Hagen/Iserlohn/Düsseldorf. Jugendliche aus Iserlohn, Lippstadt und Düsseldorf sollen islamistische Terroranschläge geplant haben - offenbar gibt es eine Verbindung in die Schweiz.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich am Freitag bestürzt gezeigt über die Festnahme von vier terrorverdächtigen Teenagern. Es mache ihn sprachlos, die Öffentlichkeit erneut über zwei Jungen und zwei Mädchen im Alter von 15 und 16 Jahren informieren zu müssen, die sich offenbar der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) anschließen wollten und Anschlagspläne verfolgten.

Konkret geht es um eine 16-jährige Deutsche aus Iserlohn, eine 15-jährige Deutsch-Marokkanerin aus Düsseldorf, einen 15-Jährigen aus Lippstadt und einen 16-Jährigen aus Ostfildern in Baden-Württemberg, die sich in Handy-Chats über islamistische Anschläge ausgetauscht haben sollen. Es seien Terrorziele in Dortmund, Düsseldorf und Köln diskutiert worden. Reul nannte auch noch Hagen und Iserlohn als Städte, die zunächst im Visier gewesen seien. Es sei wohl auch um Kirchen und Synagogen gegangen.

Ausgangspunkt der Ermittlungen war der Staatsschutz in Hagen

Entdeckt wurde die Gruppe durch den Staatsschutz der Polizei Hagen, der gegen die bereits behördenintern bekannte 16-jährige Deutsche aus Iserlohn ermittelt hatte. Das Mädchen beabsichtigte augenscheinlich, sich im Ausland der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) anzuschließen. Sie stand dazu mit der 15-jährigen Deutsch-Marokkanerin aus Düsseldorf im Kontakt, deren Vater bereits wegen Terrorismusfinanzierung im Fokus der Sicherheitsbehörden gestanden haben soll. Bei einer Wohnungsdurchsuchung sollen eine Machete und ein Dolch gefunden worden sein. Unbestätigten Angaben zufolge sollen auch Attentate mit Molotow-Cocktails auf Sportvereine erwogen worden sein.

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Bei der Auswertung von Handys stießen die Ermittler auf einen weiteren Chat mit dem 15-Jährigen aus Lippstadt und dem 16-Jährigen aus Ostfildern. Der Junge aus Lippstadt soll die treibende Kraft der sich konkretisierenden Anschlagspläne gewesen sein. Reul lobte das Tempo der Ermittlungen, die über die Ostertage in die entscheidende Phase gegangen waren und in Kooperation der Polizeibehörden Hagen und Düsseldorf sowie des Landeskriminalamtes abliefen: „Von der ersten Erkenntnis bis zur letzten Festnahme sind nur fünf Tage vergangen.“

Festnahme von vier Teenagern wegen Anschlagsplänen: Verbindungen in die Schweiz

Offenbar gibt es im Fall der vier Jugendlichen auch eine Spur in die Schweiz. Die Schweizer Bundesanwaltschaft erklärte am Samstag, es gebe „Verbindungen“ zwischen den Ermittlungen in Deutschland und den Ermittlungen gegen drei Jugendliche in der Schweiz, die bereits seit Ostern in U-Haft sitzen. Die Bundesanwaltschaft stehe daher „mit den zuständigen deutschen Behörden in Kontakt“.

In der Schweiz waren am Osterwochenende drei Jugendliche wegen mutmaßlicher dschihadistischer Anschlagspläne festgenommen worden. Die zwei Schweizer im Alter von 15 und 18 Jahren sowie ein 16-jähriger Italiener sollen nach Angaben der Schweizer Bundesstaatsanwaltschaft Sprengstoffattentate geplant haben.

