Menden. Eine kleine Möbel-Manufaktur in Menden wehrt sich gegen den Negativ-Trend in der Branche. So viel kosten ihre handgefertigten Möbel.
Die Möbelindustrie steckt in der Krise, um knapp zehn Prozent sank zuletzt der Umsatz der Branche. Wer sich dennoch für den Erwerb eines Möbelproduzenten interessiert, der kann – für eine Investition von einem Euro – in Menden im Sauerland fündig werden. Verspricht Thomas Pieper, Chef des ortsansässigen Polstermöbel-Herstellers Lesser. Werbeslogan: Lesser... alles sitzt.
Pieper übernahm 2003 eine der letzten Möbel-Manufakturen in der Region. Nun ist er 60 Jahre alt – und macht sich Gedanken um die Zukunft seines Unternehmens. Auch wegen der allgemeinen Krise der Branche, aber vor allem, weil bisher kein Nachfolger in Sicht ist.
„Ich suche händeringend einen Polsterermeister, der den Betrieb übernimmt. Für einen Euro“, sagt Thomas Pieper und versichert auf Nachfrage, dass er das ernst meine. Der Gesuchte kann auch einer anderen (geeigneten) Profession nachgehen, eine Umschulung wäre ja möglich. „Hauptsache“, sagt Pieper, „wir bleiben weiter auf dem Markt.“
Seit mehr als sechs Jahrzehnten stellt Lesser in Menden Polstermöbel her, handgefertigt, Maßarbeit. Sie sind der Gegenentwurf zu Ikea und Co. Um wirtschaftlich zu überleben, hat sich die kleine Manufaktur aus dem Sauerland eine Nische gesucht. „Wir müssen das machen, was andere nicht machen“, sagt Thomas Pieper.
Wie sie das machen, wird beim Besuch in Menden sichtbar.
Auswahl aus 5000 Stoff-Optionen
Der Weg zum im Sauerland handgefertigten Sofa oder Sessel führt: in eine Sackgasse. Ein Industriegebiet im Südwesten von Menden, hier produzieren und verkaufen sie auf 2200 m² Fläche. Sie leben nicht von Laufkundschaft. Zu abgelegen.
Im Ausstellungsraum reihen sich Kataloge mit Stoffproben aneinander, 5000 Optionen bieten sie an, sagt Thomas Pieper. Sie können hier nicht nur bei Bezügen viele Wünsche erfüllen. Farben, Materialien, Größen. (Fast) Alles geht. Am Vormittag kommt ein älteres Paar in den Laden, Stammkunden. Sie möchten Sessel und Hocker neu beziehen lassen. „Die Hocker in Rot, alles andere in Grün“, sagt der Mann, erzählt, dass sie seit 1995 Kunden seien und seitdem bereits mehrere Aufträge erteilt hätten: „Schön, dass das über Jahre hinweg klappt.“
„Wir müssen das machen, was andere nicht machen.“
In der Produktion nebenan werden derweil Sofagestelle aus Buchenholz bearbeitet, gebrochene Federn erneuert, Bezüge genäht, blaues Rindsleder vermessen und zugeschnitten. Für ein Sofa, einen Zweieinhalbsitzer, brauche man drei Häute, 15 m² Leder. „Wir verarbeiten nur gutes Rindsleder, sehr selten Kunstleder“, sagt Pieper und zeigt auf einen imposanten Stuhl. „Von 1800“, sagt er. Das Exemplar sei ein Erbstück eines lokalen Unternehmers – und erstrahlt nun mit neuem Bezug und in altem Glanz. Andere Kunden haben Stühle mit Bourbonen-Lilien-Muster beziehen lassen, Pieper führt Sofas vor, bei denen sie die Sitzhöhe und -breite angepasst haben. Alles „top Teile“, sagt er.
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Verkaufsschlager kostet knapp 2000 Euro - in der günstigsten Version
Das alles hat seinen Preis. Das Sofamodell „Cosmo“, ihr Verkaufsschlager, ist als Zweisitzer ab 1982 Euro zu haben, mit dem besten Lederbezug klettert der Preis auf 3075 Euro. Der Dreisitzer kostet zwischen 2454 und 3801 Euro. Wer den Funktionssessel „Flip“ erwerben möchte, muss mindestens 1840 Euro (Leder: ab 2589 Euro) zahlen. Aufpreis für die Variante mit Motor zum Verstellen von Rücken- und Fußteil: 585 Euro. Oder der Stuhl „Emilio“ – Kunstgeflecht Amina, Freischwinger, Rundrohr, Edelstahloptik –, der kostet 382 Euro.
Das alles geht auch preiswerter. Die Piepers verweisen aber gerne auf die Qualität ihrer Produkte und deren Langlebigkeit. Einmal „richtig gekauft“, lange genutzt. Sie bereiten alte Möbel auf, schenken ihnen ein zweites oder drittes Leben. „Wer hier kauft, kauft ein Sofa nicht für fünf oder zehn Jahre, sondern der lässt das Sofa nach 15 bis 20 Jahren neu beziehen“, sagt Marietheres Pieper. Auch den Schaumstoff oder die Federn erneuern sie. „Wir sind nachhaltig“, sagt Thomas Pieper. Viele ihrer Kunden seien Stammkunden.
