Bochum/Dortmund. Die Bochumer Tankstellenkette Aral steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Aral-Chef Bothe spricht im Interview über seine Pläne.
Wenn sich Chefs großer Unternehmen zu Wort melden, laden sie häufig in eine Konzernzentrale ein. Nicht so Achim Bothe (43), der Vorstandsvorsitzende der Bochumer Aral AG. Er schlägt ein Treffen an einer A40-Tankstelle an der Stadtgrenze zu Dortmund vor. Deutschlands größte Tankstellenkette, die zum britischen Mineralölkonzern BP gehört, muss sich neu erfinden. Benzin und Diesel passen nicht zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Ob die klassische Tankstelle ausstirbt, wenn die Menschen ihre Autos künftig in der eigenen Garage oder auf einem Supermarkt-Parkplatz aufladen können? 100 Jahre wird Aral in diesem Jahr alt. In unserem Interview erläutert Achim Bothe, wie er das Unternehmen in die Zukunft führen will.
Herr Bothe, glauben Sie daran, dass Deutschlands Wirtschaft im Jahr 2045 klimaneutral sein wird, wie es die Bundesregierung anstrebt?
Bothe: Das ist eine spannende Frage. Wir als BP haben uns global als Ziel gesetzt, im Jahr 2050 oder möglichst schon eher unsere Geschäfte klimaneutral zu betreiben.
Das klingt nach einem Widerspruch zu den deutschen Plänen.
Bothe: Wir wollen es nach Möglichkeit früher schaffen als 2050. Es gibt also keinen Widerspruch zu den Zielen in Deutschland. Aber klar ist: Es sind enorme Anstrengungen nötig.
Viele Aral-Tankstellen haben noch keine Ladesäulen für Elektroautos. Wie schnell wollen Sie das ändern?
Bothe: Bundesweit haben wir derzeit rund 2300 Ladesäulen an mehr als 300 Stationen. Bis zum Jahr 2025 wollen wir 5000 Ladepunkte haben. Bis 2030 streben wir 20.000 an. Das ist ein ehrgeiziges Programm.
Gemessen an deutschlandweit etwa 2400 Aral-Tankstellen sind Ladesäulen an rund 300 Standorten noch überschaubar. Woran liegt es, dass Sie nicht weiter sind?
Bothe: Wir geben beim Aufbau der Ladesäulen richtig Gas. Teils werden wir aber auch ausgebremst durch Bürokratie oder äußere Umstände. Wir setzen auf ultraschnelles Laden. Dafür benötigen wir Transformatoren und einen belastbaren Zugang zum Stromnetz. Hier hakt es häufig. Was die Transformatoren angeht, vergeht von der Beantragung bis zur Baugenehmigung oft mehr als ein Jahr.
Sind Deutschlands Behörden zu langsam?
Bothe: Eigentlich sollte das Ziel sein, dass Ladesäulen ohne Baugenehmigung entstehen können. Aber für die Transformatoren ist leider doch eine Baugenehmigung erforderlich. Das bremst uns. Unser Appell an die Politik ist, dies zu ändern.
Ihr Bochumer Konzernnachbar Vonovia hat unlängst geklagt, manche Wärmepumpen nicht ans Netz bringen zu können, weil die Energie-Infrastruktur nicht belastbar genug ist. Haben Sie mit den Ladesäulen an der Tankstelle ähnliche Probleme?
Bothe: Ja, die Infrastruktur gibt oftmals noch nicht das her, was wir brauchen. Teilweise können die örtlichen Netzbetreiber die Leistung, die wir für unsere ultraschnellen Ladesäulen benötigen, nicht bereitstellen. Das erleben wir an allen Ecken und Enden der Republik.
Aral setzt ausschließlich auf „ultraschnelle Ladesäulen“
Wer Diesel oder Benzin tankt, kann das in wenigen Minuten erledigen. Heißt Elektromobilität auch: Bitte für den Ladevorgang Geduld mitbringen?