Die beiden Minderjährigen waren den Angaben zufolge im Nordschweizer Kanton Schaffhausen aufgegriffen worden, der 18-Jährige im benachbarten Kanton Thurgau. Alle drei standen demnach in Kontakt zueinander. Sie würden strafbarer „Vorbereitungshandlungen zu vorsätzlicher Tötung“ und der „Unterstützung beziehungsweise Beteiligung an einer terroristischen Organisation“ verdächtigt, erklärte die Bundesanwaltschaft.

Bereits Ende des vergangenen Jahres war NRW nur knapp einem Anschlag durch einen Jugendlichen entgangen. Die Polizei hatte damals einen 15-jährigen Deutsch-Afghanen in Burscheid im Rheinisch-Bergischen Kreis festgenommen, der für den 1. Dezember einen Terrorakt auf dem Leverkusener Weihnachtsmarkt geplant haben soll. Der Jugendliche war einem ausländischen Nachrichtendienst wegen seiner Kommunikation in einem Telegram-Kanal aufgefallen.

Sie haben eines gemeinsam: Sie haben sich sicherlich durch extremistische Propaganda radikalisieren lassen.
Herbert Reul - CDU, NRW-Innenminister

Diesmal benötigte die Polizei in NRW keinen Tipp von befreundeten Diensten, da sie das Mädchen aus Iserlohn ohnehin auf dem Radar hatte. „Auf der einen Seite bin ich froh, dass es gelungen ist, schnell und zielgerichtet die Anschlagspläne zu durchkreuzen. Was mir allerdings zu schaffen macht: Ich muss wieder über junge Täter sprechen, über Kinder und Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren. Sie haben eines gemeinsam: Sie haben sich sicherlich durch extremistische Propaganda radikalisieren lassen“, sagte Reul. Er sprach von einer riesigen „gesamtgesellschaftlichen Herausforderung“, Kinder vor extremistischer Beeinflussung durch die Sozialen Medien zu bewahren. „Es ist nicht Aufgabe der Polizei allein.“

Dass sich auch junge Mädchen radikalisieren und Anschlagspläne verfolgen, sei leider kein ganz neues Phänomen, hieß es am Freitag aus NRW-Ermittlerkreisen. Spätestens seit 2016 habe man immer auch ein solches Szenario auf dem Schirm. Damals hatte eine 15-Jährige bei einer Personenkontrolle im Hauptbahnhof Hannover versucht, einen Beamten der Bundespolizei zu töten. Mit der Tat wollte das Mädchen, das sich in Chats islamistisch aufgeladen hatte, den IS unterstützen. Der Fall hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt.

Aus Ermittlerkreisen wurde am Freitag bestätigt, dass auch im aktuellen Fall um das jugendliche Terror-Quartett die Verabredungen sehr konkret gewesen seien und dass hier tatsächlich Planungen im Raum gestanden hätten, bei denen sehr konkret Menschen getötet werden sollten. Wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, wenn es nur um eher allgemeine islamistische Parolen gegangen wäre, so ist zu hören, dann wäre dies ein Fall für das Jugendamt gewesen. So aber hat der Rechtsstaat seine wirklich scharfen Instrumente genutzt: die Festnahme und Untersuchungshaft.

Entsetzen im Innenausschuss des Landtags

Im Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags herrschte am Freitag Entsetzen. Julia Höller, innenpolitische Sprecherin der Grünen, sagte: „Es ist erschreckend, dass erneut Jugendliche aus Nordrhein-Westfalen offenbar islamistische Anschlagspläne hatten. Die Gefahr durch den gewaltbereiten Salafismus ist weiterhin hoch.“ Die gewaltbereite salafistische Szene sei digital stark vernetzt und versuche gezielt, junge Menschen anzuwerben, damit sie Gewalttaten ausführten. „Es ist wichtig, dass die Sicherheitsbehörden sehr wachsam sind und konsequent einschreiten, wie es in diesem Fall geschehen ist.“

