Hagen. Versorger wie die Hagener Enervie gehen davon aus, dass das Leitungsnetz zurückgebaut werden muss. Was das für Heizen mit Gas bedeutet.
Heizen mit Erdgas ist in Deutschland weit verbreitet. Das wird sich ändern. Mehr als eine halbe Million Kilometer lang ist das Gasverteilernetz in Deutschland – noch. Es dürfte in den kommenden Jahren schrumpfen. Das bedeutet für Firmen wie Privathaushalte, die weiter mit Erdgas versorgt werden wollen, dass es teurer werden wird. Der Chef des Stadtwerke-Verbands VKU, Ingbert Liebing, fordert bereits heute eine Debatte darüber, in welchem Umfang der Staat aus Steuermitteln den Abschied aus der fossilen Wärmeversorgung mitfinanzieren sollte: „Wenn absehbar wird, dass die Gaspreise wegen weniger Kunden und gestiegener Gasnetzkosten ins Unermessliche steigen, werden wir darüber sprechen müssen“, erklärte Liebing vor Kurzem der Deutschen Presseagentur.
Erklärtes Ziel der Energiewende ist schließlich bis spätestens zum Jahr 2045 der Abschied von fossilen Energieträgern wie Erdgas und Öl für die Wärmeversorgung von Kraftwerken, Industrie und privaten Haushalten. Beim Gas verweisen große wie kleinere Netzbetreiber auf hohe Kosten für verbleibende Kunden, verursacht durch die Stilllegung und den Rückbau von Leitungen, aber auch infolge sinkender Kundenzahlen. „Bei einer rückläufigen Nutzung des Energieträgers Gas vermindert sich die Auslastung des Gasnetzes. Der Aufwand für die Wartung und Instandhaltung des Gasnetzes bleibt jedoch bestehen“, erklärt ein Sprecher des regionalen Energieversorgers Enervie aus Hagen. Das gesamte Gasverteilernetz von Enervie ist rund 1200 Kilometer lang, reicht von Hagen in den Ennepe-Ruhr-Kreis bis in den südlichen Märkischen Kreis und umfasst laut Enervie sowohl Hochdruckstrecken als auch Mittel- und Niederdruckleitungen. Volker Neumann, Vorstand beim Versorger Enervie, schätzt, dass allein das Niederdrucknetz in den kommenden Jahren um 20 bis 25 Prozent schrumpfen werde.
Nutzung der alten Leitungen für Wasserstoff weitgehend möglich
Eine mit viel Hoffnungen verbundene Option für die Zukunft ist die Nutzung des bestehenden Netzes für den Transport von grünem Wasserstoff. Der Anbieter Westnetz, Tochterunternehmen der Westenergie aus Essen, hat in den vergangenen Jahren an der Umstellung des vorhandenen Gasnetzes auf Wasserstofftransport getüftelt und mit einem Pilotprojekt den Beweis angetreten, dass dies grundsätzlich machbar ist. Seit gut einem Jahr fließt in einer alten Erdgasleitung in Holzwickede grüner Wasserstoff statt Erdgas. Allerdings wird der grüne Wasserstoff per Lkw dorthin transportiert, weil das geplante H2-Kernnetz noch Zukunftsmusik ist. Außerdem ist die „Pilotstrecke“ lediglich ein paar hundert Meter lang.
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Auch Enervie hat bereits untersuchen lassen, inwieweit Wasserstoff durch das bisher für den Erdgastransport genutzte Netz strömen könnte. „Das bestehende Gasnetz der Enervie ist bereits zu 88 Prozent als H2-tauglich einzustufen“, erklärt der Versorger. Technisch sei die Versorgung von Privathaushalten mit grünem Wasserstoff auf jeden Fall möglich. Ob Wasserstoff Erdgas im Privatgebrauch ersetzen wird, steht noch in den Sternen. Experten gehen davon aus, dass grüner Wasserstoff erst einmal ein knappes Gut sein wird. Das bedeutet, die Nachfrage dürfte höher sein als das Angebot - mit Auswirkungen auf den Preis. In der Versorgungskette stehen Private jedenfalls momentan gegenüber der Industrie hinten an. Natürlich könnte sich dies ändern.
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Hohe Investitionen ins Gasnetz notwendig
Bis das heutige Gasnetz nicht nur zum großen Teil, sondern auch zu einhundert Prozent für den Wasserstofftransport nutzbar wäre, müssten selbst regionale Versorger wie die Enervie noch einmal viel Geld in die Hand nehmen: „Die Kosten zur Ertüchtigung bewegen sich im zweistelligen Millionenbereich“, so ein Unternehmenssprecher. Kosten, die sich Netzbetreiber in Form höherer Netzentgelte bezahlen lassen werden. Ersten Einschätzungen von Enervie zufolge werde der Transport von Wasserstoff teurer als der von Erdgas sein, weil rund 40 Prozent der Transportleitungen neu gebaut und bezahlt werden müssten.
Ausbau des Stromnetzes vor Rückbau des Gasnetzes sinnvoll
Ob es angesichts der drohenden Kosten und der kontinuierlich steigenden CO₂-Steuer in Deutschland ratsam ist, über eine alternative Wärmeversorgung wie Wärmepumpe oder Fernwärme nachzudenken, ist heute selbst für Experten noch schwierig einzuschätzen. Erst, wenn die Städte und Gemeinden ihre kommunalen Wärmeplanungen vorlegen müssen, können Verbraucher die Lage besser einschätzen. Großstädte sind verpflichtet, diese Planungen spätestens bis zum 30. Juni 2026 vorzulegen. Kleinere Städte und Gemeinden haben noch zwei Jahre länger bis zum Sommer 2028 Zeit. In den Plänen soll dann zu erkennen sein, in welchen Gebieten künftig welche Art der Wärmeversorgung vorrangig eingesetzt werden soll - Wasserstoff, Fernwärme oder Wärmepumpe. Letztere Technik setze voraus, dass massiv in Stromnetze investiert werde, sagt Enervie-Vorstand Neumann: „Der erste Schritt ist der Ausbau des Stromnetzes.“ Erst danach sollte das Gasnetz zurückgebaut werden. „Wasserstoff kann aber eine gute Antwort auf die Wärmeversorgung in Altbauten sein“, glaubt der Experte.