Bothe: Das wollen wir ja gerade vermeiden. Daher setzen wir ausschließlich auf ultraschnelle Ladesäulen, mit denen unsere Kunden innerhalb von zehn bis 15 Minuten ihr Auto so sehr mit Energie ausstatten können, dass es – je nach Ausstattung des Fahrzeugs – etwa 350 Kilometer weit fahren kann.
Im Zeitalter der Verbrenner-Fahrzeuge blieb den Autofahrern kaum etwas anderes übrig, als regelmäßig Tankstellen anzusteuern. Mit Ladesäulen an Hausfassaden, in Garagen oder auf Supermarktparkplätzen ändert sich das. Ist das Geschäftsmodell von Aral von gestern – und damit bedroht?
Bothe: Im Gegenteil: Das sehen wir als Chance. Richtig ist aber auch, dass die nächsten zehn Jahre in unserem Geschäft definitiv anders sein werden als die letzten zehn Jahre. Wir wissen, dass wir uns verändern müssen. Daher bauen wir beherzt um und investieren in die Dekarbonisierung. Allein im vergangenen Jahr haben wir rund 100 Millionen Euro in den Ausbau unserer Lade-Infrastruktur mit der Marke „Aral Pulse“ gesteckt und unser Rewe To Go-Shopangebot ausgebaut. Auch in den kommenden Jahren werden wir in ähnlicher Größenordnung investieren.
Wann werden Sie an jeder Tankstelle in Deutschland eine Ladesäule haben?
Bothe: Das ist nicht das Ziel, das wir uns setzen. Denn es gibt Standorte, die besser oder schlechter geeignet sind für den Umbau. Wir schauen uns jeden Standort einzeln an und schauen, ob es Sinn ergibt, hier Ladepunkte zu schaffen. Es muss technisch und wirtschaftlich darstellbar sein. Wir bauen auch Ladepunkte außerhalb von Tankstellen.
Der Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft kostet Geld. Werden damit auch die Preise an der Tankstelle steigen?
Bothe: Klar ist: Für die Dekarbonisierung muss investiert werden. Wir machen als Unternehmen unsere Hausaufgaben und schauen, wo wir noch effektiver sein können, damit unseren Kunden keine unnötigen Kosten entstehen.
Frage: Gleichzeitig steigt der Druck auf Ihre Branche durch politische Entscheidungen. Zum Jahreswechsel ist der CO2-Preis für Sprit, Heizöl und Gas gestiegen. Haben Sie die Erhöhung an der Zapfsäule an die Kunden weitergegeben?
Bothe: Schon heute machen Steuern und Abgaben mehr als die Hälfte des Kraftstoffpreises aus, auch die höheren Kosten für CO2 wirken sich aus. Eine große Rolle spielt natürlich weiterhin auch der Produktpreis für Diesel beziehungsweise Benzin auf dem Weltmarkt, der unter anderem abhängig ist von der konjunkturellen Entwicklung. Auch der Euro-Dollar-Wechselkurs ist von großer Relevanz, da Rohöl in US-Dollar gehandelt wird.
BP-Tochter Aral will Position als Marktführer in Deutschland halten
Aral gehört zum globalen Öl-Multi BP. Der französische Konzern Total verkauft seine Tankstellen in Deutschland an einen Einzelhandels-Spezialisten. Gibt Ihnen das zu denken?
Bothe: Wir beobachten das natürlich aufmerksam. Mit Aral sind wir größter Anbieter in Deutschland und wir haben den Anspruch, diese Position zu halten.
Aber Sie haben keinen Stromproduzenten im Rücken, der Sie – ähnlich wie jetzt BP – mit dem in Zukunft maßgeblichen Produkt versorgen könnte.
Bothe: Wir haben keine Angst vor dem künftigen Wettbewerb, denn wir starten aus einer starken Markt- und Markenposition. Deutschlandweit verfügten wir über attraktive Standorte, und wir verstehen etwas vom Geschäft rund um Zapf- oder Ladesäulen. Zusätzlich bauen wir auch unser Shop-Geschäft mit unserem Partner Rewe massiv aus.
Rechnen Sie mit einem Tankstellen-Sterben in den kommenden Jahren?
