein Ziel, das uns als Syrer vereint, auch wenn es im Moment wie ein ferner Wunsch erscheint. Gerechtigkeit gibt es in diesem Leben nicht“, betont Mantash. Ihr Wunsch sei eine rechtmäßige, zivil gewählte Regierung, die Sicherheit und Stabilität garantiert. Doch ob Syrien jemals ein Ort wird, an dem individuelle Freiheiten geachtet und kulturelle Identitäten anerkannt werden, bleibt ungewiss.