Winterberg/Attendorn. Experten befragen Einwohner im Sauerland nach ihrer Akzeptanz für Urlauber und Tagesgäste. Das sind die ersten Erkenntnisse.

Proteste gegen Massentourismus wie in diesem Sommer auf der Baleareninsel Mallorca hat das Sauerland bislang noch nicht erlebt. Tourismusexperten aus der Region erwarten dies vorerst auch nicht, aber sie wollen vorbeugen. „In Ländern wie Portugal und Spanien spitzt es sich zu. Wir wollen früh genug abfragen“, sagt Dr. Jürgen Fischbach, Chef der Organisation Sauerland Tourismus.

Wie groß die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger im Sauerland für Tourismus wirklich ist, wollen die Experten aus dem Schmallenberger Land dieser Tage ganz genau wissen. Bis Mitte Oktober läuft eine Einwohner-Befragung, zu finden unter „sauerland.com“. Ähnliches habe auch Mecklenburg-Vorpommern gemacht, ebenso die nordfriesischen Inseln Sylt, Föhr und Amrum, erklärt Fischbach.

Dr. Jürgen Fischbach ist Geschäftsführer des Vereins „Sauerland-Tourismus“.

„In Ländern wie Portugal und Spanien spitzt es sich mit dem Tourismus zu. Wir wollen früh genug abfragen.“

Dr. Jürgen Fischbach

Seit Ende August läuft die Befragung von Sauerland Tourismus. Die Resonanz sei überraschend positiv. Die meisten Teilnehmer kamen in den ersten Wochen vor allem von dort, wo der Tourismus im Sauerland boomt: Winterberg, Lennestadt, Schmallenberg und das schon mal als Ballermann des Sauerlands bezeichnete Willingen. „85 Prozent sehen den Tourismus positiv“, zieht Fischbach eine erste Zwischenbilanz.

Wäre aber alles prima, hätten die Fachleute diese Befragung gar nicht erst gestartet. Neuralgisches Thema sei neben der Teuerung in Tourismushochburgen wie Winterberg auch die enorme Verkehrsbelastung. Anwohner im Örtchen Niedersfeld, rund acht Kilometer vor dem größten Wintersportgebiet nördlich der Alpen, könnten ein langes Klagelied dazu anstimmen. Ähnlich, so Fischbach, sei es im Sommer rund um Ziele wie den Biggesee. Die Badestellen an den Sauerland-Seen entfalten dann eine magnetische Wirkung auf Besucher aus NRW und darüber hinaus.

Thorsten Hannig wohnt an der Waldenburger Bucht bei Attendorn. Der 57-jährige Gartenbauunternehmer ist dort geboren, aufgewachsen und hat, bis auf zehn Jahre, sein ganzes Leben dort verbracht. Lange Zeit gab es an der Bucht einen Dauercampingplatz. Dazu kommen an schönen Sommertagen immer schon Tagesgäste aus dem Ruhrgebiet nach Attendorn. Das Problem: Es führt nur eine Straße zur idyllischen Bucht am Biggewasser, und zwar mitten durch die rund 100-Einwohner zählende Siedlung, in der auch Hannig wohnt. Das war schon immer eine gewisse Belastung. „Die Waldenburger Bucht hatte in besseren Sommern schon mehr Besucher als in diesem Jahr. Insgesamt ist alles noch im erträglichen Rahmen“, will Thorsten Hannig bloß nicht übertreiben. Er hat nichts gegen Touristen, habe selbst früher einen Bootsverleih am Biggesee betrieben. „Wir wollen die Bucht ja gar nicht für uns allein haben“, betont der Sauerländer.

Aber alles hat seine zwei Seiten. Vor elf Jahren eröffnete in der Waldenburger Bucht der 90 Meter hohe Skywalk, der seitdem Besucher anlockt. Schön und gut. Jetzt sei man aber an einem kritischen Punkt angekommen. Dem niederländischen Ferienparkbetreiber EuroParcs gehört mittlerweile das frühere Campingplatzgelände. 47 Ferienhäuser hat EuroParcs dort bereits errichten lassen. Die Eröffnung hat sich allerdings verzögert. Das Projekt hat aber noch ganz andere Dimensionen. Insgesamt rund 280 Chalets, dazu weitere 60 Campingmöglichkeiten, Spielplatz, Spielhalle, Supermarkt, Restaurant und ein Fahrradverleih sollen das Angebot nach Informationen der WESTFALENPOST bis 2026/27 komplettieren.