Wichtig, so Julia Höller, sei auch, dass Angehörige von Jugendlichen, die sich islamistischen Ideologien und Netzwerken zuwenden, aufmerksam seien und sich Unterstützung holten: „In NRW gibt es mit ‚Wegweiser‘ flächendeckend ein wichtiges Präventionsprogramm, das junge Menschen vor dem Einstieg in islamistische Strukturen bewahren will und Hilfen für das Umfeld anbietet.“

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat entsetzt auf die mutmaßlichen Terrorpläne der vier Jugendlichen reagiert. „Erneut sehen wir die hohe islamistische Bedrohungslage – und erneut haben unsere Sicherheitsbehörden ihre hohe Wachsamkeit gezeigt und frühzeitig eingegriffen“, sagte sie der „Rheinischen Post“. Die islamistische Szene stehe im Fokus des Bundeskriminalamts, des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Sicherheitsbehörden der Länder, sagte die SPD-Politikerin. Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin werde das Vorgehen koordiniert. „Dies ist auch in diesem Fall geschehen, um die Terrorverdächtigen schnell zu identifizieren“, so Faeser.

Polizeigewerkschaft besorgt junger Terrorverdächtiger

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hat den Fall der vier jugendlichen Terrorverdächtigen als besonders besorgniserregend bezeichnet. Die Tatverdächtigen entsprechen nicht dem vorherrschenden Bild von mutmaßlichen Extremisten mit islamistischem Hintergrund, also um die 30 Jahre alt, männlich und möglicherweise kampferprobt, sagte der DPolG-Bundesvorsitzende Rainer Wendt am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Sondern es handele sich um „Jugendliche, die normal unter uns leben und zu uns gehören“.

Wendt betonte, alle in der Gesellschaft sollten sich der Bedrohung bewusst sein, dass Islamisten gezielt im Netz versuchten, junge Leute für ihre Terrorziele zu gewinnen. Und alle sollten entsprechende aufmerksam sein - Eltern, Lehrkräfte, Freunde, Bekannte. „Alles deutet sich irgendwie an.“ So könnten neue merkwürdige Freunde, ein ungewohntes, übertriebenes Vokabular, Verschlossenheit und Rückzug Hinweise sein oder auch Schule-Schwänzen womöglich ein Indiz für eine Wesensveränderung bedeuten. Der DPolG-Vorsitzende sagte, grundsätzlich sei die Polizei in puncto Kompetenz auch in solchen Fällen gut gerüstet. „Aber Polizei und Justiz können es nicht alleine schaffen.“

Anwalt hat 15-Jährigen aus Lippstadt erst einmal gesprochen

Der 15 Jahre alte Beschuldigte aus Lippstadt wird von dem ebenfalls in Lippstädter ansässigen Rechtsanwalt Benedikt Bilstein vertreten. Auf Anfrage der Westfalenpost bestätigte der Jurist, dass er mit dem Jugendlichen aus dem Kreis Soest bislang lediglich am Ostersonntag bei der Verkündung des Haftbefehls im Amtsgericht Düsseldorf gesprochen habe: „Sobald ich die Ermittlungsakte habe, werde ich meinen Mandanten in der Untersuchungshaft besuchen und mit ihm über die ihm gemachten Tatvorwürfe reden“, so Bilstein.

Ob das Fehlen des jungen Lippstädters und der weitere festgenommene Jugendlichen in ihren jeweiligen Schulen schon ein Thema war? Offensiv soll das wohl nicht geschehen. „Das Fehlen der Schüler wird anlassbezogen besprochen“, sagt Christoph Söbbeler, der Sprecher der Bezirksregierung in Arnsberg. „Den betroffenen Schulen steht das Krisenteam der Schulabteilung und gleichermaßen eine Beratung und Unterstützung von Schulpsychologen zur Verfügung. Die betroffenen Schulen erhalten jede Unterstützung, die sie in dieser Situation benötigen. Die entsprechenden Kontakte sind hergestellt.“ (mit afp)

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