Attendorn. In Attendorn wurde ein Mädchen von seiner Mutter offenbar jahrelang Zuhause eingesperrt. Die Ermittlungen stehen nun vor dem Abschluss.

Der Fall jährt sich bald zum zweiten Mal: Im September 2022 befreiten Polizei und Jugendamt in Attendorn (Kreis Olpe) ein damals achtjähriges Mädchen aus dem Haus, in dem es mit der Mutter und den Großeltern lebte. Denn: Offenbar lebte es ausschließlich dort. Es ging nicht in den Kindergarten, nicht in die Schule, wohl auch nicht zum Arzt und traf offenbar keine Freunde. Die Mutter, die selber angeblich kaum das Haus verließ, soll das Mädchen mehr oder minder zu Hause eingesperrt haben – fast acht Jahre lang. Offenbar unter Duldung der Großeltern. Zwei Jahre nach dem Einsatz in einem Haus nahe der Attendorner Stadtmitte stehen die Ermittlungen in dem komplizierten Fall vor dem Abschluss.

Ermittlungen wegen Freiheitsberaubung und Misshandlung Schutzbefohlener

Gegen die Mutter sowie die Großeltern des Kindes laufen Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft in Siegen: wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung und Misshandlung von Schutzbefohlenen. Was den Fall so diffizil macht: Alle, die entscheidend zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen könnten, haben wegen verwandtschaftlicher Verhältnisse das Recht, die Aussage zu verweigern. Von diesem machten sowohl die Mutter als auch die Großeltern des Mädchens Gebrauch.

Das Mädchen selbst durfte zu seinem eigenen Schutz nicht von den Ermittlern vernommen werden. Diese mussten sich daher auf Sekundärquellen stützen: Einschätzungen von Ärzten zum Beispiel, die das Mädchen seit der Inobhutnahme im September 2022 behandelt haben. „Was sie uns mitteilen, was sie in den Akten niedergelegt haben, was das Kind ihnen gegenüber geäußert hat, werten wir aus, um zu wissen, was sich in all den Jahren abgespielt hat. Das ist aufwändig, das ist viel Stückwerk“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Siegen, Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss, Ende des vergangenen Jahres.

Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss, Siegen

„Nach vorläufiger Bewertung stehen die Ermittlungen vor dem Abschluss. Die Akten befinden sich zu abschließenden Ermittlungen noch bei der Polizei in Hagen. “

Patrick Baron von Grotthuss

Möglich, dass mangels Beweisen niemals Anklage erhoben wird. Das wäre in diesem Fall, der so öffentlichkeitswirksam war und ist, eine nicht mehr überraschende Schlusswendung. Grotthuss schweigt sich gegenwärtig zu möglichen neuen Entwicklungen in dem Fall aus, sagt nur: „Nach vorläufiger Bewertung stehen die Ermittlungen vor dem Abschluss. Die Akten befinden sich zu abschließenden Ermittlungen noch bei der Polizei in Hagen. Nach Rückkehr werden wir diese der Verteidigung zur Verfügung stellen, der eine Stellungnahmefrist zu gewähren ist. Sofern sich keine neuen Ermittlungsansätze ergeben, entscheiden wir dann nach vorliegender Aktenlage.“

Offen ist also weiterhin, ob die Aktenlage eine Anklage zulässt. Bei der Missachtung der Schulpflicht handelt es sich lediglich um eine Ordnungswidrigkeit. Anzeichen für eine Misshandlung oder Unterernährung lagen direkt nach der Inobhutnahme nicht vor. Der Zustand des Kindes war den Umständen entsprechend gut.  

Immer wieder Hinweise auf eine Kindswohlgefährdung

Im Dezember 2013 kam das Mädchen zur Welt - Mutter und Vater waren zu diesem Zeitpunkt offenbar schon kein Paar mehr. Durch einen fingierten Umzug nach Kalabrien/Italien im Jahr 2015 täuschte die Mutter den Vater des Kindes und die Behörden. Ihr Motiv? Unklar. Immer wieder hatte es über Jahre Hinweise gegeben, dass sich die Mutter mit ihrem Kind im Haus der Großeltern versteckt hält. Stichhaltige Beweise konnten aber nie gefunden werden.

Erst nach einem weiteren Hinweis und Recherchen in Italien verschafften sich die Behörden mit einem familiengerichtlichen Beschluss Zugang zum Haus. Gegen eine mittlerweile pensionierte Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes Olpe laufen noch Ermittlungen wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung und Körperverletzung im Amt durch Unterlassen. Eine Entscheidung in diesem Fall ist erst nach Abschluss der Ermittlungen im Ursprungsverfahren zu erwarten.

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Das Mädchen befindet sich seit der Inobhutnahme in einer Pflegefamilie. Im Dezember 2022 begann das Kind, stundenweise eine Schule zu besuchen. Die Mutter schrieb ihr Briefe zum Geburtstag und zu Weihnachten. Schon damals war seitens des Jugendamts die Rede von möglichen begleiteten Treffen, die es perspektivisch geben könne. Ob sich Mutter und Tochter schon wieder gesehen haben, ob die Mutter das Sorgerecht für ihr Kind beantragt hat, dazu verweigerte das Kreisjugendamt Olpe zuletzt jede Angabe. Das Jugendamt bleibe „bei seiner Haltung, zum Schutz des betroffenen Kindes keine öffentlichkeitswirksamen Auskünfte zu geben“, heißt es in der Antwort auf eine aktuelle schriftliche Anfrage dieser Redaktion. Auch der Rechtsanwalt, der als Ergänzungspfleger die Interessen des Mädchens vertritt, Thomas Trapp aus Finnentrop, beruft sich dieser Redaktion gegenüber auf seine Schweigepflicht.

Anwalt: Eine Mutter, die ihr Kind liebt

Peter Endemann aus Gummersbach ist Anwalt der Mutter. „Es handelt sich um eine normale Frau, die keineswegs in irgendeiner Form psychisch beeinträchtigt ist. Wir haben es hier mit einer Mutter zu tun, die ihr Kind liebt“, sagte er dieser Zeitung im November 2022. Aber auch er gibt sich seit Monaten zugeknöpft. Er bestätigt auf Anfrage, dass Mutter und Kind nach wie vor Kontakt haben – wie genau dieser aussieht, lässt er offen. Von der Beantragung des Sorgerechtes sehe die Mutter derzeit ab, sagt Endemann. Zunächst, so scheint es, sollen die Ermittlungen abgeschlossen sein. Die Ermittlungen, an deren Ende möglicherweise keine Anklage steht.