Neuenrade/Balve. Frank Levermann hat eine alte Aral-Tankstelle originalgetreu und liebevoll nachgebaut. Mit Straßenkarten, Nierentisch und Gummibaum. Eine Zeitreise.
Frank Levermann lächelt, wenn man ihn fragt, ob er ein wenig verrückt sei. „Natürlich“, sagt er dann und ergänzt: „Normal ist das nicht, sonst würden das doch mehr Menschen machen.“ Er habe eine verrückte Idee einfach umgesetzt, schildert er „sein Ding“, als sei es die normalste Sache der Welt, eine Tankstelle aus den 50er-Jahren in einen Garten zu setzen.
Der 54 Jahre alte Metallbaumeister mit eigener Schlosserei in Balve hat auf seinem Privatgrundstück in Neuenrade-Blintrop eine Aral-Tankstelle aus der Nachkriegszeit 1:1 nachgebaut. Nach Original-Bauplänen aus dem Firmen-Archiv. Er ist im 100. Jubiläumsjahr der Marke Aral in sozialen Medien zu einer Art Werbebotschafter des Bochumer Mineralölunternehmens geworden.
Alles super: Mit dem ab 1986 verwendeten Werbespruch von Aral ist der erste Eindruck an Frank Levermanns Retro-Tankstelle treffend beschrieben. Noch ahnt man nicht, welche Schätze sich an den Tanksäulen, im Kassenraum und in der Werkstatt dahinter - mit „Abort“ (Toilette) - verbergen.
Die Zeitreise beginnt bereits in der Blintroper Ortsdurchfahrt. Kommt man aus Richtung Balve und schaut nach rechts, will man zunächst nicht so recht seinen Augen trauen. Eine beleuchtete Tankstelle von anno dazumal mitten in einem Wohngebiet? An Ort und Stelle findet sich das in den 1950er-Jahren typische Vordach („Pilzsäule“), der weithin ins Land sichtbare Schildermast sowie eine Zapfsäule für Super-Kraftstoff („Aral“) und eine für Normalbenzin („Aralin“), dazwischen ein Öl-Kabinett.
Keine Preistafel an der Retro-Tankstelle
Eine Preistafel fehlt. „Die gab es in den 50er-Jahren noch nicht“, erklärt Frank Levermann und setzt noch einen darauf: „Die Spritpreise veränderten sich damals vielerorts über Jahre nicht.“ Will heißen: 65 Pfennig für den Liter Super, 58 Pfennig für Normalbenzin. Bleifrei, wie der Aufkleber an der Säule beschreibt. „Das gab es damals wirklich schon“, begegnet der Nostalgiker im blauen Arbeitskittel und mit der blauen Aral-Kappe auf dem Kopf ungläubigen Blicken: „Bevor die SB-Tankstellen in den 70er-Jahren aufkamen, fand sich der anerkannte Ausbildungsberuf des Tankwarts.“
Apropos Kopf: „Die erste Idee zu diesem Projekt hatte ich vor zehn Jahren“, sagt der Sauerländer und sieht in die leuchtenden Augen seiner Ehefrau: „Was sich mein Mann in den Kopf setzt, das zieht er auch durch“, sagt Martina Levermann (50). Sie, ihr Frank und Sohn Oliver sind sozusagen die Drei von der Tankstelle. So hieß ein Film-Klassiker aus den 30er-Jahren mit Heinz Rühmann, von dem es in den 50er-Jahren ein Remake mit Walter Giller gab.
Eben aus Alt mach Neu: Wie kommt man bloß auf die buchstäblich abgefahrene Idee, sich seine eigene Retro-Tankstelle zu bauen? Er sei seit den 90er-Jahren großer Oldtimer-Fan, erzählt Levermann, „mit all den Begleiterscheinungen“. Zum Beispiel Tankstellen. „In meiner Sammelwut habe ich irgendwann die ersten Aral-Teile in die Hand bekommen. Dann bleibt man dabei.“
- Tankstellen – Wie Aral-Chef Bothe das Unternehmen umbauen will
- Aral, Shell und Co.: Trotz Verbrenner-Aus - So wollen Tankstellen künftig überleben
Es wurden über die Jahre immer mehr, auch dank Fachbörsen, Anzeigen-Portalen im Netz und Schenkungen von Privatpersonen oder ehemaligen Tankstellen-Betreibern. Längst hat sich herumgesprochen, dass es im Sauerland jemanden gibt, der alles sammelt, worauf die vier Buchstaben „Aral“ zu finden sind.
