Iserlohn/Lippstadt/Düsseldorf. Drei Jugendliche aus Iserlohn, Lippstadt und Düsseldorf stehen ab Freitag (13. Dezember) vor Gericht. Planten Sie IS-Terroranschläge?
Während andere Jugendliche in seinem Alter auf einem Bolzplatz kicken oder mit Freunden Playstation spielen, sitzt ein 15 Jahre alter Teenager aus Lippstadt seit fast achteinhalb Monaten in der Justizvollzugsanstalt Heinsberg in Untersuchungshaft. Die Einrichtung im westlichsten Kreis Deutschlands ist eine von fünf Anstalten des Jugendvollzugs in Nordrhein-Westfalen und liegt 230 Kilometer von der Heimat des 15-Jährigen entfernt.
Oder mindestens zweieinhalb Stunden mit dem Auto, wie sein Anwalt Benedikt Bilstein im Gespräch mit der WESTFALENPOST betont: „Die große Entfernung macht die Kontaktpflege der Eltern zu ihrem Sohn nicht einfacher“, sagt der Jurist aus Lippstadt. Und: „Die vielen Monate in Untersuchungshaft haben natürlich auch Einfluss auf die Entwicklung des Jugendlichen.“
- Sauerland-Gruppe & Selbstmordattentäter: Die Spur des IS
- Jugendliche aus NRW recherchierten über Anschlag mit Bomben
- IS: Warum der Anteil weiblicher Sympathisanten stark zunimmt
- Teenager unter Terrorverdacht - Verbindungen in die Schweiz
Es sind schwerwiegende Vorwürfe, die eine derart lange Untersuchungshaft für einen Heranwachsenden aus Behördensicht rechtfertigen: Wollte der junge Mann aus dem Kreis Soest zusammen mit drei weiteren Jugendlichen in christliche Kirchen eindringen, „eine möglichst große Anzahl von arg- und wehrlosen Personen“ erschießen oder erstechen und anschließend die Gotteshäuser mit Molotowcocktails in Brand setzen?
Verfahren gegen 16-Jährigen abgetrennt
Das jedenfalls wirft die Zentralstelle Terrorismusverfolgung NRW bei der Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf in ihrer Anklageschrift dem 15-Jährigen aus Lippstadt, einer 17-Jährigen aus Iserlohn und einer 16-Jährigen aus Düsseldorf vor. Das Verfahren gegen einen 16-Jährigen aus Ostfildern im baden-württembergischen Landkreis Esslingen wurde abgetrennt.
Die drei Jugendlichen aus NRW – alle besitzen einen deutschen Pass – befinden sich seit ihrer Festnahme an den Ostertagen in Untersuchungshaft. Sie müssen sich ab dem 13. Dezember wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, sprich: ein islamistisch motivierter Terroranschlag, vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf verantworten. Wegen des jugendlichen Alters der Angeklagten findet das Strafverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Angesetzt sind zunächst zwölf Verhandlungstage bis zum 13. März 2025.
Anwalt: „Mandant hat sich umfangreich zu den Vorwürfen eingelassen“
Hat sein Mandant zusammen mit den anderen Jugendlichen einen islamistischen Terroranschlag an einem Sonntag im diesjährigen muslimischen Fastenmonat Ramadan vorbereiten wollen, so wie es in der im Oktober bei Gericht eingegangenen Anklageschrift heißt? Anwalt Bilstein will sich vor dem Prozessstart dazu nicht äußern. Nur so viel: Der Jugendliche aus Lippstadt habe sich bereits am 2. Mai in seiner Vernehmung durch den Staatsschutz „umfangreich zu den Vorwürfen eingelassen“. Der Anwalt der 17-Jährigen aus Iserlohn wollte sich im Gespräch mit der WESTFALENPOST nicht zu dem Fall äußern.
Dem Landgericht Düsseldorf zufolge sollen die drei Angeklagten Propagandamaterial der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) konsumiert haben und zusammen mit dem Jugendlichen aus dem Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Stuttgart „im Sinne der Ideologie des IS“ übereingekommen sein, Terroranschläge zu verüben. Als Attentatsziele sollen Bahnhöfe, Gerichtssäle oder Polizeiwachen in Dortmund, Düsseldorf, Köln, Stuttgart und Iserlohn im Gespräch gewesen sein.
Anklage: Anschläge auf Kirchen geplant
Letztendlich, so die Anklage, seien die Jugendlichen dazu entschlossen gewesen, Anschläge auf Kirchen zu verüben. Dazu habe man sich „Anleitungen zur Herstellung von Molotowcocktails und anderen Sprengvorrichtungen“ beschafft.
