Siegen. Matthias Dingeldein studierte an der renommierten RWTH Aachen, nun steuert er im Siegerland Güterzüge. Und ist glücklich dabei.
Dass er mit nur einer kleinen Handbewegung mehrere Hundert Tonnen in Bewegung setzen kann, das sieht man Matthias Dingeldein nicht an. Er ist von schmaler Statur und doch bewegt er meterhohe Stahlrollen, im Fachjargon auch Coils genannt, mit Leichtigkeit. Natürlich nicht von Hand, sein Werkzeug ist orange, über 15 Meter lang, wiegt 88 Tonnen und ist so stark wie 2311 Pferde. Dingeldein ist Lokführer bei der Kreisbahn Siegen-Wittgenstein (KSW).
Wie sehr er seinen Job liebt, merkt man ihm an. Begeistert erklärt er jede Feinheit des Bahnbetriebs, auf der Lok und zwischen den Gleisen ist er in seinem Element. Heute fährt er mit Lok Nummer 46. Sie ist eine der neuesten, versichert Betriebsleiter Kristopher Aurand. „Und doch hat sie so ihre Macken“, schiebt Dingeldein hinterher. Er fährt lieber mit einer anderen Lok. „Die 46 wurde von Menschen konstruiert, die sich offenbar keine Gedanken um die Verwendung gemacht haben“, scherzt Dingeldein. Er meint die Ingenieure hinter der Lok. Ironie an der Sache: Er ist selber Ingenieur für Elektrotechnik. Studiert hat er in Aachen, mit seinem Abschluss als Ingenieur ständen ihm die Türen in jedem großen Unternehmen offen. 25 Semester hat er für sein Diplom an der Universität verbracht. Länger als üblich, ausgelöst durch verschiedenste Umstände.
„Von daher arbeite ich eigentlich gar nicht, die KSW bezahlt mich für mein Hobby.“
Viele Ingenieure wollen Lokführer werden
Doch für ihn war immer klar: Er will Lokführer werden. Schon von Kindesbeinen an wurde er mit dem Bahn-Virus infiziert: „Meine Eltern haben mich schon im Kinderwagen an die Schranke gefahren, zum Züge gucken.“ Der 43-Jährige kommt aus Marsberg und wohnt jetzt in Siegen. Und er ist nicht alleine als Ex-Ingenieur unter Lokführern. Wie die Nachrichtenagentur dpa im September mitteilte, haben sich bei einer jüngsten Anwerbeaktion der Bahn überdurchschnittlich viele Ingenieure und Akademiker als potenzielle Lokführer beworben. Es fehlen im Eisenbahnwesen noch immer viele Lokführer, was gerade im öffentlichen Personennahverkehr zu Verspätungen und Ausfällen führt. Da wirken die 15 Teilnehmenden der jüngsten Umschulungsaktion in NRW wie ein Tropfen auf den heißen Stein.
Warum Dingeldein aber erst lange studiert hat, um dann doch das berufliche Gleis zu wechseln? „Lokführer ist einfach meine Berufung. Von daher arbeite ich eigentlich gar nicht, die KSW bezahlt mich für mein Hobby.“ Dass er als Ingenieur deutlich mehr Geld verdienen könnte, spielt für ihn keine Rolle: Sein Glück bleibt auf dem Rücken der starken Stahlgiganten. Geld sei ihm ziemlich egal. Er lebe ohnehin sehr sparsam: kein Auto, geringe Miete, 49-Euro-Ticket. Trotz Teilzeitbeschäftigung bliebe ihm somit mehr als genug im Monat.
Er tickt wie ein Stellwerk
Seit 2017 fährt er nun für die KSW Güter durch Siegen-Wittgenstein. Eine Umschulung über zehn Monate in Moers ging dem voraus. Er beschreibt die Umschulung so: „Das ist im Grunde eine Schnelleinweisung in die Vorschriften. Doch die haben mit der Realität im Betriebsalltag meist recht wenig zu tun.“ Man könne sich aber gut in der Praxis denken, was die „schlauen Köpfe“ sich mit den Vorgaben gedacht haben. Zudem sei die Umschulung sehr intensiv, wenn man sich noch nicht mit der Bahn auskenne. Doch er kannte sich bereits mit der Bahn aus.
„Der Aufenthalt unter einem fahrenden Zug wird nicht empfohlen.“
Dingeldein ist ein personifiziertes Stellwerk, sagt er über sich selber. „Und damit kommen nicht viele klar.“ Wer sich mit den Bahn-Abläufen nicht auskenne, könne ihn und sein Verhalten nur schwer verstehen. Von seinem Betriebsleiter wird er geschätzt: „Matthias ist ein gründlicher und gewissenhafter Kollege“, stellt der Vorgesetzte ein positives Zeugnis aus. Welchen Humor viele Bahner besitzen, beweist der 43-Jährige bei der Sicherheitsunterweisung für den Reporter: „Der Aufenthalt unter einem fahrenden Zug wird nicht empfohlen“, sagt Dingeldein mit einem verschmitzten Lächeln.
Abbau von Stellwerken ist emotional
Nach der Umschulung hatte er die Wahl zwischen Fahrdienst und einer Tätigkeit in der Leit- und Sicherungstechnik. Letztere kam für ihn aber nicht infrage, das sei ihm zu emotional. Eine Aufgabe der Leit- und Sicherungstechnik sei auch, dass Stellwerke abgebaut und durch moderne computergesteuerte Stellwerke ersetzt werden. Ihm tue es im Herzen weh, die alte Technik abzubauen. Daher fahre er lieber über die Gleise Siegen-Wittgensteins. Er sei bei der KSW beschäftigt, weil diese fast nur auf einer Nebenstrecke unterwegs ist. „Hier bin ich zu Hause“, sagt Dingeldein glücklich. Aus dem Grund habe er auch nicht bei der Deutschen Bahn angeheuert, er wollte lieber auf dem Nebenbahnnetz der KSW fahren. 30 Kilometer ist dieses nach eigenen Angaben lang.
Auch in seiner Freizeit bastelt er gerne an alten Dingen herum, eine alte Bahnhofsuhr stehe derzeit bei ihm zu Hause und warte darauf, wieder in Gang gesetzt zu werden. „Ich finde es wichtig, dass man eine möglichst gute Wertschöpfungskette hat“, begründet er seinen Sinn für Nachhaltigkeit. Er erzählt aus seiner Zeit an der RWTH Aachen. Dort habe er möglichst immer versucht, Dinge zu reparieren und zu erhalten. Ein Beispiel ist ein Bollerwagen der Uni-eigenen Druckerei. Diesen hat Dingeldein mit einer neuen Deichsel versehen. Bei einem Umzug der Druckerei kam die Deichsel dann abhanden. „Heute könnte ich die Deichsel gut in der Werkstatt der KSW gebrauchen. Der Bollerwagen hier hat eine zu kurze Deichsel“, erklärt er.
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