Hagen. Hunde, Katzen, Kaninchen: Die Tierheime in Südwestfalen sind „voll bis oben hin“. Warum die Situation in Hagen schlimmer ist als im letzten Jahr.

„Wir sind bis oben voll.“ Dr. Andrea Piepenbrink ist stellvertretende Leiterin des Hagener Tierheims und schüttelt den Kopf. „Wenn jetzt noch Tiere kommen, dann müssen wir gucken, wie wir sie noch unterbringen.“ Das städtische Tierheim Hagen ist längst nicht das einzige, das aktuell an seine Grenzen stößt. Die Einrichtungen der gesamten Region stehen vor großen Herausforderungen.

Im Tierheim Siegen herrscht Aufnahmestopp, ebenso können im Tierheim Witten-Wetter-Herdecke zurzeit keine Katzen abgegeben werden. In Meschede drohte kurzzeitig sogar das finanzielle Aus für das Tierheim des Hochsauerlandkreises. Das Tierheim in Brilon könne sich dahingehend „noch ganz gut über Wasser halten“, berichtet Leiterin Carolin Meerpohl. Einen Aufnahmestopp für Katzen gebe es allerdings auch dort fast durchgehend.

Welche Probleme aktuell im Vordergrund stehen und warum sich die Situation in diesem Jahr weiter verschärft hat, erklären die Verantwortlichen des Hagener Tierheims und des Tierschutzvereins „SOS vergessene Tiere“.

Hagen - Tierheime in den Sommerferien
Schwarze Katzen, wie Frieda auf dem Bild, ließen sich besonders schwer vermitteln. Das erklärt Dr. Andrea Piepenbrink aus der Leitung des Hagener Tierheimes. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Aktuelle Situation: Hagener Tierheim an der Grenze

Während die Zahlen der ausgesetzten Tiere in den letzten Jahren in der Ferienzeit anstiegen, sei die Situation mittlerweile das ganze Jahr über angespannt, berichtet Andrea Piepenbrink. Zu den zahlreichen Katzen und Hunden im Tierheim habe sich vor allem die Anzahl der Nager in diesem Jahr deutlich erhöht: „Es gibt relativ viele Kaninchen, die ausgesetzt werden.“

Wenn weitere Tiere dazukommen, werde es schwierig. „Da muss ich gucken, dass ich die woanders unterbringen kann. Wir haben Kooperationen mit anderen Tierheimen, aber die sind natürlich auch häufig voll“, bedauert Piepenbrink. Die Tiere könnten bisher immer noch irgendwo untergebracht werden. „Aber es ist stressig für alle Beteiligten.“

„Voll besetzt heißt nicht unbedingt, dass die Kapazität ausgeschöpft ist.“ Das liege zum Beispiel daran, dass manche Katzen sich nicht mit anderen vertrügen. So gebe es Tiere, die alleine in einem Raum gehalten werden müssten und somit viel mehr Platz benötigten. Kitten dagegen könnten auch zu mehreren gehalten werden.

Hagen - Tierheime in den Sommerferien
Auch dieser Dackel ist gerade im Hagener Tierheim untergebracht. Im Gegensatz zu vielen der anderen Hunden ist er nicht beschlagnahmt. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Problematiken beim Tierheim in Hagen

Ausgesetzte Tiere, Verkauf auf Ebay, sichergestellte Hunde – warum von Jahr zu Jahr mehr Tiere betreut werden müssen, hat unterschiedliche Gründe. „Das sind auch noch Auswirkungen von Corona, als sich viele Leute ein Tier angeschafft haben und jetzt nicht die Zeit dafür aufbringen“, erklärt Piepenbrink. Ein weiterer Grund seien die gestiegenen Tierarztkosten: „Da hat sich die Gebührenordnung erhöht.“

Und was ist mit Ausreißern? „Über 50 Prozent der Fundtiere werden nicht wieder abgeholt“, gibt sie an. Bei diesen werde den Haltern zunächst die Gelegenheit gegeben, ihre Schützlinge abzuholen. Daher dürften zum Beispiel Fund-Hunde nicht sofort vermittelt werden. Damit belegten sie länger die Kapazitäten des Tierheims. Trotzdem findet Piepenbrink die Gesetze ansich sinnvoll: „Aber es wäre schön, wenn da auch an das Wohl der Tiere gedacht werden könnte.“

Tierheime in den Sommerferien - Wie ist es mit der Vermittlung aus dem Ausland mit kaum Kapazitäten. Wie ist die aktuelle Situation. Interview mit der stv, Leitung Dr. Andrea Piepenbrink im Tierheim in Hagen am Freitag den 09.08.2024. Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

„Es macht sich heute kaum jemand Gedanken, was ein Tier wirklich benötigt.“

Dr. Andrea Piepenbrink

„Wir bekommen auch mit, dass Tiere leichter auf Ebay angeschafft werden können. Da werden Hunde als Familienhunde verkauft und dann beißen sie die Oma und müssen natürlich weg.“ Viele Hunde würden auch über Mund-zu-Mund-Propaganda verkauft. „Es ist zu einfach, ein Tier aufzunehmen“, findet Piepenbrink.

Halter, die sich vorher keine ausreichenden Gedanken gemacht haben, stehen alsbald vor großen Herausforderungen. Über das Ordnungsamt, die Feuerwehr oder direkte Anrufe beim Tierheim wird das Team um Andrea Piepenbrink über Tiere in schlechter Haltung informiert. Diese müssen aufgenommen werden. „Derweil können wir Abgabetiere momentan eigentlich gar nicht aufnehmen. Wir verweisen an den Tirschutzverein oder die Tiernothilfe.“

Tierschutzverein „SOS Vergessene Pfoten“: Appell an die Politik

Straßenhunde aus Bosnien rettet der Hagener Verein „SOS vergessene Pfoten“. Nach einer Quarantänezeit kommen diese Tiere nach Deutschland. Ebenso wie im Tierheim sei die Auslastung nun das ganze Jahr über sehr hoch. Allerdings, so die Vorsitzende Daliborka Colic, verfüge ihr Verein über räumliche Möglichkeiten in Bosnien.

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Besuch beim Tierschutzverein „SOS Vergessene Pfoten“ in Hagen: Daliborka Colic (1. Vorsitzende) und Dzenana Ibrisimovic (social media und PR) mit den Hunden Marley (schwarz) und Sissi berichten über die Probleme im Tierschutz. © WP | Antonia Flieder

Colic kennt sich auch mit den deutschen Regelungen und Problemen im Tierschutz gut aus. Dabei ist sie mit den Gesetzen überhaupt nicht zufrieden und adressiert ihre Beschwerde direkt an die Politik: „Sie sollen erst einmal den illegalen Handel, die Hofvermehrer, die Züchtungen und den Rasse- und Welpenhandel in den Griff bekommen.“ Die Züchtung sei nicht reglementiert: „In Deutschland kann jeder im Hinterhof züchten“, ärgert sie sich. Besonders schlimm seien zudem die Parkplatzübergaben und die Verkäufe von Hunden im Hinterhof.

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Zudem würden bei weitem nicht alle Tierschutzvereine und Tierhändler ihre Tiere wieder zurücknehmen, wenn es nach der Vermittlung zu Problemen käme. Das sei in ihrem Verein anders: „Wir bestehen darauf, dass solche Tiere wieder zu uns zurückkommen.“

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Hund Marley entspannt auf der Terrasse vom Tierschutzverein „SOS vergessene Pfoten“ in Hagen. © WP | Antonia Flieder