Bothe: In den 1970er-Jahren gab es bundesweit knapp 50.000 Tankstellen, davon etwa 11.000 mit der Marke Aral. Jetzt sind es insgesamt etwa 14.500 Stationen, davon etwa 2400 unter unserer Flagge. Das zeigt: Es ist nicht neu für unsere Branche, dass sie sich verändert. Die guten Tankstellen-Standorte mit differenzierten Kunden-Angeboten werden sich durchsetzen.
„Es ist für unsere Branche nicht leichter geworden, gute Leute zu finden“
Etwa die Hälfte der 2400 Tankstellen mit der Marke Aral gehört Ihrem Unternehmen, die andere Hälfte hat andere Eigentümer. Erwarten Sie, dass manchem Tankstellen-Betreiber die Luft ausgeht?
Bothe: Nein, wir sehen natürlich Generationswechsel und auch den Investitionsbedarf bei den Eigentümern. Damit ergeben sich immer wieder normale Veränderungen. Wir sind ein starker Partner des Mittelstands – und damit auch ein Job-Motor. Rund 25.000 Menschen in ganz Deutschland sind bei unseren Tankstellen-Partnern angestellt.
In Deutschland ist Fachkräftemangel weit verbreitet. Tut sich die Tankstellen-Branche schwer, Mitarbeiter zu finden?
Bothe: Es ist für unsere Branche nicht leichter geworden, gute Leute zu finden. Ich habe auch großen Respekt davor, was die Menschen an den Tankstellen täglich leisten.
Traurige Schlagzeilen hat während der Corona-Krise im September 2021 gemacht, dass ein 20-jähriger Student bei seiner Arbeit an einer Aral-Tankstelle in Idar-Oberstein erschossen worden ist. Der Schütze erklärte, er habe ein „Zeichen“ gegen die Maskenpflicht setzen wollen. Ist der Fall auch ein Extrem-Beispiel dafür, dass sich das gesellschaftliche Klima verändert hat und dies an Tankstellen, die Tag und Nacht geöffnet sind, spürbar wird?
Bothe: Der Fall macht nach wie vor fassungslos. Klar ist: Sicherheit wird bei uns großgeschrieben. Deshalb haben wir auch ein etabliertes Meldeverfahren. Als Aral-Chef bekomme ich täglich einen Bericht zur Lage an den Tankstellen auf den Tisch. Da sehe ich auch die Schattenseiten des Alltags – von Raubüberfällen bis zur Schlägerei auf dem Tankfeld. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Beschäftigten Wertschätzung entgegenbringen für das, was sie Tag und Nacht bei uns leisten.
„NS-Zeit ist ein Teil unserer Firmengeschichte, die sich nie wiederholen darf“
In Deutschland wächst die Sorge vor einem Erstarken der Populisten. Im Zusammenhang mit dem Firmenjubiläum von Aral blicken Sie auch auf die Rolle des Unternehmens im Nationalsozialismus zurück – auch um Lehren für die Gegenwart zu ziehen?
Bothe: Wenn wir auf die 100-jährige Geschichte der Marke Aral zurückblicken, dürfen wir die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs nicht ausblenden. Aral war wie andere Unternehmen auch Teil der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft. Erst einige Jahre nach dem Krieg, im Jahr 1951, entfiel die Zwangsbewirtschaftung – womit sich Aral wieder eigenständig positionieren konnte. Wir wollen damit transparent umgehen. Die NS-Zeit ist ein Teil unserer Firmengeschichte, die sich nie wiederholen darf.
Arbeiten Sie die Zeit von Aral im Nationalsozialismus nochmal vertieft auf?
Bothe: Aktuell erforscht der Bochumer Historiker Dietmar Bleidick die gesamte Geschichte von Aral. Wir sind sehr gespannt auf diesen Rückblick.
Aral ist ein Bochumer Unternehmen. Ist die Stadt als Standort für die Konzernzentrale gesetzt?
Bothe: Wir sehen uns als Ruhrgebietsunternehmen. Bochum ist Teil unserer DNA und wir fühlen uns in der Stadt sehr wohl. Wir haben für unsere Konzernzentrale einen Mietvertrag, der bis 2027 läuft und haben damit für die nächsten Jahre eine klare Perspektive.