Wetter. Die Rückkehrdiskussion haben Mahoud Alsaho und seine Frau Nourshan Barkho verfolgt. Für sie gibt es aber keine Alternative zu Deutschland.
37 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, eine feste Anstellung bei einem Steinmetz. Mahmoud Alsaho hat Fuß gefasst in seinem neuen Leben. Vor zehn Jahren ist er aus Syrien nach Deutschland geflohen. Seine Eltern hatten darauf gedrungen. Zu gefährlich sei es, in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land zu bleiben. Wie recht sie haben sollten. Alsahos Vater lebt nicht mehr. Ein Bombe explodierte vor seinem Auto und riss ihn in den Tod.
Mutter und Bruder leben noch im Norden Syriens. Mit ihnen und guten Freunden ist er weiter in Kontakt. Auf die Ereignisse des letzten Wochenendes war er dennoch kein bisschen vorbereitet. Bascar Al-Assad, der brutale Machthaber, ist zur Überraschung der ganzen Welt plötzlich vertrieben. Die Freude war groß: Bei den Unterdrückten in der Heimat, im Kreis der ebenfalls nach Deutschland geflohenen Syrer, auch bei Mahmoud Alsaho und seiner Frau Nourshan Barkho.
Das Land braucht Zeit
Freude ist aber nicht das alles beherrschende Gefühl. Wenigstens genauso stark ist die Furcht. Es ist eine islamistisch getriebene Bewegung, die Assads Regime hinweggefegt hat. Die Türkei und Israel zerren an dem Land. „Wer weiß, was die Zukunft bringt?”, fragt Nourshan Barkho, und glaubt: „Syrien braucht Zeit.” Für das dauerhafte Überwinden einer Schreckensherrschaft, für die Erholung vom zerstörerischen Kampf gegen die eigene Bevölkerung. 20 Jahre setzt sie dafür an, wenigstens.
Diese Unsicherheit will sie keinesfalls eintauschen gegen die Sicherheit, die sie und ihr Mann seit fast einem Jahrzehnt in Deutschland erfahren. Sicherheit für Leib und Leben. Auch ohne Kinder würden die Beiden jetzt also nicht das erste Flugzeug buchen für den Heimflug nach Syrien. Mit den Kindern ist die Entscheidung umso klarer: „Sie sind in Deutschland geboren. Hier liegt ihre Zukunft”, sagt der Familienvater.
Sam (4) fühlt sich wohl im Kindergarten
Im Moment ist er in Elternzeit. Beim ersten Kind war das noch einfacher. Da konnte sich die Mama ausschließlich um den neuen Erdenbürger kümmern. Jetzt ist da nicht nur Sama mit ihren vier Monaten sondern auch Sam mit den Ansprüchen eines Vierjährigen. Mahmoud Alsaho bringt ihn zum Kindergarten „Tausendfüßler” im Schöntal und freut sich, wie sein Sohn dort hineinwächst in eine Gemeinschaft, die auch eine Sprachgemeinschaft ist. In der Kita lernt Sam Deutsch, daheim hat auch Arabisch einen Platz.
In zwei Sprachen finden sich auch die Texteinblendungen in Video-Sequenzen auf dem Handy von Mahmoud al Alsaho. Auf Seiten in arabisch informiert er sich, und auch auf deutschen Plattformen. Ein Schnippsel zeigt einen Beitrag über die gleich nach dem Sturz Assads aufgekommene Heimkehrdebatte. „Sofort wieder alle nach Syrien?”, fragt eine Texteinblendung. Nourshan Barkho spricht von der Angst, die solche Bilder zunächst bei ihr ausgelöst haben. Mittlerweile ist sie gelassener. Sie haben sich nichts zu schulden kommen lassen. Warum sollten sie dann vertrieben werden?
Fast 1000 Syrer in Wetter und Herdecke
In Herdecke sind aktuell 483 Personen gemeldet mit der Staatsangehörigkeit Syrien. Die Stadtverwaltung kann allerdings nicht genau sagen, wie viele Personen davon Flüchtlinge sind.
Hintergrund ist, dass syrische Flüchtlinge zwar teilweise zu Beginn Leistungen vom Sozialamt erhalten, sich jedoch der Aufenthaltsstatus nach einer Zeit ändert und sie dann zum Jobcenter wechseln und von dort Leistungen beziehen.
In Wetter sind nach Angaben der Stadt aktuell 481 Syrerinnen und Syrer gemeldet.
Also bleibt es weiter beim Traum einer Eigentumswohnung und von einem beruflichen Einstieg auch bei ihr. Bei Mahmoud Alsaho war das verhältnismäßig leicht. Sein Vater war Fliesenleger und hat dem Sohn handwerkliches Geschick mit auf den Weg gegeben, bevor dieser ein Sportstudium begann. Nourshan Barkho war mitten im Psychologie-Studium, als der Krieg Assads gegen die eigenen Leute aufflammte und auch sie nach Deutschland floh. Jetzt wartet sie darauf, dass Sama in die Krippe gebracht werden kann und sie selbst erst mal ihre Deutschkenntnisse verbessert, bevor sie ihr Studium vielleicht wieder aufnimmt.
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Bis Februar ist der Papa noch zuhause und kann Anteil nehmen an der Entwicklung der Jüngsten wie seines „Großen”. Der würde am liebsten auch am Wochenende mit seinen Freunden Omar und Bar oder seinen Freundinnen Lor oder Maja in der Kita spielen. Er freut sich allerdings auch auf das Ersatzprogramm: Sonntag soll’s auf den Weihnachtsmarkt in Dortmund gehen. Und den Weihnachtsmarkt in Hagen, sagt der Vater, kenne Sam schon so gut, „dass er sich allein zwischen den Buden und Karussells zurechtfinden würde.”