Unzählige Teile sind es schon, wie man auch im Kassenraum sieht, der vorlagengetreu einen dezenten Ölgeruch aufweist und ein einziges Museum ist: Aral-Zeitschriften von damals, Straßenkarten, Tassen, Kartenspiele, Ölkannen, Keilriemen und vieles mehr. Die Retro-Tankstelle werde nie ganz fertig sein, sagt er und schildert Herausforderungen in seinem Lebensprojekt: „Was mir auf jeden Fall noch fehlt, ist eine Langnese-Eistruhe aus den 50er-Jahren.“
Nierentisch und Gummibaum im Kassenraum
Links von der Theke mit Retro-Kasse finden sich die zeittypische Sitzecke mit zwei Sesseln, Nierentisch und Gummibaum sowie ein Kalender von 1957 an der Wand. Selbstverständlich funktionieren das Blaupunkt-Radio, die alten Heizungskörper sowie die Raumbeleuchtung mit Retro-Lichtschaltern. Bitte nicht weitersagen: „Die kann ich übers Handy einschalten“, sagt Frank Levermann und grinst wie „Aralbert“, die einstige Werbefigur, die an der Kasse ihren verdienten Platz gefunden hat.
Der Nachbau einer Tankstelle wäre ohne Original-Baupläne von Aral nicht möglich gewesen. „Das Unternehmensarchiv in Bochum war ausgesprochen kooperativ“, schildert der 54-Jährige und erzählt von seinem Besuch: „Die haben mich mit großen Augen angeschaut, als ich von meinen Plänen erzählte. Sonst kommen nur Anfragen von Modellbaufreunden.“
Zwei Jahre haben die Bauarbeiten gedauert. Tief- und Rohbauarbeiten wurden an Unternehmen vergeben, der Rest von Levermann selbst, der Familie und Freunden erledigt. Was der Spaß am Ende gekostet hat? Das will der Erbauer der Retro-Tankstelle nicht verraten. Allerdings, dass er sich gerne noch nach einem langen Arbeitstag ins Kassenhäuschen setzt: „Zum Herunterkommen.“ Und natürlich zum Kraft tanken.
Weitere Themen aus der Region:
- Übernahme der Eurobahn? Sauerland mit „Faust in der Tasche“
- Skispringen in Willingen: Dieser Mann ist der Rekord-Fan
- KI im Schulunterricht: Werden Kinder das Lernen verlernen?
- CDU-Chef Merz in Menden: „Keine Zusammenarbeit mit der AfD“
- So wird das Sauerland zu Deutschlands Dinosaurier-Schatzkammer
- Elfjährige Mutter: Eine Aussage, zwei Meinungen
- A-45-Brücke in Lüdenscheid: Zusammenschluss schon im Februar
- Sauerländerin muss Licht meiden: Warum sie vor Gericht zog
- Anwältin der elfjährigen Mutter: „Der Druck auf das Mädchen ist enorm“
- Nadelöhr Westhofener Kreuz: Was ist da eigentlich los?
Levermanns 1950er-Jahre-Tanke ist nach seinen Worten in Deutschland einzigartig. „Es gibt noch zwei, drei Tankstellen in Freilichtmuseen“, sagt er, „aber die sind nur umgesetzt und nicht neu gebaut worden.“
Ach ja, aus den Zapfhähnen kommt kein Sprit. Und doch müssen sich wohl auch schon einmal Autofahrer zwecks Tankens in das Wohngebiet verirrt haben. „Nostalgie-Freunde würden erst einmal staunend stehen bleiben“, sagt Martina Levermann, „wenn Autofahrer sofort weiterfahren, weiß man, dass sie etwas ganz anderes wollten.“ Sie schaut ihren Ehemann an, der beim Blick auf seine Tankstelle selig lächelt: „Ist es nicht schön, wenn Träume in Erfüllung gehen?“
Dieser Artikel gehört zu den meistgelesenen unserer Redaktion im Jahr 2024. Erstmals erschienen ist er im Februar 2024. Wir präsentieren Ihnen unter #meistgelesen2024 zur Jahreswende noch einmal eine Auswahl von sehr beliebten Artikeln.