Mutmaßlich wurden diese Anleitungen im Internet gesucht und gefunden. Die drei Jugendlichen lernten sich offenbar im weltweiten Netz kennen und tauschten sich dort aus. „Mein Mandant ist den weiteren beiden Angeklagten zu keinem Zeitpunkt persönlich begegnet“, sagt Anwalt Bilstein. Und ergänzt: „Der Kontakt lief ausschließlich über die Online-Welt beziehungsweise soziale Medien.“
Staatsschutz Hagen involviert
Eine Sprecherin des Landgerichts Düsseldorf bestätigte gegenüber der WESTFALENPOST, dass die Ermittlungen gegen die Teenager durch Polizeiarbeit in Hagen ins Rollen gekommen waren. Demnach war der dortige Staatsschutz Hinweisen nachgegangen, dass die heute 17-Jährige aus Iserlohn Ausreisepläne in den Mittleren Osten hege, um sich der Terrormiliz Islamischer Staat als Kämpferin anzuschließen. Darüber habe sie sich mit der ebenfalls angeklagten 16-Jährigen aus Düsseldorf ausgetauscht.
Ermittler der Hagener Polizei, so die Landgerichtssprecherin, hätten den Wohnort der Jugendlichen aufgesucht und ihr Handy sichergestellt. Bei der Auswertung sollen die eingerichtete Ermittlungskommission Hybris und das Bundesamt für Verfassungsschutz auch auf Chats im Messenger-App Telegram gestoßen sein, auf dem sich die beiden jungen Frauen im vergangenen März mit dem 15-Jährigen aus Lippstadt und einem 16-Jährigen aus Ostfildern im baden-württembergischen Landkreis Esslingen über Anschlagspläne ausgetauscht haben sollen.
Auf bei den Jugendlichen sichergestellten Speicherkarten sollen sich entsprechende Hinweise in der Chat-Gruppe befunden haben. „Allerdings kein konkreter Anschlagsplan mit Zeit und Ort“, so die Landgerichtssprecherin.
Jugendlicher aus Baden-Württemberg angeklagt
Das Verfahren wegen Terrorverdachts gegen den Jugendlichen aus Ostfildern war bereits frühzeitig abgetrennt worden. Im Herbst hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen ihn Anklage wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (islamistischer Terroranschlag) erhoben. Konkret wird ihm die geplante Beteiligung an Mord und Brandstiftung mit Todesfolge vorgeworfen.
Ebenfalls in den Fall involviert sind Sicherheitsbehörden in der Schweiz. Fast zeitgleich mit den Festnahmen der vier deutschen Jugendlichen an den Ostertagen nahmen die Schweizer Behörden zwei Jugendliche aus dem Kanton Schaffhausen und einen 18-Jährigen aus dem Kanton Thurgau in Gewahrsam. Geprüft wird seitdem, inwieweit sich die Schweizer mit den jugendlichen IS-Sympathisanten in Deutschland vernetzt hatten.
Innenminister Reul fassungslos
Hier wie dort schlug die Nachricht von der Vereitelung eines mutmaßlichen Terroranschlags Jugendlicher hohe Wellen. Der Fall mache ihn sprachlos, sagte beispielsweise NRW-Innenminister Herbert Reul. Der CDU-Politiker zeigte sich entsetzt, erneut über radikalisierte Kinder und Jugendliche berichten zu müssen, die Terroranschläge für den IS verüben wollten. Reul ging davon aus, dass sich die jungen Leute über das Internet radikalisiert hätten. Sicherheitskreise warnen seit geraumer Zeit vor IS-Influencern, die in Kanälen wie Tiktok und Youtube die Ideologie der Terrororganisation gezielt an Jugendliche verbreiteten.
Der Sicherheitsexperte Peter Neumann vom King’s College London sagte unlängst, dass etwa zwei Drittel der Terrorverdächtigen, die in den vergangenen zehn Monaten verhaftet wurden, Teenager unter 19 Jahren gewesen seien. Neumann wörtlich: „Das war vor zehn Jahren etwas, da hat man sich gewundert. Heute ist es die Regel.“
Weitere Themen aus der Region:
- Übernahme der Eurobahn? Sauerland mit „Faust in der Tasche“
- Skispringen in Willingen: Dieser Mann ist der Rekord-Fan
- KI im Schulunterricht: Werden Kinder das Lernen verlernen?
- CDU-Chef Merz in Menden: „Keine Zusammenarbeit mit der AfD“
- So wird das Sauerland zu Deutschlands Dinosaurier-Schatzkammer
- Elfjährige Mutter: Eine Aussage, zwei Meinungen
- A-45-Brücke in Lüdenscheid: Zusammenschluss schon im Februar
- Sauerländerin muss Licht meiden: Warum sie vor Gericht zog
- Anwältin der elfjährigen Mutter: „Der Druck auf das Mädchen ist enorm“
- Nadelöhr Westhofener Kreuz: Was ist da eigentlich los?