Die Krise der Möbelbranche
NRW, insbesondere Ostwestfalen, gilt als Zentrum der Möbelindustrie. Die Branche klagt allerdings über schwierige Zeiten, hatte für das erste Halbjahr 2024 einen Umsatzrückgang von 9,7 Prozent auf 8,3 Milliarden Euro vermeldet. Für das Gesamtjahr 2024 geht der Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM) von einem Minus von sieben bis neun Prozent aus. Die Hersteller von Polstermöbeln gaben zuletzt einen Halbjahres-Umsatzrückgang von rund 11 Prozent auf 580 Millionen Euro an. Der VDM gibt an, dass es im Juli 2024 in NRW 132 Möbelhersteller (Betriebe mit 50 und mehr Beschäftigten) gab und damit 7,7 Prozent weniger als im Vorjahresmonat.
Für Aufsehen sorgte zuletzt auch die Absage der für Januar 2025 geplanten Internationalen Möbelmesse in Köln. Hauptgrund sei „das schwierige wirtschaftliche Fahrwasser für deutsche Möbelhersteller“ und „die mangelnde Nachfrage nach Möbeln im Inland“, teilte die Messe Köln mit.
„Für mich ist es schlimm, dass die Möbelmesse nicht stattfindet. Wir waren immer da“, sagt Thomas Pieper, Geschäftsführer des Mendener Polstermöbelherstellers Lesser: „Früher war die Möbelmesse Pflicht.“
Lieferungen nach Afghanistan oder Nordkorea
Ein Physiotherapeut betritt den Laden, bringt die ersten zwei Stühle vorbei, zehn weitere sollen folgen. Sie werden mit Kunstleder bezogen, obwohl die Piepers das Material nicht besonders mögen. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Stühle in Praxen, in Kneipen oder in Schützenheimen sollten abwaschbar sein und/oder Desinfektionsmittel vertragen. Das würde ihr ansonsten bevorzugtes Naturleder nicht mitmachen, erklärt Thomas Pieper.
„Wir sind nicht das klassische Möbelhaus, haben keine Laufkundschaft. Der, der hier herkommt, der will was kaufen.“
Sie arbeiten mit einem Gerber, einem Gestellbauer, auch mit einem Schlosser zusammen, haben 15 Sofamodelle im Angebot, geben auf alle Produkte fünf Jahre Garantie. Früher (bis 2012) haben sie Auslandsbotschaften der Bundesrepublik mit Möbeln beliefert, beispielsweise mal 148 Sofas für die Außenstelle des Auswärtigen Amtes in Kabul (Afghanistan). Auch Bagdad (Irak), Pjöngjang (Nordkorea) oder Stockholm finden sich auf der Liste. Inzwischen bestellten die Botschaften aber vor Ort, das sei günstiger, erzählt Thomas Pieper.
Mit dem Portfolio seiner Firma hat er in der krisengeplagten Möbelbranche offenbar eine Nische gefunden. Während er die Lage der Polstermöbelhersteller in Deutschland als „immer kritischer“ einschätzt, bezeichnet er die Auftragslage seines Unternehmens als „gut“. Kleine Einschränkung: „Wir sind auch geschrumpft.“
Größtes Problem: Personalmangel
Als er, gelernter Raumausstattermeister und früher Betriebsleiter bei Lesser, die Manufaktur vor 21 Jahren übernommen habe, hätten sie 17 Mitarbeiter beschäftigt. Zehn seien dann in Rente gegangen, heute hätten sie neun Mitarbeiter in Teil- und Vollzeit. Nach dem Personalabbau hätten sie ihr Angebot reduzieren müssen, könnten nicht mehr so viel produzieren wie früher.
„Wir kriegen kein Personal. Da wird die Luft irgendwann dünn.“
Neben den allgemein schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – etwa gestiegenen Kosten für Energie, Mieten, Versicherungen – machten ihnen auch Schwierigkeiten zu schaffen, Lieferanten zu finden. So hätten sie in den vergangenen drei Jahren dreimal den Schaumstofflieferanten gewechselt, zuletzt bangten sie um ihren Federnlieferanten, der sei aber glücklicherweise gerettet worden. Auch die Krise der Möbelbranche ist ein Thema, beschäftigt Thomas Pieper laut eigener Aussage jedoch nicht vornehmlich. „Mehr Sorgen macht mir die Mitarbeitersituation, wir kriegen kein Personal. Da wird die Luft irgendwann dünn“, sagt der 60-Jährige.
Zwei seiner neun Mitarbeiter seien bereits in Rente, arbeiteten aber weiter. Der jüngste Mitarbeiter sei 45. Der wolle den Betrieb übrigens auch nicht übernehmen. Die beiden Töchter der Piepers ebenso wenig.
Also geht die Suche nach ihrem Ein-Euro-Nachfolger weiter.