Mit dem EuroParcs-Projekt werde es nun wirklich spannend, fürchtet Hannig die Überlastung: „Irgendwann geht es auf die Nerven und die Gesundheit der Anwohner.“

Eine neue Zufahrtsstraße wäre möglich und könne Abhilfe schaffen, meint der Unternehmer und beklagt, dass die „Waldenburger“ bei der Stadt dafür kein Gehör fänden. Massenproteste wie auf Mallorca sind am Biggesee nicht zu erwarten. Es sind rund einhundert Anwohner direkt betroffen. Und alle, die über die einzige Biggebrücke an der Stelle in drei weitere Ortsteile müssten. Viele Waldenburger wünschten sich einen offenen Dialog, wenn es um den Ausbau des Tourismus vor ihrer Haustür geht.

Eine intelligente Verkehrsführung, das ist nicht nur dem Tourismuschef Fischbach sehr bewusst, spielt für die Akzeptanz von Tourismus im Sauerland eine sehr wichtige Rolle.

An Tagen mit besonders vielen Touristen hilft in Winterberg Security

Am Urlauber-Hotspot Winterberg weiß man dies längst. Ständig werde versucht, das Verkehrsleitsystem zu verbessern. Im Sauerland läuft zudem ein bundesweites Pilotprojekt, um Verkehrsströme in den Wintersportregionen und rund um die Seen im Sommer mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu steuern. Eine App soll Nutzern in Zukunft überfüllte Parkplätze oder auch Ausflugsziele frühzeitig anzeigen.

Aber alles habe Grenzen, erklärt Winterbergs Stadtsprecherin. Wenn rund um den Kahlen Asten die Schneelage gut ist und Kaiserwetter angesagt, dann setze man alle Kräfte des Ordnungsamtes ein, engagiere zusätzlich Securityleute, um Chaos zu vermeiden. Das hatte es in der Corona-Pandemiezeit tatsächlich gegeben. Winterberg und viele andere Ski- und Rodelorte im Sauerland erlebten einen nie dagewesenen und nicht mehr zu bewältigenden Ansturm.

Corona-Pandemie und die absolute Überforderung

„Nicht nur gefühlt war das komplette Ruhrgebiet mitsamt Rheinland bei uns. Dies hat alle Beteiligten, die Stadt, den Kreis, die Polizei und das Land überfordert. Wir haben damals alle Hebel in Bewegung gesetzt, um gemeinsam mit allen Beteiligten die Situation in den Griff zu bekommen. Dazu zählte eine aktive Kommunikation mit den Gästen und Einheimischen, allerdings auch Maßnahmen wie die Sperrung von Bundes- oder Landstraßen oder der Einsatz von Hundertschaften der Bereitschaftspolizei. Es war damals eine enorme Belastung für unsere Einwohner“, erinnert die Winterberg-Sprecherin.

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12.671 Einwohner zählt Winterberg nach Angaben der Stadt. Rund 3,5 Millionen Besucher pro Jahr zieht es in den Tourismusort. 1,2 Millionen Übernachtungen zählt man rund um den Kahlen Asten. Viele Winterberger profitieren vom Tourismus. Rund Dreiviertel der Wertschöpfung fußen darauf. „Es geht für die Stadt Winterberg im Tourismus nicht um ein Schneller, Höher und Weiter“, versichert die Sprecherin. Winterberg hat allerdings ein ähnliches Problem wie die bekannte Insel Sylt. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp und teuer. Im Wintersportort will man gerade gegensteuern.

„Bei uns ist es nicht wie auf Mallorca“, sagt Jürgen Fischbach. Genau dafür, dass es so nie wird, setzt man im Sauerland auf Dialog. Die Einwohnerbefragungen sollen in Zukunft regelmäßig durchgeführt werden.